Zwingenberg. „Es ist sehr ernst.“ Nur vier Worte sind es, ruhig und sachlich, ohne Pathos gesprochen, die jedoch an Eindringlichkeit kaum zu überbieten sind. Prof. Dr. Mirjam Wenzel ist noch einmal kurz ans Rednerpult zurückgekehrt, nachdem sie im Diefenbachsaal des „Bunten Löwen“ ihren Vortrag „Herausforderungen für die Erinnerungs- und Museumsarbeit nach dem 7. Oktober 2023“ – dem Tag des Terrorangriffs der Hamas auf Israel - beendet hat.
Die Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt ist Ehrengast des Arbeitskreises Zwingenberger Synagoge, der an diesem Abend sein 25-jähriges Bestehen feiert. Und sie hat den Teilnehmern gerade eben einen bedrückenden Einblick in das Leben von Jüdinnen und Juden im Hier und Jetzt ermöglicht:
Warnung vor Antisemitismus und Demokratieverlust
Längst ist das kein unbeschwertes, kein sicheres Leben mehr. Das Privathaus einer Museumsmitarbeiterin wird mit Hakenkreuzen beschmiert, die Gedenkstätte an der Frankfurter Großmarkthalle, die an Massendeportationen erinnert, wird regelmäßig geschändet. Und Mirjam Wenzel muss sich bei einer Lesung als „Zionistin“ und „Rassistin“ beschimpfen lassen. „Der Antizionismus ist kein abstraktes Phänomen“, führt Frau Wenzel im beschaulichen Zwingenberg dramatisch vor Augen, wie sehr sich die Schatten des dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte über die Gegenwart legen. Und sie greift Ergebnisse der erst vor wenigen Tagen mit dem Titel „Vereint im Ressentiment“ erschienenen „Leipziger Autoritarismus-Studie 2024“ auf: Zufriedenheit mit der Demokratie, wie sie in Deutschland gelebt wird, schwindet. Sie ist im Osten so gering wie zuletzt 2006 (29,7 Prozent).
Auch im Westen sinkt die Zustimmung (45,5 Prozent). Die Untersuchung zeigt zudem einen Anstieg der rechtsextremen Einstellungen und das Sympathisieren mit Diktaturen als Herrschaftsform. „Wenn der Demokratie die Luft ausgeht, dann bekommen es Jüdinnen und Juden als Erste zu spüren“, so Mirjam Wenzel - und sie zitiert den Holocaust-Überlebenden und Publizisten Elie Wiesel.
„Jews are the canary in the coalmine“ - wie Kanarienvögel in Kohleminen Frühindikatoren für Vergiftungen waren, so sind Jüdinnen und Juden Seismografen für politische, gesellschaftliche und kulturelle Fehlentwicklungen. Wenn Antisemitismus zunimmt, dann muss das jedoch ein Warnzeichen für alle sein. Mirjam Wenzel fürchtet sich angesichts der Entwicklungen in Politik und Gesellschaft davor, dass die Bearbeitung der Schoah vergeblich gewesen sein könnte: „War alles nur Versöhnungstheater?“ Wichtiger denn je sei daher eine „konsequente Bildungsoffensive“, lädt sie dazu ein, das Jüdische Museum Frankfurt – „wir sind ein offenes Haus“ - zu besuchen und die Workshops und Führungen zu nutzen. Sie ruft zu einer „zivilgesellschaftlichen Anstrengung“ auf, um der „Erosion der Werte“ Einhalt zu gebieten. Und sie ermutigt die Akteure des Arbeitskreises Zwingenberger Synagoge dazu, „dass Sie an Ihrem Ort diese Arbeit tun, denn es gibt etwas zu verteidigen und zu behaupten: Und das sind die Werte unserer Demokratie“.
Vorsitzender Fritz Kilthau appellierte an junge Menschen
Eben jene Recherche-, Dokumentations- und Bildungsarbeit will der Verein auch fortsetzen, im 25. Jahr des Bestehens allerdings stelle sich die Frage, „Wie geht es weiter?“, so Vorsitzender Fritz Kilthau, der den Arbeitskreis gemeinsam mit seiner Stellvertreterin Ulrike Jaspers-Kühnhold leitet. Von den Gründungsmitgliedern ist nur noch Kilthau aktiv, und das mit herausragendem Engagement, allerdings wird er bei der Jahreshauptversammlung im kommenden Jahr nach über zwei Jahrzehnten an der Spitze nicht mehr als Vorsitzender kandidieren.
Wenngleich Ulrike Jaspers-Kühnhold sich zur Wahl stellt, „würden wir alle im Vorstand uns die Mitarbeit weiterer aktiver Personen wünschen“, so Kilthau in seiner Begrüßung. Insbesondere junge Menschen seien zur Mitarbeit aufgerufen, „um unsere Arbeit auch langfristig – eventuell auch mit anderen Schwerpunkten – fortführen zu können.“
Kilthau weiter: „Diese Arbeit erscheint mir heute leider wichtiger als je zuvor. Die Erinnerung an den Nationalsozialismus und seine Opfer soll uns mahnen, aktiv gegen Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sowie für Demokratie, Toleranz und Menschenwürde einzutreten.“
In seiner Begrüßung hatte Kilthau auch die Vereinsgeschichte sowie die Aktivitäten des AK Synagoge skizziert, beides hat der BA aber bereits in der Berichterstattung „Erinnerung an jüdisches Leben in Zwingenberg wachhalten“ (22. Oktober zum Thema gemacht. Lesen Sie aber die weitere Festakt-Berichterstattung auf dieser Seite über die Grußworte der Gäste.
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