Zwingenberg. Ja, die Wahrheit kann schmerzhaft sein – und zugleich lachhaft im allerbesten Sinn des Wortes. Aber Roland Hotz hatte ja vorab bereits in der Art und Weise gewarnt, wie dereinst der Journalist Helmut Markwort – ein waschechter Darmstädter wie Hotz – seinen „Spiegel“-Konkurrenten „Focus“ beworben hat: „Fakten, Fakten, Fakten“ werde es heute Abend über die Nibelungensage geben, den „Sockelsturz“ des blonden Recken Siegfried könne man dem geneigten Zuschauer einfach nicht ersparen. Für manchen im Publikum könne das durchaus „zu viel Input“ sein: „Wir haben schon Abende gehabt, da sind einige liegend rausgetragen worden“, moderierte der Gründer des „Kikeriki-Theaters“ das „sagenhafte Blechspektakel“ an.
Warmblüter, Drogendealer, Domina und Siegfried
Soweit sollte es zwar weder am Samstag- noch am Sonntagabend bei den Inszenierungen von „Siegfrieds Nibelungenentzündung“ in der Zwingenberger Melibokushalle kommen, aber dass etliche Zuschauer sich vor Lachen kaum mehr auf den Stühlen halten konnten, das war gleich reihenweise der Fall. Sich vom Sitzmöbel lösen konnten allerdings nur diejenigen, die Roland Hotz‘ Ansage beherzigten, wie man richtig lacht: „Die Luft muss raus, sonst klebt der Stuhl am Arsch fest.“
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Und dann ging es auch schon los, das Helden-Epos, dessen Handlung aus Versatzstücken verschiedener Sagen besteht, „aufgebläht mit Halbwahrheiten und blonden Wunschvorstellungen“: Hauptdarsteller Siegfried hat wenig heldenhaftes, sondern ist eher der Typ Maulheld, sein vermeintlicher Kampf mit dem Drachen – einem „Warmblüter“ – fällt wegen allzu großer Zuneigung aus. Die angebetete Kriemhild ist ein heißer Feger und ihr Vater Gunther, der „devote“ Burgunden-König, ist Brunhild verfallen, die als Domina daherkommt. Und Zwergenkönig Alberich ist am Ende nur ein Drogendealer.
Stadtjubiläum brachte das Kikeriki-Theater nach Zwingenberg
Hotz und seine Kollegen Bernd Körner und Detlef Kühner, musikalisch unterstützt von Steffen Stütz am Keyboard, haben auch nach über tausend Aufführungen der „Nibelungenentzündung“, die 1989 Premiere hatte, nichts von ihrer Spielfreude eingebüßt, ganz gleich, ob sie selbst die Mimen sind oder das Dutzend blecherner Stockpuppen führen. „Wir mache des seit 1979 und hawwe immer noch Spaß dabei“, so Roland Hotz, „seit 45 Jahren mache mer de Aff!“ Seit seiner Gründung hat das Ensemble mit 12 000 Aufführungen von Stücken wie „Deppenkaiser“ oder „Erwin – ein Schweineleben“ rund 2,4 Millionen Zuschauer bestens unterhalten. Meistens im – stets ausverkauften – eigenen Haus, der „Comedy Hall“ in Darmstadt, immer wieder aber auch als Gastspiel in der Region, wie am Wochenende in Zwingenberg.
Das älteste Bergstraßenstädtchen feiert bekanntermaßen 750 Jahre Stadtrechte und eben dieses Jubiläum im Herzen des Nibelungenlandes war auch der Anlass dafür, das „Kikeriki-Theater“ gezielt mit der „Nibelungenentzündung“ nach Zwingenberg zu holen. Für Roland Hotz fast schon ein Heimspiel: Vor 20 Jahren hat er im Theater „Mobile“ seine Frau kennengelernt, die dort Regie führte. Mit 500 Menschen war die Inszenierung des „Kikeriki“-Klassikers am Samstagabend ausverkauft und auch die Zusatzvorstellung am Sonntagabend war mit gut 400 Personen bestens besucht.
Dafür waren neben den Akteuren auf der Bühne etliche weitere Personen auf den Beinen: Mitarbeiter des Rathauses übernahmen die Organisation, der Bauhof des Zweckverbands Kommunale Dienste (ZKD) Alsbach, Hähnlein, Zwingenberg stellte die Bühne und die Stühle auf. Ehrenamtlich im Einsatz waren Mitglieder des Vereins zur Erhaltung der Zwingenberger Traditionskerb, die den Ordnungsdienst übernahmen, sowie des Deutschen Roten Kreuzes und der Freiwilligen Feuerwehr.
Das Jubiläumsprogramm wird mit einem Vortrag fortgesetzt
Fortgesetzt wird das Zwingenberger Jubiläumsprogramm nun am 24. April, Mittwoch, mit dem Vortrag „Frevel, Streit und Klagen: Zwingenberg als Gerichtsstadt“, von Rechtshistoriker Prof. Dr. Karl Härter, Veranstaltungsort ist ab 19 Uhr das Theater Mobile (Obertor 1); der Eintritt ist frei.
Härter ist ein profunder Kenner der Region sowie ihrer Geschichte und wird mit seiner - garantiert nicht trockenen - Darstellung die Entwicklung „vom Zehntgericht zum Amtsgericht“ aufzeigen. Über den Vortrag heißt es: „Als König Rudolf Zwingenberg 1274 Freiheit und Markt verlieh, entstand zunächst eine ,Marktstadt‘. Erst später entwickelte sich Zwingenberg auch zu einer Gerichtsstadt mit eigenem Stadtgericht. Seit 1504 bildete die Stadt zudem den Mittelpunkt eines regionalen Centgerichts, das für größere und kleinere Delikte, Streit und Klagen zuständig war.
Auch nach der Auflösung des Centgerichts behielt Zwingenberg bis 1934 seine Funktion als Sitz eines Landgerichts beziehungsweise Amtsgerichts bei. Der Vortrag beleuchtet die mehrhundertjährige Geschichte Zwingenbergs als Gerichtsstadt und schildert anhand ausgewählter Fälle Frevel, Streit und Klagen als Teil des städtischen Alltags und der überregionalen Justizfunktion der Stadt an der Bergstraße.“
Der Referent Karl Härter war Leiter einer Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte und außerplanmäßiger Professor für Neuere und Neuste Geschichte am Fachbereich 2, Institut für Geschichte der Technischen Hochschule Darmstadt. Seit vielen Jahren engagiert er sich im Heppenheimer Geschichtsverein als Vorsitzender, veröffentlicht zur Lokal- und Regionalgeschichte und tritt als ebenso kenntnisreicher wie unterhaltsamer Vortragender auf.
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