AK Synagoge

NS-„Euthanasie“ aus der Perspektive der Opfer

Der Kulturwissenschaftler Christoph Schneider berichtet über die Tötungsanstalt Hadamar

Von 
red
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Zwingenberg. Tausende Menschen mit seelischen Krankheiten oder Behinderungen wurden 1940/41 in den Gaskammern der sechs „Euthanasie“-Tötungsanstalten ermordet, andere starben zwischen 1942 und 1945 an den Folgen von überdosiert verabreichten Medikamenten und an Mangelernährung. Insbesondere in dieser Phase gab es auch zahlreiche Überlebende. Von ihnen und ihren Angehörigen gibt es Briefe und Vernehmungsprotokolle, die der Kulturwissenschaftler Christoph Schneider gesichtet hat. Über diese Innenansicht berichtet der Autor, der seit vielen Jahren zur NS-„Euthanasie“ forscht, am 14. März, Donnerstag, um 19 Uhr bei einer Veranstaltung des Arbeitskreises Zwingenberger Synagoge, im Saal des Alten Amtsgerichts (Obertor 1).

„Hadamar von innen“, so auch der Titel seines Buchs, meint den Blick der Angehörigen hinter die Fassade der Lügen und Falschbeurkundungen. Gleichzeitig bezeichnet es für den Autor „einen Sprechort für Opfer – wie Theophil Henning, dem es gelang, Postkarten aus der Anstalt heraus nach Hause zu schicken“.

Keine Nachfragen

Angehörige von Ermordeten und Überlebende von Hadamar haben sich nach der Befreiung an die Justiz gewandt und von den Geschehnissen berichtet. Schneider beschäftigt die Fragen: Warum fragte niemand nach ihren Geschichten, als in den 1960er Jahren in der Bundesrepublik die Aufmerksamkeit für die NS-Verbrechen in den Konzentrations- und Vernichtungslagern erwachte? War dieses mangelnde Interesse ein Nachhall nationalsozialistischer Ideologie oder waren die Bilder vom „armen Irren“, gepaart mit dem niedrigen sozialen Status dieser Opfer, noch immer in den Köpfen vieler Deutscher? Die Tatbeteiligten in Hadamar wie an anderen Tatorten haben dazu beigetragen, den mörderischen Umgang mit den Opfern zu verschleiern: Denn in allen Fällen wurde eine natürliche Todesursache in die amtliche Sterbeurkunde eingetragen. Zwar gab es seit den 1980er Jahren viele Arbeiten, in denen das Vorgehen der Tatbeteiligten erforscht wurde; manche Klischees und Stereotype über die Opfergruppe aber wurden nicht durchbrochen.

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Die Briefe, Eingaben und Wortmeldungen der Betroffenen zeigen eine unbekannte Perspektive – wie Christoph Schneider es formuliert: „Ein notwendiges Korrektiv der historischen Darstellung Hadamars, die bislang fast ausschließlich auf Täteraussagen und -dokumenten beruht.“ Er wird bei seinem Vortrag zeigen, wie die Zeugnisse der Opfer aus dem Innern Hadamars gleichzeitig den Blick auf die Tat- und Nachgeschichte der NS-„Euthanasie“ öffnen. red

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