Zwingenberg. Wenige Stunden vor Veranstaltungsbeginn musste der Pianist Moritz Winkelmann seinen Auftritt beim dritten Konzert der neuen Klassikreihe „Musik-Collagen“ krankheitsbedingt absagen. Zum Glück wurde Mitorganisator Michael Veit vom Staatstheater Darmstadt im Kreis der Kollegen fündig und konnte so ein hochkarätiges Sopran-Klavier-Duo als Ersatz gewinnen. Statt solistischer Klaviermusik erlebten rund zwei Dutzend Besucher im Diefenbachsaal ein ergiebiges Potpourri populärer Opernarien, dargeboten von der amerikanischen Sopranistin Megan Marie Hart und ihrem italienischen Klavierbegleiter Giacomo Marignani.
Die aus dem kalifornischen Santa Monica stammende langjährige Schülerin der Sopranlegende Marilyn Horne ist Vertreterin des sogenannten „lirico spinto“-Faches, also eines Stimmtimbres mit lyrischer Grundierung und dramatischen Expansionsmöglichkeiten. 2015 bis 2020 war sie am Landestheater Detmold engagiert, wo sie bereits viele wichtige Titelpartien gesungen hat. 2020 wechselte Hart ans Staatstheater Darmstadt. Dort steht ab kommendem Samstag Mozarts Oper „Don Giovanni“ auf dem Programm, in der sie mit der Donna Anna eine ihrer Lieblingsrollen verkörpern wird. Giacomo Marignani zählt als Solorepetitor und „Maestro suggeritore“ („Meister des Vorsagens“ = eine Art Edelsouffleur) seit mittlerweile acht Jahren ebenfalls zum Ensemble des Darmstädter Opernhauses.
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Hart ebenso kraftvolle wie ausgewogene, in allen Registern intensiv gefärbte wie sicher geführte „lirico spinto“-Stimme sorgte schon im eröffnenden Händel-Hit „Lascia ch’io pianga“ aus „Rinaldo“ (1711) für unmittelbare Faszination. Diese mit natürlichem Charisma gesegnete Sängerin hatte ihr Zwingenberger Publikum vom ersten Ton an fest im Griff. Ihre besondere Leidenschaft und Sensibilität für Mozart dokumentierte sie eindrucksvoll mit den Arien „Non mi dir bell’ idol mio“ aus „Don Giovanni“ sowie „Porgi amor“, „Dove sono i bei momenti“ und „Deh vieni non tardar“ aus „Le nozze di Figaro“ - letztere als ebenso überraschender wie gelungener Ausflug ins „leichtere“ Sopranfach. Hart bot einen Mozart aus Fleisch und Blut, ausgesprochen sinnlich und ohne falsche Geziertheiten.
Mit viel Feinschliff
Den perfekten Einstieg in die Opernromantik des 19. Jahrhunderts lieferte Bizets „Je dis que rien ne m’épouvante“ aus dem 1875 uraufgeführten Welterfolg „Carmen“. Megan Marie Hart und ihr außergewöhnlich klangschön begleitender Klavierpartner verrieten hier bestes französisches Stilgefühl.
Dieser Feinschliff ließ erahnen, dass beide auch als Liedduo eine gute Besetzung sein dürften. Große Oper war dann aber endgültig angesagt beim anschließenden Puccini-Block, dessen Prachtnummern „Donde lieta usci“ („La Bohème“) und „Un bel di vedremo“ („Madama Butterfly“) die wahrhaft schwelgerisch gestaltende US-Amerikanerin ganz in ihrem expressiven Element zeigten. Einzig den zarten Ohrwurm „O mio babbino caro“ aus „Gianni Schicchi“ hätte man sich wohl noch etwas schlichter vorstellen können.
Wagners „Einsam in trüben Tagen“ aus dem 1850 herausgekommenen „Lohengrin“ vereinte zum krönenden Ausklang nochmals vokale Opulenz und pianistische Delikatesse auf höchstem Niveau. Exquisit auch die vom Zwingenberger Publikum lautstark geforderte Zugabe: Mit Reynaldo Hahns lyrischem Liedjuwel „A Chloris“ (1913) auf Verse des französischen Barockdichters Théophile de Viau schlugen Hart und Marignani einen wunderbaren Bogen zurück zum ähnlich gestimmten Händel-Auftakt ihres einstündigen Leckerbissenprogramms im Diefenbachsaal.
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