Zwingenberg. Die erzwungene Stimmlosigkeit des Konzerts wurde von einem famosen Ensemble aufgefangen. Denn leider war Sänger Marcelo Paletta, ein gebürtiger Argentinier mit italienischen Wurzeln, kurz vor dem Zwingenberger Gastspiel an Covid-19 erkrankt. Daher musste die Gruppe Tango Marcando das Programm binnen weniger Tage neu arrangieren. Das Publikum im ausverkauften Theater Mobile erlebte eine Reise durch die Biografie des Tango Argentino vom Goldenen Zeitalter bis zur stilistischen Renaissance durch den Tango Nuevo durch Astor Piazzolla in den 60er und 70er Jahren.
Dichte Intimität und voller Energie
Stolz und Pathos, Leidenschaft und Melancholie, Feuer und Schmerz: Die emotionale Spannweite im Gewölbekeller war so flirrend wie die Authentizität der dargebotenen Musik, die historische Arrangements in traditioneller Orchesterbesetzung auf den Punkt zu bringen weiß.
Diesmal kam das Ensemble als Quintett nach Zwingenberg. Mit Norbert Kotzan am Bandoneon, Claudia Louise Weigand an der Violine, Georg Lehr am Violoncello sowie Margarete Schurmann-Spengler am Flügel und Kai Spengler am Kontrabass. Und auch in kleinerer Besetzung erzeugen Tango Marcando eine dichte Intimität und musikalische Energie, die im Mobile perfekt zum Ausdruck kam.
Die klangliche Eleganz und farbenreiche Dramatik des Tangos entfaltete sich durch das hohe instrumentale Niveau der Künstler, die durchweg ein tiefes Verständnis für diese seelenvolle Musik zeigen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von süd- und osteuropäischen Auswanderern in den Armevierteln von Argentinien und Uruguay entstanden war.
Wunderbar harmonisch
Das in der Region beheimatete Tango-Kollektiv, das schon wiederholt in Zwingenberg zu Gast war, bestach erneut durch eine feinfühlige Annäherung an den Tango, die ohne jegliche Überzeichnungen oder klangliche Ornamentik auskam. Die faszinierende Dynamik und intensive Klangwärme des wunderbar harmonierenden und leidenschaftlichen kleinen Orchesters übertrugen sich schnell auf das Publikum. Nur getanzt wurde diesmal nicht. Aus naheliegenden Gründen.
Der „Nostálgico“ von Julian Plaza war ein standesgemäßer Auftakt und beinahe schon beispielhaft für das musikalische Profil des Ensembles. Ein Stück, das auf traditionell verwurzelten Texturen gründet und in seiner stilistischen Ausformulierung zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung im Jahr 1962 als modern und avantgardistisch galt. Eine moderne Retrospektive, bei der die Musiker viel Esprit und Ausdruck offenbarten. Bei Plazas „Buenos Aires – Tokio“ waren subtile asiatische Motive erkennbar.
Eleganz, Leidenschaft und süße Melancholie waren auch in „Melancolico Buenos Aires „ von Astor Piazzolla die tragenden Elemente. Hier wurde deutlich, wie brillant er die Harmonien des Tangos mit Mitteln des Jazz ausgeweitet und bereichert hatte.
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Die Spieltechnik der Instrumente wurden durch Anleihen aus der Neuen Musik modernisiert, ohne das Wesentliche des Tangos wie die typischen synkopischen Rhythmen, die harmonischen Wendungen und der Kontrast zwischen heiterem Stakkato und melancholischer Schwere aufzugeben. Im Tango bedeutet Melancholie aber nicht depressive Verlorenheit, sondern lustvolles Leid und konstruktiver Schwermut, kreativer Weltschmerz und reinigende Empathie.
Eine Hommage an zeitlose Musik
Piazzollas getragenes „Tanti anni prima“ („Ave Maria“) vereint diesen Stimmungs-Cocktail perfekt. Am 11. März 2021 wäre der argentinische Komponist und Bandoneon-Spieler 100 Jahre alt geworden. Die Pandemie hat dieses Datum wie so viele andere an den Rand der öffentlichen Wahrnehmung gedrängt. Piazzollas Oevre bleibt.
Eines seiner bekanntesten Stücke ist „Adios Nonino“, das er 1959 in New York in Erinnerung an seinen Vater komponiert hat. Auch der Klassiker „Oblivion“ („Vergessen“) wurde dem Zwingenberger Publikum am Samstag nicht vorenthalten. Das Beispiel eines langsamen Tangos, der sich zum klassischen Konzertstück wandelte. In der Urfassung erhebt sich über dem Klangteppich der Streicher das Solo des Bandoneons. Tango Marcando hatte diese Perle als Zugabe bereits zu Beginn des Konzerts angekündigt.
Weitere Komponisten des Abends waren Carlos Gardel („El día que me quieras“), eine der wichtigsten Persönlichkeiten des Tangos in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, sowie Coco Nelegatti („Milonga Del Serafín“) und Osvaldo Fresedo, der mit „Buscandote“ einen wunderbar klassischen Tango geschaffen hat. Das Konzert im Theater Mobile war eine einzige Hommage an eine zeitlose Musik, die 2009 von der UNESCO zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit aufgenommen wurde. Langer Applaus für ein zwar reduziertes, aber künstlerisch uneingeschränkt starkes Tango-Ensemble.
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