Zwingenberg. „Zwingenberg ist traditionell ein Zuhause für die Kunst“, sagt Bürgermeister Holger Habich und wie breit das Spektrum der Kunstschaffenden am Ort ist, zeigt eine aktuelle Ausstellung, die am Freitagabend in der Remise eröffnet wurde. Es war nicht nur eine gern genutzte Möglichkeit, das Wochenende „mit etwas Kultur einzuläuten“, so der Bürgermeister, es war auch Gelegenheit, sich einen kleinen, aber feinen Eindruck von der Zwingenberger Kunst-Szene zu verschaffen.
Von Keramik bis kinetische Kunst
Eingebettet war die Vernissage in das Programm der Musik-Collagen, die Bürgermeister Habich initiiert hatte. Es bot an den ersten beiden Oktober-Wochenenden eine Reihe von Konzerten im Diefenbachsaal des „Bunten Löwen“ und in der Bergkirche, die man je nach Gusto mit einer Weinprobe und/oder einem kulinarischen Abendessen in einem der vier beteiligten Zwingenberger Restaurants verbinden konnte. In die Musik-Collagen fügten sich Werke der sechs Zwingenberger Künstler perfekt ein und vervollständigten somit das bunte kulturelle Angebot „zu einem schönen Bild“, wie es Habich ausdrückte.
Für dieses „grandiose Programm“ dankte Ulrike Fried-Heufel, die als Vorsitzende des Zwingenberger Förderkreises Kunst und Kultur die zahlreichen Gäste in der Remise willkommen hieß. Besonders begrüßte sie stellvertretend für die örtliche Kommunalpolitik Stadtverordnetenvorsteher Andreas Kovar und Erste Stadträtin Karin Rettig sowie die Landtagsabgeordnete Birgit Heitland.
Besonders willkommen hieß sie mit Liesel Kullak die Witwe des früheren Bürgermeisters und Mitbegründers des Förderkreises, Dieter Kullak sowie die Vorsitzende des Geschichtsvereins und Kooperationspartnerin des Förderkreises, Ingrid Krimmelbein.
Das Auge des Betrachters „nicht überfordern, aber fordern“ sei die Devise für diese Ausstellung des Förderkreises, so die Vorsitzende. Aus diesem Grund seien eher wenige, aber dafür sehr aussagekräftige Werke zu sehen. Ebenso hatte man sich entschlossen, auf eine größere, einführende Rede zu verzichten, stattdessen wurden die persönlich verfassten Statements der jeweiligen Künstler im Wechsel von Ulrike Fried-Heufel und Bürgermeister Holger Habich verlesen.
Ulrike Fried-Heufel – Malerei und Plastik: Die in Karlsruhe geborene Künstlerin wohnt seit 1991 in Zwingenberg. Nach dem Studium der Bildenden Künste und Kunstgeschichte in Mainz war sie als Kunstpädagogin tätig, bevor sie 2011 freischaffend wurde. Seit 1970 sind ihre Arbeiten in regelmäßigen Einzelausstellungen oder Beteiligungen im In- und Ausland zu sehen. Das stählerne „N“, geschmückt mit aus blankem Edelstahl gefertigten Silhouetten von Siegfried und Kriemhild am Zwingenberger Einstieg des Nibelungensteigs ist eine Arbeit von Ulrike Fried-Heufel. Sie ist ein Beispiel für die Vielseitigkeit der Künstlerin, deren Werke unterschiedliche Stile und Ausdrucksformen aufweisen. „Die sichtbare Welt ist für mich der objektive Ausgangspunkt, meine Wahrnehmung gleicht einem Filter, der Gesehenes in meine Bildsprache bringt. Diese kann sowohl gegenständlich als auch abstrakt sein.“
Ludwig März – Fotografie: Die in der Remise gezeigten Fotografien von Ludwig März sind Teil einer umfänglichen Ausstellung, die 1986 bei der Stadt Zwingenberg zu sehen war. Unter dem Titel „Der Winkel“ entstanden mittels eines Ultraweitwinkelobjektivs Ausschnitte aus der Wirklichkeit. Der in Bensheim geborene und in Zwingenberg aufgewachsene Fotograf startete seine berufliche Laufbahn mit Ausbildung, Meisterprüfung und Diplom als Maler in Darmstadt, Lahr und Berlin und arbeitete in diesem Beruf im elterlichen Betrieb in Zwingenberg. Im Alter von 26 Jahren bekam er eine Kamera geschenkt, die ihn schließlich zur Fotografie brachte. Nach Studienaufenthalten in lateinamerikanischen Ländern, diversen Praktika und Assistenztätigkeiten bei verschiedenen Fotografen ist er seit 1984 als freischaffender Fotograf tätig und arbeitete 35 Jahre in der Werbe- und Tourismusfotografie. Seit 1988 lebt er wieder in Zwingenberg.
Vera Menche – Fotografie: Auch Vera Menches Leidenschaft für die Fotografie begann schon sehr früh in der sechsten Klasse mit dem Geschenk einer Kamera. Seit sie mit der Kamera arbeitet, ist für sie das Zusammenspiel zwischen Model und Location, Objekt und Hintergrund, Mensch und Natur sehr interessant und wichtig. Sie fotografiert hauptsächlich Porträts, Fashion, Street und Natur – „nahe Frankfurt, aber offen für die ganze Welt“, so Menche. Für die Künstlerin fühlt sich Fotografieren an wie das Malen auf einer Leinwand. Mit viel Geduld und Kreativität entstehe ein einmaliges, einzigartiges Kunstwerk. Die in der Remise gezeigten Arbeiten sind die Lieblingswerke der Künstlerin im Bereich Porträtfotografie und ein Beispiel für die facettenreiche Arbeit mit Menschen und ihrer Umgebung.
Reiner Schlestein – Glasplastiken: Der in Warburg geborene Schlestein betreibt seit 1986 seine Werkstatt und Galerie „Prisma“ in Zwingenberg – nur wenige Meter entfernt von der Remise. Fünf Jahre davor, mit 23 Jahren, arbeitete er erstmals in Glas im Bereich Sandstrahltechnik und absolvierte dann eine Ausbildung bei der Glasveredelungstechnikerin Ursula Schönfeld.
Seit dem Jahr 2000 beschäftigt sich Reiner Schlestein mit dem Thema Mensch und lässt seither ausdrucksvolle Glasskulpturen, sogenannte „Lichtgestalten“ entstehen. Dabei verlässt er sich nicht nur auf die Schönheit des Materials Glas, sondern möchte seinen Figuren die Lebendigkeit lassen. Dabei schätzt der Künstler das Unberechenbare und die Zufälle wie Luftblasen, Schlieren, Schmelz- und Brennspuren vielfältiger Art. Ihn fasziniert gerade das, was andere zurückschrecken lässt: das Archaische der Arbeit, der Widerstand des Materials, die Glut des Schmelzvorgangs.
Trude Schumacher-Jansen – gemalte und gezeichnete Struktur: Die Künstlerin stammt aus Nordrhein-Westfalen, ist Bauingenieurin und Architektin, hat zusätzlich Malerei studiert und ein Pädagogik-Studium absolviert. Von 1967 bis 1980 unterrichtete sie am AKG, von 1976 bis 1999 an der Liebfrauenschule.
Professor Eugen Gomringer beschreibt das Werk der Künstlerin als ein Zeichnerisches. Schumacher-Jansen verleihe ihren Arbeiten unterschiedliche Ordnungseinheiten. Die Materialeigenschaft des Acrylglases setze die Zeichnungen ins rechte Licht. Ihre transparenten Rundbilder werden auch gerne als kinetische Malerei bezeichnet, da sich das dichte Netz der hauchdünnen Linien je nach Positionswechsel des Betrachters zu bewegen scheint und immer wieder neue Bildkompositionen entstehen.
Katharina Ziemann – Raku-Keramik: Schon früh war Katharina Ziemann von der japanischen Kunst, speziell von Raku-Keramik, fasziniert. 1993 hatte sie die Möglichkeit, dies archaische Technik bei Barbara Kullik-Kuch in Helmstedt zu erlernen. Seitdem arbeitet sie an den typischen Schalen und Gefäßen für die Teezeremonie. Eine Spezialität sind ihre Kugeln, eine Verbindung der perfekten Form mit der ursprünglichen und unperfekt erscheinenden Ausdrucksform des Raku.
Raku-Keramik wird aus einem speziellen mageren Ton, meist frei aus der Hand geformt. Nach dem Trocknen und dem Schrühbrand werden die Stücke glasiert und in den etwa 900 Grad heißen Ofen gesetzt. Wenn die Glasuren geschmolzen sind, werden die Stücke in Sägemehl gelegt, das zu glimmen beginnt. Durch diesen Räuchervorgang werden die unglasierten Tonflächen geschwärzt. Durch Eintauchen der Stücke in kaltes Wasser wird der Prozess gestoppt. Die Temperaturschwankungen erzeugen auf der Glasur den gewünschten typischen Craquelé-Effekt. Die bei dieser Technik nur begrenzt berechenbaren Möglichkeiten und die Überraschungen, die jeder Brand bietet, sind das Reizvolle und Bereichernde für Katharina Ziemann.
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