Zwingenberg. Früher gab es in Zwingenberg mal einen Club namens Underground. Heute führt der Weg in die Tiefe (auch) über die Kunst: Der Frankfurter Street-Artist Philipp Alexander Schäfer hat zwei Kanaldeckel an der B3 zwischen Stadtpark und Scheuergasse mit dreidimensionalen Treppen-Motiven gestaltet. Eine Art Exit-Strategie speziell für die Stadt, in der er bis vor kurzem noch mit der Ausstellung „Maquis de la Platine“ präsent war.
Seine überwiegend auf Computerplatinen gemalten Werke zogen ein großes und kunst-affines Publikum in die Remise. Nun hat er hier dauerhaft Spuren hinterlassen – die Spezialität des 42-Jährigen, der im öffentlichen Raum mit ironischen Interventionen und urbanen Collagen buchstäblich für Aufsehen und Reflexionen sorgt.
Nicht nur in den Metropolen, sondern erstmals auch an der Bergstraße: Vor wenigen Tagen hat Schäfer vier Kanaldeckel und Schachtabdeckungen mit Kunstwerken verziert. Darunter zwei Gullis in der historischen Scheuergasse. Gleich vom Bahnhof kommend, strahlt der blaue Planet – konkret Europa und Afrika – in leuchtenden Blautönen. Ein Hinweis auf die Gleisstation als Tor zur Welt – aber auch eine augenzwinkernde Assoziation an die Flat-Earth-Theorie, die seit dem Mittelalter wieder einen globalen Boom erlebt.
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Man glaubt wieder an die Erde als Scheibe. Und alles daraus ist von einer Elite inszeniert. Nur ein Zirkel aus gesellschaftlichen Entscheidern kenne die Wahrheit, sagen die „Flacherdler“, Schauspieler würden bezahlt, um in der Rolle von Wissenschaftlern unsere konstruierte Sicht auf die Welt kontinuierlich zu unterfüttern. Daher müsse auch die Mondlandung, mit Bildern der Erdkugel, zwangsläufig die Show einer Verschwörung gewesen sein.
In Zwingenberg wird das kontinentale Europa und südlich angrenzende Afrika von 16 kreisrunden Löchern umrahmt, wie das Kanalabdeckungen meistens so an sich haben. Was die Flath-Earth-Jünger dazu sagen, weiß man nicht. Für Philipp Alexander Schäfer ist das Werk niederschwellige Straßen-Kunst zum Anfassen und Betreten. Die Beton-Oberfläche hat er mit Grundierung überzogen und dann mit Sprühlack gestaltet. Die Rundbilder sollen mindestens ein Jahr halten, eher länger. Wetter, Reifen und Schuhsohlen zum Trotz.
Die Freude am Schönen
Am östlichen Ende der Scheuergasse strahlt in leuchtendem Orange das Cittaslow-Motiv, die Weinbergschnecke. Ein grundiertes Bekenntnis zum internationalen Netzwerk der lebenswerten Städte, dem Zwingenberg seit 2018 angehört. Auf dem Gehweg vis-à-vis vom „Bunten Löwen“ führt eine Treppe in abgestuften Grautönen in die Tiefe, das Rathaus in Sichtweite. Ein ähnliches Motiv hat der Künstler vor dem Stadtpark geschaffen.
Durch Widersprüche und Gegensätze öffnet Philipp Alexander Schäfer im öffentlichen Raum Platz für neue Perspektiven. Seine Street-Art bringt Dinge in einen neuen Kontext, wo sie beim Betrachter Assoziationen und Konfrontationen auslösen können. Oder einfach nur Neugier an der Wahrnehmung und Spaß am Neuen. Kunst ist auch die Freude am Schönen – ohne komplizierte Hintergedanken.
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