Kultur

Lorscher Künstlerin Klawitter: Kunst muss unabhängig und frei bleiben

Von 
Thomas Tritsch
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Lorsch. Sie will keine Trittbrettfahrerin sein und diesem Phänomen kein Denkmal widmen. Das Virus hat der Kunst ihre Bühne genommen, und das möchte Alexandra Klawitter durch keine Arbeit weder zeithistorisch aufwerten noch kleinlaut beweinen. Es liegt allerdings nicht im Bereich des Unmöglichen, dass die Bildhauerin das Thema nicht einigen Jahren doch künstlerisch verarbeiten könnte. Denn Alexandra Klawitters Perspektive ist fast immer ein bildhafter Prozess. Eine mehrdimensionale Spurensuche durch die Dynamik der Zeit zwischen Vergangenheit und Zukunft.

Corona hat sie wie die allermeisten Kollegen in der Kreativszene eiskalt erwischt: Die Galerien waren lange geschlossen, keine Ausstellungen, keine Messen, kein Austausch. Erst vor zwei Jahren ist sie von Düsseldorf nach Lorsch gekommen. An der Benediktinerstraße fand sie ein Haus nebst einer alten Schreinerei, die sie zum Atelier umbaut. Auf zwei Etagen sind einige ihrer Objekte archiviert. Alexandra Klawitter hatte gerade damit begonnen, in der Region Fuß zu fassen, als die Pandemie alle Lichter ausgeschaltet hat.

Die Arbeit im Atelier ging indes unentwegt weiter. Heidrun schaute zu. Eine lebensgroße Bronze, die an die Met-spendende Himmelsziege aus der nordischen Mythologie angelehnt ist. Aus ihren Eutern tranken die gefallenen Krieger, die bei Odin gelandet waren. Die Plastik repräsentiert das prominente Faible der Künstlerin für Tiere, die sich als zentrales Motive durch ihr gesamtes Werk ziehen. Es geht um Rolle und Symbolik, Mythos und Märchen, Ästhetik und Morphologie – und immer wieder um das spannungsgeladene Verhältnis zum Menschen zwischen inniger Zuneigung und industrieller Verwertung.

Existenzielle Fragen

Es sind existenzielle Fragen, die Alexandra Klawitter umtreiben. Im künstlerischen Prozess nähert sie sich der Kreatur, befreit sie aus kulturhistorischen Zwängen und tradierten Rollenmustern, um zu ihrer Essenz zu gelangen. Die betont expressive Darstellung zeigt das Tier meistens in Bewegung und offenbart die hohe Meisterschaft der Künstlerin, was anatomische Kenntnisse und handwerkliche Umsetzung angehen. Zwischen Körperlichkeit und Abstraktion erschafft sie in der Werkgruppe „Zyklus Mänadenzug“ rätselhaft betörende Mischwesen aus einer Zwischenwelt, in der sich das Göttliche mit dem Banalen, Erdverwachsenen trifft. Ein Ritt durch die Kunstgeschichte, so die Künstlerin.

In „Wald vor Wild“ zeigt sie mehrere Tierfiguren, die gleichsam durch eine Art Exoskelett getragen werden und eine filigrane, sehr faserige Struktur aufweisen. Durch pointierte Spots werfen die Tiere einen Schatten an die Wand, der eine zusätzliche Dimension eröffnet und an die Ästhetik der expressionistischen Filmkunst von Fritz Lang erinnert. „Romantiker sind Freidenker, keine Rückwärtsgewandten“, so Klawitter neben ihrem bedrohlich gebückten, ein Meter langen Wolf-Zerberus aus gefundenem Robinienholz, das mit Wachs überzogen und in Bronze gegossen ist.

Dreidimensionale Zeichnungen

Auch Wildschweine und Hasen sind in dieser Machart hergestellt und weisen bei aller Eleganz und Feingliedrigkeit eine bisweilen verstörend gespenstische Qualität und magische Komponente auf. Auch hier wird ein Dualismus zwischen innerer und äußerer Welt deutlich, der den Betrachter zu einer intensiven Auseinandersetzung mit diesen „dreidimensionalen Zeichnungen“ zwingt, wie die Künstlerin ihre Plastiken auch bezeichnet. Mit ihrem vitalen und künstlerisch produktiven Interesse am Motiv und der Bedeutung des Tieres in der Kunst folgt die Wahl-Lorscherin großen Namen von Albrecht Dürer über Franz Marc bis Joseph Beuys.

Dass sie diesem Ansatz nicht mit vordergründiger Moral folgt, sondern auch tiefgründige Dimensionen wie ökologische und ethische Fragen einbezieht, fügt ihrer Kunst eine zivilisationskritische Ebene hinzu. Alexandra Klawitter thematisiert die Zersiedelung von Grünflächen und den Verlust von Kulturlandschaften – auch in der Region rund um ihren Geburtsort Bremen. Sie kommentiert den Missbrauch und die Ausbeutung von Nutztieren und die sinkende Artenvielfalt, kritisiert die Praxis der Jagd und des Schächtens. Im Zyklus „Suburban Wilderness“ geht es um die Anpassung der Tierwelt an urbane Lebensräume, in ihren Dioramen inszeniert sie ganze Landschaftsszenen und geologische Prozesse, die vom Menschen massiv beschleunigt wurden.

Schon als Kind (sie ist Jahrgang 1973) hat sie sich für Tierschutz und die Zusammenhänge in der Natur interessiert. Der Weg in die Kunst war früh klar. Nach dem Abitur und einem kurzen Umweg über eine Ausbildung zur Speditionskauffrau begann sie ein Designstudium an der Hochschule Anhalt in Dessau. In Halle studiert sie an der Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein Bildhauerei, es folgen mehrere Aufbaustudiengänge. 2008 wird sie mit dem Nachwuchsförderpreis der Darmstädter Sezession ausgezeichnet.

Ausstellungen seit 20 Jahren

Seit 20 Jahren ist sie mit Einzel- und Gruppenausstellungen präsent. Zuletzt in Mannheim und Düsseldorf. Dann kam Corona. „Eine schwierige Zeit für freischaffende Künstler“, sagt sie. Förderprogramme seien allzu häufig an strenge Vorgaben gebunden, so dass nur sehr wenige in den Genuss von Hilfen kämen. In Hessen etwa wurden in Anlehnung an Rheinland-Pfalz Arbeitsstipendien vergeben, die darauf abzielen, dass Künstler über neue Projekte ihre selbstständige künstlerische Tätigkeit nachweisen. Dafür ist auch eine Mitgliedschaft in der Künstlersozialkasse (KSK) Voraussetzung. Bei solchen projektbezogenen und damit sehr exklusiven Überbrückungsstipendien werde die Alltags- und Lebensrealität von Künstlern allerdings nicht ausreichend berücksichtigt, so Alexandra Klawitter, die bislang keine Förderung in Anspruch genommen hat.

„Es heißt immer, die Kunst müsse frei sein. Und das ist auch richtig. Doch wenn eine Jury darüber entscheidet, ob eine künstlerische Arbeit gefällig ist oder nicht, muss man diesen Anspruch wohl in Frage stellen.“ Sie versteht die Kunst als ein elementares Korrektiv der Macht, das unabhängig und frei bleiben müsse. So steht es auch im Grundgesetz. Dementsprechend müsse der Staat Kulturschaffende und Institutionen fördern, um deren Unabhängigkeit vom freien Markt zu sichern. „Ich bezweifle, dass dies seit Beginn der Pandemie tatsächlich der Fall ist“, so die Bildhauerin.

Sie freute sich, dass eine Ausstellung gemeinsam mit der Konzeptkünstlerin Satomi Edo im Frühjahr in Münster zumindest als Präsentation durch ein Schaufenster und so mit Distanz und Sicherheit stattfinden konnte. Anschließend widmete sie sich dem weiteren Ausbau ihres Lorscher Ateliers und dem innigen Dialog mit ihren vieldimensionalen Wunderwelten und facettenreichen Kreaturen, die ungeachtet der äußeren Situation sicher auch weiterhin ihr rätselhaft faszinierendes Eigenleben pflegen werden.

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