Bensheim. Dass man sich bereits bei 40 Gästen das Attribut „ausverkauft“ ans Revers kleben darf, ist den aktuellen Rahmenbedingungen im Kulturbetrieb geschuldet. Doch auch ohne Corona wäre das PiPaPo-Theater am Sonntagabend sicherlich voll besetzt gewesen. Denn mit dem Mannheimer Trompeter und Bandleader Thomas Siffling war einer der derzeit besten deutschen Jazzmusiker zu Gast in Bensheim. Sein noch recht frisch formiertes Mediterranean Trio servierte Standards und Klassiker in Traumbesetzung.
Mit dem zweiten Konzert der Saison hat das Haus gemeinsam mit dem Förderkreis Kleinkunst und Kultur schon jetzt ein dickes Ausrufezeichen gesetzt. Besser hätte die Jazzkeller-Reihe nach der langen Abstinenz kaum durchstarten können. Das Trio mit dem Akkordeonisten Laurent Leroi und der jungen Bassistin Shana Moehrke gastierte mit dem Programm „My Favorite Songs“, in dem Siffling eine Auswahl von Lieblingsstücken zusammengestellt hat. Durch die Instrumentierung mit Flügelhorn, Kontrabass und dem wunderbar singenden Akkordeon des Virtuosen Leroi haben die Titel eine ganz neue Qualität und Intensität geatmet, die vom Publikum mit langem Applaus kommentiert wurde.
Die direkte und unbestechliche Akustik des Gewölbes verrät nicht nur jedes noch so leise Zuschauerflüstern: Auch der warme, zart schmelzende und indirekte Klang des Horns erfüllte an diesem Abend jeden Quadratzentimeter des Raums, in dem sich das lyrische Spiel und der volle Sound des 48-jährigen Jazzers wunderbar entfalten konnten. Und auch die Kommunikation mit den anderen funktionierte traumwandlerisch, wobei insbesondere die wiederkehrenden Dialoge mit Laurent Leroi (etwa bei „Blue Bossa“) für etliche Glücksmomente gesorgt haben.
Der in Straßburg geborene Komponist, Arrangeur, Film- und Theatermusiker ist in der regionalen Szene längst eine feste Größe. Thomas Siffling kennt ihn seit 20 Jahren, doch auf der Bühne haben sich beide erst vor kurzem vereint. 2004 ist er von Mannheim auf die andere Rheinseite nach Ludwigshafen gezogen. „Seither kann ich nach Hause laufen, statt schwimmen zu müssen“, sagte er in Anspielung auf seine elsässische Herkunft.
In Bensheim erlebten die Zuhörer jazzige Erkundungsstreifzüge voller Fantasie und Abenteuerlust. Wild tosende Soli wechselten sich ab mit erdenschwer melancholischen Passagen, Power und Poetik waren an diesem Konzertabend ganz nah beieinander.
Laurent, Jahrgang 1960, reißt Grenzen ein und spaziert als musikalischer Weltenbummler ebenso charmant wie technisch vollendet durch Valse und Musette, Tango und Bossa nova, Swing und Modern Jazz. Gleich zum Auftakt setzte die charismatische Spielfreude des Trios in „My Little Suede Shoes“ von Charlie Parker grandiose Akzente – und man hätte ahnen können, was dem noch folgen sollte.
Das Akkordeon-Solo mitten im betont bluesigen „Summertime“ von George Gershwin (in a-Moll) war an improvisatorischer Energie, frecher Raffinesse und fein akzentuierter Kraft kaum zu überbieten. Aber auch die Tempiwechsel in Duke Ellingtons Standard „Caravan“ gerieten famos, zudem das Trio den orientalischen Unterbau des Stücks noch mehr in den Vordergrund platziert und dem Klassiker somit eine geheimnisvolle exotische Aura geschenkt hat.
Bei „La Vie en Rose“ oder Charles Trenets bezaubernd schönem „La Mer“ als einziger Zugabe (Standard bei Siffling) kam der samtweiche und niemals aufdringliche Ton des Bläsers beispielhaft zur Geltung. Die farbenreiche Eleganz und klangliche Ästhetik in Thomas Sifflings Spiel fühlte sich in dieser sehr intimen Besetzung besonders wohl. Rhythmische Präzision und seelenvolle Coolness fusionierten auf höchstem Niveau. Der französisch leichte Zungenschlag war immer spürbar. Und die Abwesenheit eines Schlagzeugs war keinerlei Verlust, denn an Druck und Tempo mangelte es dieser schlanken Formation nicht im Geringsten. Mit ein Grund war Shana Moehrke.
Die 24-jährige Bassistin gehört zum künstlerischen Umfeld von Sifflings Mannheimer Jazzclub „Ella & Louis“ und überzeugte in Bensheim mit einem klaren und sehr konkreten Sound, der sich nicht mit einer sklavischen Rolle als purer Rhythmusgeber zufrieden gibt, sondern immer wieder solistisch in Erscheinung tritt und die anderen Musiker antreibt und inspiriert. Ihr Bass ist ruhig und straight, gleichzeitig aber groovig und swingend auch in den sanfteren Momenten wie in Bill Evans’ „Beautiful Love“ oder beim flotten Standard „All Of Me“.
Eines der emotionalsten Stücke des durchweg brillanten Konzerts war sicherlich der Bossa „Manha De Carnaval“ aus dem Film „Orfeu Negro“, den Laurent Leroi voller Hingabe und Empathie auf seine eigene Weise interpretiert hat. Als größtmöglicher Kontrast wurde wenig später mit „Sunny“ ein vielfach gecoverter Soulsong von Bobby Hebb angestimmt, der im PiPaPo sogar auf ein paar textsichere Gäste traf. Thomas Siffling und Co. agierten den ganzen Abend über nah am Publikum. Ein musikalisch starkes und sympathisch unprätentiöses Trio, das von Garvin Brod aus dem Vorstand des Förderkreises erstmals in Bensheim begrüßt wurde.
Wie bereits im vergangenen Jahr angekündigt, will sich der Verein auf die Unterstützung des Kellertheaters und des Festivals „Vogel der Nacht“ konzentrieren. Die Jazz-Reihe läuft unter der Regie des PiPaPo-Teams unter Federführung von Tanja Weber weiter. Garvin Brod ist in der Koordination der Jazzkonzerte aktiv. Der Professor für Psychologie an der Goethe-Universität Frankfurt hatte vor seiner wissenschaftlichen Laufbahn ein Musikstudium mit Schwerpunkt Jazz absolviert. Den nötigen Stallgeruch bringt er also mit.
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