Zwingenberg. Kein einziger Stuhl war im Theater Mobile mehr frei, als der Mentalmagier und Gehirnakrobat Harry Keaton am frühen Sonntagabend mit seinem Programm „Mein Gehirn und ich“ an den Start ging. Eigentlich wäre es sogar ein für die ganze Familie geeignetes Programm gewesen – wofür auch die Uhrzeit gut gepasst hätte, gekommen waren aber ausschließlich Erwachsene aller Altersklassen. Mit seiner Show war Keaton schon mehrfach in der Region und auch in Zwingenberg zu Gast.
Der mit mehreren Auszeichnungen der Zauberkunst dekorierte promovierte Amerikanist aus Offenbach verspricht Antworten auf faszinierende Rätsel, wie etwa auf die Frage, was es mit der vielzitierten Schwarmintelligenz auf sich hat oder wie man sich unglaublich viele Fakten merken kann. Doch natürlich verriet Harry Keaton das gar nicht, sondern zielte auf das Vergnügen der Zuschauer am fassungslosen Staunen darüber, was ein Gehirn leisten kann – demonstriert vom Meister selbst.
Lange Originalpassagen aus Shakespeares Werken
Keaton legte auf der Bühne Kostproben seines sensationellen Gedächtnisses ab, etwa, wenn er superlange Passagen aus einer Gesamtausgabe von Shakespeares Werken in der Originalsprache aufsagte oder das letzte Wort auf einer von einem Zuschauer zufällig herausgesuchten Seite nennen konnte. Wer auf Tipps gehofft hatte, wie man zu solchen Leistungen fähig wird, wurde enttäuscht. Vermutlich aber gibt es hier wie meist im Leben keinen einfachen Trick, sondern ohne Fleiß keinen Preis. Ebenfalls keine Zauberei war jedenfalls im Spiel, als Keaton auf Zuruf von Kalenderdaten den jeweils passenden Wochentag und ein zugehöriges Weltereignis nennen konnte – eine Fähigkeit, die zum Teil wohl auf eine im Ursprung von dem Mathematiker Carl Friedrich Gauß entdeckte Formel zur Berechnung des Wochentags zurückgehen dürfte – die jedoch so kompliziert ist, dass ihre spontane Anwendung vor Publikum eine enorme Konzentrationsfähigkeit voraussetzt. So unterliefen dem Mentalmagier auch gleich mehrere Rechenfehler, die zur wiederholten Ansage falscher Wochentage führten.
Das Thema Gehirn bildete den roten Faden für die Show auch dann, wenn es eher handwerklich zuging. So band Keaton mehrere Seiltricks in das Thema ein, indem er das Seil mit durchaus schwarzem Humor als Hirnwindung eines verstorbenen Freundes auf die Bühne brachte.
Gäste mit bislang unbekannten telepathische Fähigkeiten
Beeindruckender aber war letztlich all das, was sich im Kopf der lebend Anwesenden abspielte. So bewies ein Ehepaar aus Seeheim anhand der Begriffe „Airbag“ und „Sicherheitsnadel“ vor aller Augen telepathische Fähigkeiten, von denen es ganz offensichtlich selbst nichts geahnt hatte.
„Das kann doch gar nicht sein“ dachte wohl auch jeder, der Keaton dabei zusah, wie er aus der von einem Zuschauer zunächst heimlich gedachten Zahl 76 in Windeseile ein magisches Quadrat entstehen ließ, das in jeder, aber wirklich jeder Rechenrichtung genau diese ihm zunächst unbekannte Zahl ergab.
Keine Magie, sondern viel Zungenfertigkeit brauchte Keaton, um Buchstaben einfach verschwinden zu lassen – mit einer als Sprachakrobatik beeindruckenden und zugleich lustig anzuhörenden Rede. Zuerst verschwand daraus das D, dann das M und nach und nach einige weitere Buchstaben, doch Keaton redete mit unvermindertem Tempo weiter, bis er schloss: „Ich eanke ich“.
Auch über das Wesen der Schwarmintelligenz erfuhren die Zuschauer zwar selbstverständlich nichts, aber sie erprobten sie am eigenen Leib und erlebten, wie Keaton mit Wörtern, die vom gesamten Publikum scheinbar gemeinsam und mit großem Zufallsfaktor aus einer Reihe von Zeitungsschnipseln ermittelt worden waren, den Abschlusssatz des Abends formulierte: „Tolle Magie bei Mobile am Sonntag“.
Kartentrick zum Mitmachen
Am Ende gab es einen schönen Kartentrick zum Mitmachen, der bei all denen perfekt klappte, die alle Anweisungen befolgt hatten. Und dann noch, als Zeichen, dass es auch ganz einfach geht und vor allem auf die Fantasie ankommt, ein Spiel mit einem klappbaren Zollstock, wie er in jedem Haushalt zu finden ist. Keaton ließ daraus unter anderem ein Buch mit blätterbaren Seiten, einen Teddy, den Schiefen Turm von Pisa und einen Hund beim Gassigehen entstehen. Vielleicht eine schöne Anregung zum Nachmachen für alle, die dem Mentalkünstler im Kopfrechnen nicht nacheifern können.
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