Zwingenberg. Die ehemalige Jugendherberge wird die größte Unterkunft für geflüchtete Menschen in Zwingenberg. Bis zu 70 Personen finden dort Platz. Aktuelle leben dort gut 50 Personen, vor allem Familien mit Kindern aus der Türkei.
Die Ursachen sind vielfältig: das repressive Regime, die Gewalt in den Kurden-Gebieten und das Erdbeben in der Grenzregion zu Syrien. Hinzu kommen eine hohe Inflation und die grassierende Arbeitslosigkeit. Viele Menschen aus der Türkei haben sich in den vergangenen Monaten auf den Weg gemacht in die EU. Nicht alle suchen Schutz. Einige wollen einfach ein besseres Leben.
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Das betonte Bürgermeister Holger Habich gleich zu Beginn einer Talkrunde des CDU-Stadtverbands, zu der am Mittwochabend gut 30 Gäste ins Alte Amtsgericht gekommen waren. Man dürfe in der aktuellen Diskussion um Migration nicht den Deutungsrahmen vernachlässigen und müsse unterscheiden, ob ein Mensch freiwillig seine Heimat verlässt – etwa aus wirtschaftlichen Gründen – oder durch Verfolgung, Krieg oder Gewalt dazu gezwungen wird. Denn wann immer von Migranten oder Flüchtlingen die Rede ist, steckt dahinter eine politische Frage sowie jene zur Berechtigung auf Asyl.
Derzeit rund 180 Flüchtlinge
Rund 130 geflüchtete Menschen haben bis vor kurzem in Wohnungen und kleineren Gemeinschaftsunterkünften gelebt, die sich im Besitz der Stadt Zwingenberg befinden oder vom Landkreis Bergstraße angemietet werden. Seit die ehemalige Jugendherberge mit Flüchtlingen belegt wird (wir haben berichtet), sind es gut 50 mehr. Weitere 20 können dort noch aufgenommen werden. „Schaffen wir das?“, wollte der Stadtverbandsvorsitzende Sebastian Clever von seinen Gästen wissen in Anlehnung an Angela Merkels Aussage bei der Bundespressekonferenz im August 2015. Dabei ging es um die Bewältigung der sich in jenem Jahr abzeichnenden Flüchtlingsbewegungen.
Lage auf Arbeitsmarkt schwierig
Die Menschen, die damals nach Deutschland, Hessen und an die Bergstraße kamen, hängen teilweise noch immer in der Luft. Mehr als die Hälfte der Geflüchteten, die 2015 nach Deutschland kamen, sind mittlerweile in Lohn und Brot. Oft arbeiten sie aber in Jobs, für die sie überqualifiziert sind. Mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine setzte eine neue und große Flüchtlingswelle ein.
Weitere Unterkünfte kaum in Sicht
Landrat Christian Engelhardt betonte in Zwingenberg einmal mehr, dass man an seinen Leistungsgrenzen angekommen sei. Auch, wenn die Zahl der zugewiesenen Flüchtlinge aktuell leicht stagniert, sind nutzbare Unterkünfte kaum noch in Sicht. Wie es weitergeht, sei momentan nicht abzuschätzen. Engelhardt geht davon aus, dass der Kreis Bergstraße in den kommenden zwei Jahren insgesamt bis zu 10 000 Menschen aufgenommen haben wird. „Es braucht dringend mehr Wohnraum!“ In Zwingenberg ist Platz ebenfalls knapp. Es sei derzeit nicht absehbar, wie sich die Situation vor Ort entwickeln wird, so Holger Habich. Neben der Jugendherberge sind weitere Unterkünfte im ehemaligen Bauhof und am Sportplatz verfügbar. Habich schließt nicht aus, dass bei einer weiteren Verschärfung der Lage auch in Zwingenberg Container die letzte Option sein könnten, um den Bedarf abdecken zu können. Die leere Jugendherberge sei eine gute und nahe liegende Möglichkeit, um den Bedarf zeitnah einigermaßen bedienen zu können.
Haus Orbishöhe als Alternative
Bei der Suche nach Kapazitäten lagen vier Varianten auf dem Tisch, wie der CDU-Fraktionschef Christoph Neumeister rekapitulierte. Erörtert wurde neben Containern und der weiteren Anmietung von Wohnraum auch der Erwerb des zum Verkauf anstehenden Hauses Orbishöhe. In Gesprächen mit der Nieder-Ramstädter Diakonie habe sich aber herausgestellt, dass man dort in einem anderen zeitlichen Rahmen denkt: „Wir brauchten Platz bereits in diesem Jahr, das war nicht mit den Vorstellungen des Eigentümers vereinbar“, so Neumeister. Auch Wohnungen waren und sind Mangelware. Daher sei der denkmalgeschützte Komplex an der Langen Schneide die beste Lösung gewesen. Auch die Union hatte sich für diesen Weg ausgesprochen.
Geflüchtete vor allem aus Syrien, Afghanistan und der Türkei
Seit Jahresbeginn haben in Deutschland 234 000 Geflohene einen Erstantrag auf Asyl gestellt, rund 17 000 Neuankömmlinge (7,4 Prozent) sind laut Verteilungsschlüssel des Bundes in Hessen unterzubringen. Der Großteil von ihnen kommt aus den Krisenstaaten Syrien, Afghanistan und Türkei. Ukrainer müssen kein Asyl beantragen. Die zentrale Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Hessen befindet sich in Gießen, daneben gibt es weitere Außenstellen unter anderem in Friedberg, am Frankfurter Flughafen sowie in Darmstadt. Das dortige Regierungspräsidium ist zuständig für die landesinterne Verteilung und Zuweisung von Flüchtlingen. Die Landesregierung wiederum hat den Kommunen noch in diesem Jahr zusätzlich 50 Millionen Euro für die Bewältigung dieser Aufgabe versprochen. Bund und Länder haben sich vor kurzem auf eine Finanzierung der Flüchtlingskosten geeinigt: künftig soll für jeden Asylerstantragssteller eine jährliche Pauschale über 7500 Euro gezahlt werden. Diese Bundesmittel sollen im kommenden Jahr zu einer Entlastung bei Ländern und Kommunen in Höhe von rund 3,5 Milliarden Euro führen, so MdL Birgit Heitland. tr
Der Rathauschef unterstrich, dass der bauliche Zustand des Gebäudes in Ordnung sei. Noch läuft der Mietvertrag über die Immobilie. Demnächst seien weitere Maßnahmen geplant, um die Räumlichkeiten aufzuwerten. Auch eine Küche und ein Büro sind geplant. Der Gewölbekeller sei derzeit vom restlichen Komplex abgetrennt. Bislang habe ein örtlicher Winzer Interesse angemeldet, der den Keller als Lagerfläche nutzen würde.
Konsequente Rückführung
Die Zwingenberger CDU-Landtagsabgeordnete Birgit Heitland skizzierte die Migrationspolitik der Landesregierung mit besonderem Blick auf den Heimatlandkreis. Flüchtlinge werden in Deutschland zunächst auf die Länder verteilt, dann auf die Landkreise und schließlich den Städten und Gemeinden zugewiesen. Aktuell kommen in Hessen bis zu 1400 Flüchtlinge pro Woche an, so Heitland. Der Kreis verteilt sie auf die Kommunen, nachdem die eigenen Unterkünfte erschöpft waren. „Wir müssen Menschen mit Bleiberecht bevorzugt behandeln“, so die Abgeordnete.
Alle anderen sollen künftig konsequenter in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden. So könne man legale Zuwanderung von illegaler Migration abkoppeln. Die nächste große Koalition in Hessen aus CDU und SPD hat bereits eine harte Linie angekündigt. Eine klare Rückführungsoffensive soll einer der Eckpunkte des kommenden Koalitionsvertrags sein. Geplant ist auch, dass Flüchtlinge kein Geld, sondern sogenannte Bezahlkarten bekommen.
Mehr Unterstützung erforderlich
Mehr organisatorische Unterstützung fordert der Zwingenberger Arbeitskreis Asyl. Die Ehrenamtlichen begleiten Schutzsuchende vor Ort und unterstützen Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund bei ihrer Integration nachhaltig und gezielt. „Geflüchtete Menschen benötigen Unterstützung im Alltag und bei bürokratischen Herausforderungen“, betonte Christiane Eichhorn. Der Arbeitskreis kümmert sich nach der Öffnung der Ex-Jugendherberge derzeit um knapp 200 Menschen, die in Wohnungen und kleineren Gemeinschaftsunterkünften im Stadtgebiet leben.
Diese sind entweder im Besitz der Stadt Zwingenberg oder werden vom Landkreis Bergstraße angemietet. Der Arbeitskreis appelliert an die Politik, neben den rund 15 ehrenamtlichen Kräften im Kernteam auch die hauptamtlichen Beratungen auszudehnen. Der Bedarf nach fundierter und schneller Hilfe sei momentan enorm.
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