Mit den Weltklimagipfeln ist es wie mit Neujahrsvorsätzen: Alle Jahre wieder fassen wir diese mit Optimismus, um dann festzustellen, dass der Enthusiasmus bald schwindet. So bekräftigen die 197 Unterzeichnerstaaten des Pariser Klimaschutzabkommens bei den jährlichen Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen (VN) immer wieder aufs Neue, sich an die Vorgaben des Abkommens zu halten, nämlich die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius, möglichst aber auf 1,5 Grad Celsius bis 2100 im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Doch stellen die Länder regelmäßig fest, dass dieser Vorsatz nicht annähernd ausreichend umgesetzt wird. Mehr noch: Selbst, wenn alle die bei der UN-Klimarahmenkonvention eingereichten Minderungspläne wie angekündigt umsetzen würden, wäre mit einer globalen Erwärmung von 2,1 bis 3,4 Grad Celsius zu rechnen.
Klimaneutralität ein Muss
Dass Anspruch und Wirklichkeit nicht deckungsgleich sind, belegen die weltweiten Treibhausgasemissionen. 2023 wurde ein neuer Spitzenwert erreicht. Experten warnen, dass dem Trend zufolge das uns verbleibende CO2-Budget innerhalb von sechs Jahren schon aufgebraucht sein könnte. Auch wenn solche Berechnungen Abweichungen enthalten, klar ist: Das 1,5 Grad-Ziel in Reichweite zu halten, wird eng. Dass es um eine Punktlandung geht, veranschaulichen die Klimaprognosen. Sie zeigen: Jedes Zehntelgrad beim Kampf gegen den Klimawandel auf unserem Planeten zählt.
CDU-nahe Denkfabrik
- Sabina Wölkner ist seit 2019 Leiterin der Abteilung „Agenda 2030“ der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS).
- Davor war sie für die Stiftung in Sarajewo und Brüssel tätig.
- Die CDU-nahe Denkfabrik fühlt sich dem politischen Erbe Konrad Adenauers verbunden, hat 18 Politische Bildungsforen in Deutschland und ist in über 100 Ländern weltweit mit Büros vertreten.
- Die KAS setzt sich national und international durch politische Bildung für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit ein.
Belege gibt es zuhauf: Schon heute ist die Durchschnittstemperatur um ca. 1,1 Grad höher als zum vorindustriellen Niveau. Wir spüren und sehen tagtäglich die Folgen. Frequenz und Intensität von Dürren und Überflutungen haben weltweit zugenommen. Wer erinnert sich nicht an den nie zuvor dagewesenen niedrigen Wasserstand des Rheins, der den Fluss an manchen Stellen in ein dünnes Rinnsal verwandelte. Aus Sicht des Weltklimarats kann nur ein umgehendes und massives Absenken der weltweiten Treibhausgasemissionen helfen. In seinen Szenarien müssen diese spätestens 2025 ihren Höhepunkt erreicht haben. Bis 2030 ist eine Reduzierung von 43 Prozent im Vergleich zu 2019 erforderlich. 2050 gilt es dann nur noch so viel Treibhausgasemissionen auszustoßen, wie ausgeglichen werden, um klimaneutral zu sein. Doch ist eine solche Kehrtwende möglich?
Alle in einem Boot?
Der Zeitpunkt für die globale Bestandsaufnahme bei der am 30. November beginnenden jährlichen VN-Weltklimakonferenz in Dubai könnte nicht besser sein. Wie eine Inventur soll sie zutage bringen, welche Anstrengungen nötig sind, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen. Diese Bestandsaufnahme ist im Pariser Abkommen verankert und soll helfen, die klimapolitischen Weichen nachzujustieren. Die gute Nachricht: Mittlerweile haben sich mehr als 130 Länder dem Ziel der Klimaneutralität verschrieben. Doch während Deutschland schon 2045 klimaneutral sein will, haben sich China und Indonesien 2060 als Ziel gesetzt. Indien lässt sich bis 2070 Zeit. Diese Unterschiede kommen nicht von ungefähr, sondern gehen auf den Grundsatz der „gemeinsamen, aber geteilten Verantwortung“ zurück, dem sich insbesondere Länder des „Globalen Südens“ verschreiben. Demnach stehen zwar alle Staaten in der Pflicht, aber sie sind nicht alle gleichermaßen für den Klimawandel verantwortlich. Die Beiträge zum Klimaschutz variieren deshalb. Auch diktiert das Pariser Abkommen ihnen nicht die Klimaziele, sondern lässt sie ihre Beiträge selbst abstecken.
Die schlechte Nachricht: Die nationalen Pläne reichen vorne und hinten nicht. Doch sind nicht nur die Industriestaaten daran schuld. Das zum Hauptemittenten avancierte China lag 2021 mit einem Anteil von knapp 31 Prozent an den globalen CO2-Emissionen weit vorn. Die USA stehen mit ca. 13 Prozent auf Platz zwei. Im Fall Chinas ist vor allem die schmutzige Kohleverstromung das Problem. Das Reich der Mitte steht heute für mehr als die Hälfte des weltweiten Kohleverbrauchs. Doch das Land ist kein Einzelfall. Auch in Indien entsteht der Hauptanteil der Emissionen im Energiesektor. 2022 wuchs der Ausstoß um ca. sechs Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dieses Wachstum beschert dem Land mit einem Anteil von ca. 7,3 Prozent den dritten Platz im globalen Ranking. Zwar ist richtig, dass Indiens Pro-Kopf-Emissionen weitaus unter dem Wert in der EU liegen. Doch das prognostizierte Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum wird den Energiekonsum dort weiter anfachen. Auch in Schwellenländern wie Südafrika oder Indonesien ist dieser Trend zu erwarten.
Eine Frage der Gerechtigkeit
Chinas enormer Anteil an den globalen Emissionen ist ein Grund, warum Deutschland sich darum bemüht, Peking zum Einzahlen in die Kasse der internationalen Klimafinanzierung zu bewegen. Mit dem Hinweis allerdings, ein Entwicklungsland zu sein, hat das Land dies bisher abgelehnt. Doch das Geld fehlt an allen Ecken und Enden. Die UN geht von einem Bedarf von ca. sechs Billionen US-Dollar bis 2030 aus, damit die Entwicklungsländer ungefähr die Hälfte ihrer Minderungspläne erreichen. Es gibt aber auch einen anderen Anlass: Nachdem bei der letzten Klimakonferenz die Einrichtung eines Fonds für Schäden und Verluste vereinbart wurde, zeichnet sich nun ein Kompromiss über dessen Funktionsweise und Ausstattung ab. Ob dieser Bestand hat, hängt davon ab, ob klar ist, wer in welchem Umfang einzahlt und empfangsberechtigt sein wird. Mal sehen, ob Peking sich herausreden kann.
Den in der Gruppe der „Vulnerablen Zwanzig“ heute 68 befindlichen Nationen ist an einer Einigung besonders gelegen. Sie haben weder das Geld noch die Möglichkeiten, um sich gegen den Klimawandel zu wappnen. Gleichzeitig sind afrikanische Länder nur für rund vier Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Die Region südlich der Sahara hat weltweit sogar die geringste Emissionsquote pro Kopf. Die Menschen dort haben so gut wie keine Verantwortung an dem Schlamassel. Obwohl mit steigender Durchschnittstemperatur neben Emissionsminderung die Klimafolgenanpassung in den Mittelpunkt rückt, wächst die weltweite Finanzierungslücke hier und liegt zwischen 194 bis 366 Milliarden US-Dollar jährlich.
Schaffen wir das?
Neben Willen und Geld bedarf es der Verfügbarkeit und des Einsatzes sauberer Technologien. Der Internationalen Energieagentur zufolge hat sich der Weg zum 1,5 Grad-Ziel zwar verengt. Mit einer mitunter Verdreifachung bis 2030 der jährlich installierten Leistung an Solar, Wind und Co sei das Ziel noch erreichbar. Das hieße laut IRENA, die weltweite Erzeugungskapazität aus Erneuerbaren Energien durchschnittlich um 1000 GW pro Jahr zu steigern und wäre enorm. Zur Einordnung: Im Rekordjahr 2022 wurden weltweit ca. 295 GW an Leistung hinzugefügt. Fun Fact: Die Hälfte des globalen Ausbaus entfiel auf China. Das Land ist nicht nur beim Kohleverbrauch, sondern auch beim Ausbau der Erneuerbaren Weltmeister.
Aber auch in Indien steigen die Investitionen in Clean Tech. Diese Doppelgleisigkeit beschreibt auch das Verhalten anderer Länder, die wegen der unsicheren Energiemärkte spätestens seit Russlands Invasion der Ukraine verstärkt auf heimische Kohleförderung setzen. Der Krieg der Hamas gegen Israel könnte dieses Kalkül stärken, je länger er sich hinzieht oder gar ausweitet. Der BloombergNEF gibt sich daher skeptischer. Man steuere bestenfalls auf 1,7 Grad zu. Die Umstellung auf sauberen Strom würde den größten Beitrag leisten. Da das Tempo beim Ausbau der Erneuerbaren zu niedrig sei, gelte es auch auf Abscheidung und Speicherung von Kohlenstoffdioxid zu setzen. Das wird vielen Klimaaktivisten nicht gefallen, ist aber aus Sicht des Weltklimarats bei den schwer zu mindernden Sektoren wie Stahl oder Zement für die Dekarbonisierung unvermeidbar. Ab 2050 werden für unsere Minderungsziele in Deutschland negative Emissionen erforderlich, d.h. wir müssen mehr CO2 binden als freisetzen.
Ist das 1,5 Grad-Ziel also zu schaffen? Das hängt davon ab, ob wir alle uns zur Verfügung stehenden Technologien nutzen und uns gegenüber anderen Klimaneutralitätspfaden offen zeigen, um gemeinsam einen Weg nach vorn zu finden. Die in Kürze beginnende Weltklimakonferenz gibt uns die Gelegenheit.
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Bergsträßer Anzeiger Plus-Artikel Kommentar Kipppunkte nicht verdrängen!