Zwingenberg. Das von Bürgermeister Holger Habich und dem Darmstädter Cellisten Michael Veit gemeinsam geleitete Festival „Musik-Collagen“ hat sich in seiner dritten Auflage endgültig als echte Bereicherung des Bergsträßer Kammermusikangebotes erwiesen. Wer Entdeckungen abseits des Standardrepertoires machen wollte, konnte hier besonders oft fündig werden.
Exemplarisch dafür war der Auftakt zum zweiten Festivalwochenende, bei dem das Brüsseler Karski Quartet und der Cellist Raphael Feye den Besuchern im nicht ganz gefüllten Diefenbachsaal ein außergewöhnliches Quintettprogramm servierten. Die neben Schuberts singulärem C-Dur-Spätwerk D 956 vorgestellten Raritäten von Luigi Boccherini (1743-1805) und George Onslow (1784-1853) dürften sogar erstmals in der Region erklungen sein.
Drei junge Musikerinnen aus Polen – die sich am ersten Pult abwechselnden Geigerinnen Kaja Nowak und Natalia Kotarba sowie Julia Kotarba am Violoncello – und der belgische Bratscher Diede Verpoest fanden sich 2018 unter dem Namen des legendären polnischen Widerstandskämpfers Jan Karski (1914-2000) zum Karski Quartet zusammen. Ihre vom Gastcellisten Raphael Feye initiierte Debüt-CD mit vier Boccherini-Streichquintetten (darunter eine Ersteinspielung) hatten die Musiker jetzt auch in Zwingenberg im Gepäck. Als konzertante Kostprobe gab es das 1788 entstandene f-Moll-Quintett opus 42/1 (G 348), das durch Zitate aus Boccherinis eigenem „Stabat Mater“ von 1781 besonders persönliche Expressivität gewinnt.
Dem famos harmonierenden Ensemble gelang eine veritable Ehrenrettung des notorisch unterschätzten Wahl-Spaniers, der eben weitaus mehr war als nur eine blassere Haydn-Variante mit galanten Kleinigkeiten wie dem berühmten Menuett aus dem E-Dur-Quintett opus 11/5. Melodiöse Klangsinnlichkeit, tänzerisch-virtuoser Elan, melancholische Innigkeit, dazu koloristisch-dynamische Finesse satt: Hier stimmte einfach alles. Bessere Boccherini-Anwälte wird man derzeit wohl kaum bekommen.
Ein ähnlich produktiver Kammermusikmeister war George Onslow, der einst gar als „französischer Beethoven“ galt und auch von großen Kollegen wie Mendelssohn oder Berlioz sehr gelobt wurde. Durchaus nachvollziehbar erschien diese Wertschätzung angesichts des an einen Jagdunfall Onslows erinnernden „Kugel-Quintetts“ c-Moll opus 38 von 1829, dessen lyrische und dramatische Farbenfülle die „Karskis“ und Raphael Feye mit hinreißender Spiellaune und Detailfreude zelebrierten. Wie sich in dem fein gearbeiteten Viersätzer klassische Formkunst und romantische Klangeleganz ganz natürlich verbinden, bereitete wahrhaft ungetrübtes Hörvergnügen.
Wie perfekt die Karski-Feye-Kombination funktioniert, konnte man dann erst recht im krönenden Schubert-Quintett aus dem Todesjahr 1828 bewundern. Zur sinfonischen Weite der beiden souverän vertieften Eingangssätze gesellte sich vor allem im furiosen Scherzo und im steigerungsmächtigen Finale ein von kompromissloser Lebenssehnsucht beflügelter visionärer Aufbruchsgeist, der dem oft eher als Endzeitmusik gedeuteten Werk sehr wohl auch eigen scheint. Schubert wollte zu neuen Ufern und hatte noch viel vor: Bei den belgischen Gästen kam dies so suggestiv heraus wie selten.
Wunderbar leuchtkräftiges Ausdrucksmedium für das Zwingenberger Konzertprogramm waren fünf prächtige neue Instrumente aus der Antwerpener Werkstatt von Anton Somers (Jahrgang 1986). George Enescus folkloristisches Kabinettstück „Hora Unirei“ von 1917 folgte nach starkem Applaus als entfesselte Zugabe.
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