750 Jahre Stadtrechte

Vortrag über Zwingenberg als Gerichtsstadt

Im Rahmen des Jubiläumsprogramms referierte der Rechtshistoriker Karl Härter über Zwingenberg als Gerichtsstadt

Von 
Marvin Zubrod
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Vor dem Amtsgericht in Zwingenberg wurde einer der ersten Autounfälle in Deutschland verhandelt, wie Professor Karl Härter in seinem Vortrag über die Gerichtsstadt am Fuße des Melibokus berichtete. © Ernst Lotz

Zwingenberg. Schon früher wurde in Zwingenberg gerne gefeiert und getrunken. Manchmal auch zu viel. Dann kam es unter den Bürgern zu Raufereien, die vor Gericht landeten. Die kuriosesten Fälle ab dem Spätmittelalter stellte der Rechtshistoriker Professor Karl Härter am Mittwochabend unter dem Titel „Frevel, Streit und Klagen: Zwingenberg als Gerichtsstadt“ im Theater Mobile vor.

Schöffen kassierten ein Drittel der Strafzahlung

Der erste Beleg für die Existenz eines Stadtgerichts stammt aus dem Weistum zu Auerbach von 1422. Dieses regelte die Begebenheiten des lokalen Rechts – und das war notwendig, denn die Auerbacher Gemarkung grenzte an die Zwingenberger. Wenn sich also zwei Streithähne auf der Stadtmauer prügelten und diese auf der falschen Seite herunterfielen, landeten sie in Auerbach – ebenso wie mögliche Strafzahlungen. Das dürfte den Zwingenberger Schöffen, die für die Verhängung der Geldbußen zuständig waren, nicht gefallen haben. Denn ein Drittel der Strafe ging an die besagten Amtsträger, die bei den Urteilen entsprechend ambitioniert agierten. Zum Wohle der städtischen Sicherheit und des eigenen Geldbeutels.

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Eine wesentliche Rechtsgrundlage des Stadtgerichts bildete die Stadtordnung von 1481, die allerdings – wie so vieles aus dem Spätmittelalter – nicht im Original überliefert ist. Der Zeitpunkt ist kein Zufall. 1479 starb die Grafschaft Katzenelnbogen, die bis dato das Sagen hatte, aus. Es übernahm Heinrich III. von Hessen, der zuvor Anna von Katzenelnbogen als Teil seiner geschickten Heiratspolitik zur Frau genommen hatte. Das Reich des neuen Landgrafen vergrößerte sich, es sollte Ordnung her, die in Form der besagten Rechtsgrundlage geschaffen wurde. Das gilt als gesichert.

Der Job des Bürgermeisters war im Mittelalter lukrativ

Im Allgemeinen ist die Quellenlage aus der Zeit des Mittelalters jedoch dünn, es dürfte bereits im 14. Jahrhundert einen Stadtrat gegeben haben, der auch als Stadtgericht fungierte. Dieses war für die niedere Gerichtsbarkeit zuständig, beschäftigte sich überwiegend mit zivilen Streitigkeiten und war folglich nur für Angelegenheiten innerhalb der Stadtmauern zuständig. Zwar gab es im beschaulichen Zwingenberg des 16. Jahrhunderts schätzungsweise nur rund 100 Haushalte, Streitigkeiten zwischen Nachbarn standen aber auch damals schon an der Tagesordnung – und die möglichen Konsequenzen hatten es in sich. Bis zu fünf Gulden, ungefähr das Monatsgehalt eines Arbeiters, waren als Geldbuße nicht unüblich. So klagte die Witwe Catharina Wissmännin, da sie durch Wiederverheiratung ihr Zwingenberger Bürgerrecht nicht verlieren wollte. Das Stadtgericht verzichtete auf die Aberkennung – unter der Bedingung, dass sie jedes Jahr einen Gulden an den Bürgermeister zahlt. Schon damals war der Posten des Verwaltungschefs ein lukrativer.

Ab dieser Zeit entwickelte sich die kleinste Gemarkung im Kreis zu einer Gerichtsstadt mit regionaler Bedeutung. Denn bereits 1507 wurde die Stadt Sitz eines Centgerichts, dessen Verantwortlichkeit von Auerbach über Hochstädten bis nach Beedenkirchen reichte, im Westen sogar erst in Groß-Rohrheim endete.

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Mit dem größeren Einzugsbereich kamen mehr Fälle hinzu, darunter manch kuriose: So wurden 1677 einige Zwingenberger Bürger zu einer Geldstrafe verurteilt, da sie ihre Kinder nicht in die Kirche geschickt hatten. Das war noch einer der harmloseren Fälle, denn Streitigkeiten schlugen in der religiös geprägten Gesellschaft schnell in Gewalt um. „Vier Fäuste für ein Halleluja“ lieferten sich 1769 auch die Familien Gerhardt und Link aus Hochstädten, in dessen Folge ein Kontrahent im Bach landete. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde das älteste Bergstraßenstädtchen zudem Sitz von Verwaltung und Gerichtsbarkeit des Amtes Zwingenberg-Auerbach. Schwere Verbrechen wie Mord, Totschlag oder Raub wurden zwar nur bis Ende des 16. Jahrhunderts behandelt, dafür umso öffentlichkeitswirksamer.

Der ehemalige Richtplatz befand sich auf Höhe der B 3

Denn Hinrichtungen wurden von „freischaffenden Handwerkern“, wie Rechtshistoriker Karl Härter die Henker scherzhaft nannte, auf einem Richtplatz auf Höhe der heutigen B 3 durchgeführt. So ist aus den Aufzeichnungen eines Reisenden, der 1683 auf dem Weg zum Frankfurter Büchermarkt Zwingenberg passierte, zu entnehmen, dass dieser „einen gesehen hat, der in der Luft hing“. Solche Fälle galten aber als Ausnahme.

Da Streitigkeiten nicht nur vom Stadt-, sondern auch vom neu etablierten Cent- und Amtsgericht verhandelt wurden, nahm die Bedeutung von ersterem ab. Die Gerichtsbarkeit wurde 1821 mit den hessischen Justiz- und Verwaltungsreformen zentralisiert, Stadt- und Centgericht daraufhin abgeschafft. Doch die Rolle als Sitz der Rechtsprechung behielt Zwingenberg bis ins 20. Jahrhundert und wurde damit Schauplatz eines der ersten Autounfälle, die in Deutschland vor Gericht landeten. Erst 1934 zog das Amtsgericht nach Bensheim um, auch das Bezirksgefängnis wurde geschlossen, woraufhin das kleine Zwingenberg seine regionale Bedeutung als Gerichtsstadt verlor. Heute befindet sich im Keller des Alten Amtsgerichts das Theater Mobile – das als Kulturstätte Menschen aus der ganzen Region anzieht.

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