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Die Cittaslow-Spitze zollte Zwingenberg viel Lob für Projekte und Entwicklungen

Die Führungskräfte der internationalen und nationalen Ebene des Netzwerkes lebenswerter Städte waren gemeinsam zu Gast im ältesten Bergstraßenstädtchen

Von 
Thomas Tritsch
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Die Spitzen der internationalen und nationalen Cittaslow-Ebene gemeinsam zu Gast in Zwingenberg – unser Bild entstand beim Stadtrundgang und zeigt (v.l.) Bürgermeister Holger Habich, Übersetzerin Alexandra Bertram, Marita Möllenkamp (Amt für Bodenmanagement), Cittaslow-Präsident Mauro Migliorini, die Zwingenberger Stadtverordnete Cora Bügenburg, Deidesheims Bürgermeister Manfred Dörr (Vorsitzender von Cittaslow Deutschland) und Cittaslow-Generalsekretär Pier Giorgio Oliveti. © Thomas Zelinger

Zwingenberg. Der Kommentar „molto carina“ war am Wochenende in Zwingenberg besonders oft zu hören. Mit „sehr hübsch“ gemeint waren das schmucke Stadtbild, die historischen Gebäude und natürlich die Weinberge am Fuße des Melibokus. Ein Lob aus berufenem Munde, denn die positive Resonanz kam von Mauro Migliorini, Präsident von Cittaslow International, und seinem Generalsekretär Pier Giorgio Olivetti vom Netzwerk der lebenswerten Städte, das 1999 im italienischen Orvieto gegründet wurde.

Bei einem Stadtrundgang mit Bürgermeister Holger Habich und seinem Deidesheimer Amtskollegen Manfred Dörr, Vorsitzender von Cittaslow Deutschland, waren auf Zwingenberger Boden erstmals die Spitzen der internationalen und nationalen Ebene gemeinsam unterwegs.

Nach der Ankunft am Samstag und einem Abendessen, bei dem auch Vertreter des örtlichen Netzwerks dabei waren, standen am Sonntag der Rundgang und eine Weinprobe im Wingert auf dem Programm. Pier Giorgio Olivetti hatte in seiner Tüte zwei Classico-Weißweine aus der Cittaslow-Wiege mitgebracht – berühmte Tropfen aus Umbrien, die er trotz Gewichtsbeschränkungen beim Handgepäck bis Zwingenberg nicht aus den Augen gelassen habe, wie er beim Treffen in der Historischen Scheuergasse schmunzelnd erzählt.

Am Weinbau waren die beiden italienischen Gäste besonders interessiert. An der Infotafel am ehemaligen Güterbahnhof erläuterte Landschaftsplanerin Marita Möllenkamp vom Amt für Bodenmanagement und Geoinformation in Heppenheim die Etappen und Maßnahmen der Flurbereinigung in der Lage „Alte Burg“, die 2020 begonnen hatten. Nach den Rodungsarbeiten zur Terrassierung der exponierten Weinberge entstand eine kleinteilige, weinbaulich geprägte Kulturlandschaft von hoher ökologischer wie ästhetischer Qualität.

„Ein perfektes Cittaslow-Projekt“, so Pier Giorgio Olivetti, der betonte, dass die Wiederherstellung und Neuordnung historischer Strukturen und Kulturlandschaften zu den elementaren Werten der Vereinigung gehören. Das bestätigte auch Manfred Dörr aus der berühmten Weinstadt Deidesheim, wo auf etwa 540 Hektar Reben wachsen. Zum Vergleich: Das gesamte Anbaugebiet Hessische Bergstraße umfasst gut 460 Hektar bewirtschaftete Fläche.

Doch bei der Cittaslow-Bewegung geht es nicht um Größe, sondern um Lebensqualität, Individualität und kulturelle Diversität, die als prominente Werte gelebt und weiterentwickelt werden sollen. Vor allem setzt man auf ein waches Bewusstsein für regionale Identität bei einer deutlichen Abgrenzung zu einer tendenziell ungeordneten und uniformen Stadtentwicklung im Kontext eines allgemein spürbaren Beschleunigungsdiktats. In Zwingenberg werde das vorbildlich umgesetzt, so Olivetti.

Die Stadt hatte sich nach einem entsprechenden Beschluss der Stadtverordnetenversammlung im Dezember 2016 im Juni des folgenden Jahres für den Beitritt in das Netzwerk beworben. Bei der Herbsttagung der Mitgliedsstädte im Oktober 2017 wurde die Aufnahme beschlossen. Im Februar 2018 erfolgte die finale Zustimmung zur internationalen Aufnahme aus Italien. Unter den aktuell 22 deutschen Mitgliedsgemeinden befindet sich Zwingenberg in bester Gesellschaft, zur Cittaslow-Familie gehören unter anderen Orte wie Überlingen am Bodensee, Schneverdingen in der Lüneburger Heide oder Bad Wimpfen. Seit 2018 gehört auch Michelstadt zur Vereinigung im Zeichen der Weinbergschnecke.

Leitbild ist eine nachhaltige Entwicklung von „lebenswerten Kommunen“ hinsichtlich Wirtschaftlichkeit, Ökologie und sozialem Zusammenhalt. „Dazu brauchen wir kreative und engagierte Menschen an der Basis“, sagte Manfred Dörr in Zwingenberg, wo regelmäßig ein Arbeitskreis Cittaslow tagt. Unter den ersten Projektideen waren der Stadtwein, der jedes Jahr von wechselnden Winzern mit alternierenden (Künstler-)Etiketten herausgebracht wird, sowie ein „Tag der offenen Gärten“.

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Präsident Mauro Migliorini, Rathauschef in der norditalienischen 9000-Einwohner-Gemeinde Asolo in der Provinz Treviso (Region Venetien), zeigte sich überaus erfreut angesichts der verschiedenen Initiativen, die dem Cittaslow-Gedanken folgen. Auch die Pandemie habe gezeigt, wie wichtig lokaler Zusammenhalt in Städten und Gemeinden ist.

Er selbst war zu Beginn der Krise im April 2020 vorübergehend in seinen früheren Beruf zurückgekehrt und hat auf einer Intensivstation schwerkranke Corona-Patienten gepflegt. Italien hatte das Virus besonders hart zu spüren bekommen. Mauro Migliorini ist seit Ende 2020 neuer Präsident. Manfred Dörr war damals als Vize-Präsident der internationalen Vereinigung wiedergewählt worden. Der Austausch innerhalb des Netzwerkes sei coronabedingt schwierig gewesen. Die Themen hätten jedoch zu keinem Zeitpunkt an Bedeutung verloren.

Nach der allgemein bejahten Feststellung, dass der Name „Alte Burg“ auch in seiner italienischen Übersetzung – „vecchio castello“ – nicht gerade schlecht klingt, ging es gemeinsam mit der Stadtverordneten Cora Bügenburg und Alexandra Bertram aus dem Vorstand des Freundeskreises Zwingenberg-Brisighella (beide auch als Dolmetscher dabei) weiter durch die Altstadt bis hinauf zur Bergkirche und zur Aul, wo die Gäste den einzigen noch erhaltenen Befestigungsturm der alten Stadtmauer besichtigt haben. Im Aulgärtchen in der oberen Altstadt unweit des ersten Marktplatzes der Stadt wachsen seit einigen Jahren Reben, die an die Städtepartnerschaften mit Brisighella und Pierrefonds erinnern. Pier Giorgio Olivetti erkannte den italienischen Rebstock als Sangiovese-Traube, traditionell eine der wichtigsten Sorten in der Toskana und in der Region Emilia-Romagna, zu der auch die Zwingenberger Partnerstadt gehört.

Gemeinsames Mittagessen

Auch die historischen Winkel und gastronomischen Vorzeigeadressen entlang der Obergasse zogen die Aufmerksamkeit der italienischen Gäste auf sich, die am Wochenende erstmals Zwingenberg besucht haben. Noch am Sonntagabend stand von Frankfurt aus die Abreise an. Bis zum nächsten Zwingenberger Weinfest zu Pfingsten werde man leider nicht hierbleiben können, scherzte Olivetti auf dem Marktplatz. Auch das ehemalige Rathaus, heute die Stadtbibliothek, und die engen, verwinkelten Treppen hinauf zur Bergkirche haben dem Generalsekretär aus Orvieto mehrmals ein zwar leises, aber sehr bedeutungsschwangeres „Bello!“ entlockt. Die Gespräche wurden bei einem gemeinsamen Mittagessen im „Bunten Löwen“ im kulinarischen Rahmen fortgesetzt. Das Thema Wein wurde dabei selbstverständlich nicht vergessen.

Freier Autor

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