Lorsch. Sitzungen des Haupt- und Finanzausschusses sind üblicherweise immer öffentlich. Es kommt aber nicht oft vor, dass viele Zuhörer an ihnen teilnehmen möchten. Die Gremiumsmitglieder tagen häufig vor sehr spärlich besetzten Sitzreihen, nicht selten sogar vor komplett leeren. Am Dienstagabend war das anders. Der Andrang war riesig. Im Paul-Schnitzer-Saal setzten sich den neun Gremiumsmitgliedern, den Stadträten und Mitarbeitern der Verwaltung diesmal gut 50 interessierte Lorscher Bürger gegenüber.
Es handelte sich fast ausschließlich um Anlieger rund um die Zedernstraße. Zur Sitzung gekommen waren sie, weil sie die Empfehlung des Magistrats mit Bürgermeister Christian Schönung an der Spitze nicht teilen, den kleinen Spielplatz in der Straße aufzugeben. Wo bisher auf 1000 Quadratmetern noch Schaukeln, Rutsche und Sandkasten stehen, soll Wohnbebauung möglich werden. Vor allem Sozialwohnungsbau ist auf der bisherigen Spielplatz-Fläche vorstellbar.
In diesem „hochwertigen Wohngebiet“ Sozialwohnungen zu errichten, könne eine „Abwertung“ des gesamten Areals bewirken, kritisierte ein Anlieger zu Beginn der Sitzung. 600 bis 800 Euro pro Quadratmeter seien für Grundstücke aufzubringen. Es sei „unwirtschaftlich“, gerade in diesem Viertel Sozialwohnungen zu realisieren, der „soziale Frieden“ werde in Frage gestellt. Sozialwohnungen seien anderswo besser platziert, warum nicht im Lagerfeld? Ein Gebiet mit mehr Platz auch für die vorgegebenen Stellplätze sei zu suchen. An der Zedernstraße sei die Parksituation bereits jetzt nicht einfach. Er erhielt zustimmenden Beifall aus dem Publikum.
„Moderates Wachstum“
Lorsch wachse, aber nicht in einem bedenklichen Ausmaß. Das entgegnete Bürgermeister Christian Schönung in der öffentlichen Sitzung auf die von Anliegern geäußerten Sorgen.
Es handle sich vielmehr um eine moderate Entwicklung. Das „natürliche Wachstum“ bezeichnete er als „ gering“. Beim vorigen Neubürgerempfang hatte Schönung von etwa 700 Zuzügen im Jahr gesprochen, viele Menschen haben sich aber auch aus unterschiedlichsten Gründen verabschiedet. Die Einwohnerzahl in Lorsch liegt derzeit bei rund 14 000. sch
Von „Chaos“ sprach einer der Anwohner, die das Wort ergriffen. Von der Plänen der Politik zeigten sich die Anlieger überrascht – „hintergangen“ fühle er sich von den gewählten Vertretern, formulierte ein Bürger sogar mit Verweis auf die angekündigte erste Beschlussfassung.
Unverständlich sei der Wunsch, den Spielplatz in der Zedernstraße „plattzumachen“. Der große Birkengarten-Spielplatz in der Nähe sei keine Alternative für das Kleinkind-Gelände. Er sei oft sehr stark frequentiert, auch von Besuchern von auswärts. Eigens wegen der Infrastruktur und nicht zuletzt des kleinen Spielplatzes sei er ins Gebiet um die Zedernstraße gezogen, argumentierte ein jüngerer Mann.
Lorsch verzeichne bereits „großen Zuzug“, erklärte eine Anwohnerin. „Alles ist voll“, beklagte sie. Schon jetzt könnten Vereine ihr Angebot nicht der wachsenden Nachfrage anpassen, weil ehrenamtliche Trainer fehlten. Noch mehr Zuzug sah sie skeptisch. Wo soll es mittelfristig hingehen? Auch der Verlust des Grüns um die Spielfläche wurde kritisiert. Selbst eine 100-jährige Eiche müsste fallen, hieß es aus dem Anwohnerkreis mit Sorge.
Viele Spielplätze, wenig Bauplätze
Noch stehe keine abschließende Entscheidung an, korrigierte Bürgermeister Christian Schönung. Es sei aktuell baurechtlich nicht möglich, auf dem Spielplatz ein Gebäude zu errichten. Man stehe erst am Beginn eines Prozesses. Wenn dieser die politische Mehrheit finde, werde es voraussichtlich allein ein Jahr bis zur Rechtskraft dauern. Tatsache sei: „Lorsch hat nicht sehr viele Grundstücke.“ Das Spielplatzgelände befinde sich im Eigentum der Stadt – die von den Anliegern als Alternative ins Gespräch gebrachte Fläche im Lagerfeld aber nicht.
Lorsch habe dagegen „sehr viele Spielplätze“. Man habe festgestellt, dass das Areal an der Zedernstraße verzichtbar sei. Der „soziale Frieden“ sei „nicht in Frage gestellt, wenn zusätzliche Menschen“ in ein „Gebiet hineinkommen“, sagte Schönung. „Wir haben die Aufgabe, Menschen, die zu uns kommen, unterzubringen“, erinnerte er. Wohnen in Container-Modulen sei „nicht die Art, wie man hier lebt“. Oft seien es Alleinerziehende, die Wohnberechtigungsscheine vorweisen. Es gehe zunächst um eine grundsätzliche Positionierung der Kommunalpolitiker zum Thema, erläuterte Schönung in der öffentlichen Sitzung.
Man befasse sich gerade das erste Mal mit der Vorlage, unterstrich auch Matthias Schimpf (Grüne). In dunklen Hinterzimmern, wie mancher mutmaße, sei nichts entschieden worden. Zu grundsätzlichen Fragen der Bauentwicklung und des möglichen Wachstums der Stadt hätte sich zudem jeder Bürger vor wenigen Jahren im Rahmen des Stadtentwicklungsplans aktiv einbringen können, die Resonanz sei damals aber leider „sehr gering“ gewesen, bedauerte er, dass oft erst bei persönlicher Betroffenheit eine Beteiligung erfolge.
„Veränderung ist wahrscheinlich“
Lorsch sei eine „kompakte Stadt“ und stehe unter „Siedlungsdruck“. Keiner wolle, dass die Kommunen durch ausschließliche Neubauten im Außenbereich zu einer „Bergstraßen-City“ zusammenwüchsen. Es sei ein „Mittelweg“ zu finden, um weiteren Wohnraum zu schaffen. Die Beteiligungswege bei Bebauungsplanänderungen seien gesetzlich vorgeschrieben. Die Anlieger würden nicht in ihren Rechten beschnitten, könnten entsprechend Stellung nehmen, die Einwendungen würden dann abgewogen, erläuterte er das Verfahren. „Sie werden sich damit auseinandersetzen müssen, dass es wahrscheinlich zu einer Veränderung kommt“, meinte er aber mit Blick auf den bisherigen Spielplatz. Was dort dann letztlich gebaut werde, sei jedoch noch nicht entschieden.
„Wir haben in Lorsch Wohnungsnot“, sagte Dirk Sander (SPD). Quadratmeterpreise von 13,50 Euro könne sich nicht jeder leisten. „Wir wollen auch keine Ghettobildung, sondern Durchmischung“, fügte er an. Angst über „sozialen Unfrieden“ in den Raum zu stellen, hielt er für keinen guten Weg. Noch habe man über die mögliche Veränderung in der Zedernstraße auch in der Fraktion nicht beraten, man kenne noch nicht alle Details. Im Laufe der weiteren Sitzungen werde man hoffentlich eine Lösung finden, mit der alle leben könnten. Weil die Stadt wenige eigene Grundstücke habe, gebe es nicht viele Alternativen.
Ersatz in der Remise angedacht
Ferdinand Koob (CDU) wies gleichfalls auf die „große Herausforderung“ hin. „Dringend“ sei Wohnraum zu schaffen. „Städtische Grundstücke sind rar gesät.“ Private Eigentümer erwarteten nicht selten bestmögliche Konditionen für sich. Auch Koob betonte, dass die „finale Entscheidung“ über die Bebauungsplanänderung noch nicht sofort getroffen werde. Im weiteren Verlauf seien noch Fragen zu klären. Es gibt etwa die Überlegung, ein neues Spielgelände für kleine Kinder auf der Düne des Remise-Wäldchens anzulegen, erinnerte er.
Ein Gebäude mit Sozialwohnungen sei „keine Abwertung“, betonte Koob. „Wir müssen tätig werden, das steht außer Frage“, erklärte der CDU-Fraktionsvorsitzende. Es werde nichts übers Knie gebrochen, der Abwägungsprozess dauere nicht wenige Wochen, sondern rund ein Jahr. Der Status quo allerdings sei keine Option.
Sozialwohnungsbau sei „nicht negativ“, unterstrich auch Christian Walter (PWL). Es sei erforderlich, ein Angebot zu haben. Lorsch sei eine „sehr aufstrebende“ Kommune, Gemeinsinn zeichne sie aus. Die ehrenamtlich tätigen Kommunalpolitiker hätten alle Einwohner zu vertreten, erinnerte Walter. Meinungen der Bürger würden „sehr ernst“ genommen. Auch Naturschutzverbände würden einbezogen. Er trete gern in die Diskussion mit Anwohnern ein – wenn der Zeitpunkt gekommen sei. Bei dem „komplexen Thema“ stehe man derzeit aber noch am Beginn des Prozesses.
Beschlossen wurde am Dienstag noch nichts. Der Tagesordnungspunkt soll in der nächsten Haupt- und Finanzausschuss-Sitzung wieder aufgerufen werden. Diese soll vor der regulären Bauauschuss-Sitzung am 27. Juni stattfinden. Vorstellbar ist auch, die beiden Ausschuss-Termine zu tauschen.
Fragte man am Ende der Sitzung Anwohner, ob sie an der nächsten Zusammenkunft erneut teilnehmen wollen, bejahten sie dies.
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