Zwingenberg. Moussierend wie Champagner, trocken wie ein guter Martini und feinherb-süß wie ein ordentlich gemixter Cosmopolitan: So vielfältig schmeckt ein Abend mit Denis Wittberg und seinen Schellack-Solisten. Das Ensemble serviert leichte Muse auf hohem Niveau. Tango und Foxtrott im Abendanzug, Chansons und Couplets mit Fliege – und Schlager aus einer Zeit, in der dieser Begriff noch nicht mit hohlen Bumms-Refrains in Seifenlauge assoziiert wurde.
Frech, frivol und geistreich waren auch die Lieder, die sich am Samstagabend im Theater Mobile durch die Gehörgänge des Publikums geschlängelt haben – ein wunderbarer Saisonabschluss vor der Sommerpause, die am 8. September enden wird. Interessanterweise wieder mit Liedern aus den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts.
Mit augenzwinkernder Ironie und fescher Theatralik
Denis Wittberg und seine Schellack-Solisten, darunter der Heppenheimer Christian Seeger am Saxofon, haben auch in Zwingenberg mit handgefertigter Musikalität im Revue-Stil überzeugt. Die ausgesuchten Werke erstrahlten in einer feinen orchestralen Klangqualität von kammermusikalischer Dichte mit einer bisweilen augenzwinkernden Ironie und feschen Theatralik, für die in erster Linie der Bandleader verantwortlich ist.
Mit seinem unterkühlten Charme und dem kultivierten Habitus des echten Herrn servierte der Sänger eine Zusammenstellung von bekannten Schlagern mit brandaktuellen und zeitkritischen Texten quasi auf dem silbernen Tablett.
„Heute Abend bin ich frei” lautete der erste Titel des Abends, der auch namensgebend für das aktuelle Programm ist, das keine billige Nostalgie an sentimentale Greise verhökert, sondern die Qualität betagten Liedguts in einem durchaus frischen und kreativen Maßanzug neu über den akustischen Laufsteg schickt.
Newsletter "Guten Morgen Bergstraße"
Das geneigte Zwingenberger Publikum wusste das wirklich sehr zu schätzen. Entsprechend üppig, aber immer höflich moderat rauschte auch der Applaus durch den gut besuchten Gewölbekeller.
Ein aromatisches Bonbon der Gruppe ist der wiederkehrende Versuch, deutsche Songs aus den frühen 80er Jahren im Look der Goldenen Zwanziger zu präsentieren. Das funktioniert erstaunlich gut, beispielhaft zu hören bei Trios „Da Da Da ich lieb dich nicht du liebst mich nicht aha aha aha“ (so lautet der korrekte Titel), das mit seiner minimalistischen Gradlinigkeit u nd der lyrischen Stringenz durchaus ins historische Repertoire der Schellack-Solisten passt.
Die Exponate aus der Flegelphase des deutschen Schlagers waren ja auch oftmals von einer kindlichen Naivität und dramaturgischen Schlichtheit, mit einfachen Texten und banalen Reimen. Es gab Pinien in Argentinien und Onkel Bumba aus Kalumba, der natürlich Rumba tanzte. Wittberg inszeniert diese Musik unverkrampft und authentisch, immer amüsant, aber niemals albern oder anbiedernd.
Auch „Major Tom“ von Peter Schilling hob im Theater Mobile sehr gekonnt vom Erdboden ab und präsentierte sich – völlig losgelöst von konventionellen Liedstrukturen – in einer intergalaktisch grenzenlosen Freiheit, grandios angereichert mit Elementen aus dem Intro der originalen TV-Serie „Raumschiff Enterprise“. Einer der Höhepunkte des Konzerts aber dürfte „Das Model“ von Kraftwerk gewesen sein: ein betörend kühles Tango-Arrangement von plastischer Schönheit und schnörkelloser Eleganz. Daran hatten auch die beiden Damen im Herren-Ensemble maßgeblichen Anteil. Katrin Becht am Flügel und Clara Holzapfel an der Violine machen den Sound noch filigraner und kristallener.
Das Fundament bilden Tuba, Saxofone und Klarinetten sowie Trompeten, Posaunen, Gitarre und Bass sowie ein rhythmisches ausgefeiltes Schlagwerk. Das Orchester bot ganz großes (Akustik-) Kino mit bekannten und weniger bekannten Klassikern in einem kontrastreichen Mix aus Jive, Rumba, Swing, Cha Cha Cha, Swing und Foxtrott. Instrumental vollendet und gesanglich meisterhaft.
Ob „Mein Bruder macht beim Tonfilm die Geräusche“, Georg Kreislers „Das Mädchen mit den drei blauen Augen“ oder das wunderbare „Cheek to Cheek“ von Irving Berlin, das er für den Fred Astaire/Ginger Rogers-Film „Ich tanz’ mich in dein Herz hinein“ („Top Hat“) aus dem Jahr 1935 komponiert hatte. Von Erhard Bauschke stammt „Ich geh’ ins Wasser“, und Kurt Schwabach stellte 1930 fest: „Mein Hund beißt jede hübsche Frau ins Bein.“ Denis Wittberg interpretiert diese patinierten Klang-Perlen hochgradig edel und charismatisch, immer snobby und physisch wie textil atemraubend vollendet vom Scheitel bis zur Sohle.
Im zweiten Set erschien das Orchester in weißen Dinnerjackets und der Sänger im Frack. „In einer kleinen Taxe“ (Kurt Widmann) ging der zweite Teil dieser hörenswürdigen Tour los – geleitet von einem Ensemble, das klassische Tanz- und Unterhaltungsmusik zeitgemäß interpretiert und sie somit dauerhaft am Leben hält. Leichter Genuss mit anregender Wirkung und langem Abgang.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/zwingenberg_artikel,-zwingenberg-schellack-solisten-konzert-theater-mobile-_arid,2212331.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/zwingenberg.html