Lorsch. Elisabeth Selbert, Politikerin, Juristin und SPD-Abgeordnete im Parlamentarischen Rat (1948/1949) war eine sehr wichtige Frau, als es um die Stellung von Frauen und deren Rechte ging. In einem packenden Vortrag schilderte die Enkelin von Selbert, Susanne Selbert, das Leben ihrer Großmutter. Eingeladen hatte dazu kürzlich Soroptimist International, Bensheim/Heppenheim in den Paul-Schnitzer-Saal. Die Begrüßung erfolgte durch Dr. Irene Schmidt, die Moderation übernahm Dr. Ursula Hurst. Das Grußwort sprach Susanne Bolduan.
Elisabeth Selbert war eine der vier Mütter des Grundgesetzes. Insgesamt waren 65 Personen daran beteiligt. Die Aufnahme der Gleichberechtigung in den Grundrechtsteil der Verfassung ist maßgeblich ihr zu verdanken. Selbert kämpfte für eine Formulierung, die auch das Zivilrecht betraf und nicht nur das Staatsrecht.
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Elisabeth Selbert wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Das Mädchengymnasium war zu teuer, sie besuchte die Kasseler Gewerbe- und Handelsschule des Frauenbildungsvereins. Danach wurde sie Auslandskorrespondentin einer Import-Export-Firma, Postbeamtenanwärterin im Telegrafendienst und bekam mit Adam Selbert zwei Kinder. Ihr Mann förderte sie und übernahm mehrheitlich die Kindererziehung.
Es gab nur fünf Studentinnen
Sie boxte sich als Externe durchs Abitur und studierte als einzige Frau in Marburg Rechts- und Staatswissenschaften. Weil sie dort keinen Doktorvater fand, ging sie nach Göttingen. Unter den etwa 300 Studierenden war sie eine von nur fünf Frauen. Promoviert hat sie 1930.
Im Nationalsozialismus wurden Frauen vollständig aus allen juristischen Berufen gedrängt, doch Selbert gelang es rechtzeitig, eine anwaltliche Praxis zu eröffnen. Als ihr Mann arbeitslos wurde, ernährte sie die Familie. Im Parlamentarischen Rat war ihre Aufgabe, das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland auszuarbeiten. Mithilfe damaliger Frauenrechtsorganisationen und anderer Abgeordneter konnte sie nach mehreren gescheiterten Abstimmungen schließlich den Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ (Artikel 3 Grundgesetz) durchsetzen. Es war eine Sternstunde, nicht nur für sie.
Bei der anschließenden Diskussion ging es unter anderem um den Punkt Chefetagen, die deutlich von Männern dominiert werden. 58 Prozent der Medizin-Studierenden sind weiblich, aber knapp über 87 Prozent der Chefarztstellen sind mit Männern besetzt. Nicht anders bei Banken und DAX-Vorständen. Auch da ist beim Frauenanteil noch sehr viel Luft nach oben.
Keine Oma, die das Stricken lehrte
Elisabeth Selbert sei keine Großmutter gewesen, die ihren Enkelinnen das Stricken beigebracht habe, erzählte Susanne Selbert. Diese habe sich immer dafür ausgesprochen, dass sich Frauen politisch engagieren. Das habe auf alle in der Familie abgefärbt. Bensheims Bürgermeisterin Christine Klein bemerkte, dass auch sie als Frau in eine reine Männerdomäne vorgestoßen sei. Egal ob Bürgermeisterinnen oder Landrätinnen, in Hessen sind sie ziemlich rar.
Doppelbelastung und hohe Hürden
Ungünstige Rahmenbedingungen tragen auch heute noch wesentlich dazu bei, dass es beim Wiedereinstieg hohe Hürden gibt, hieß es in Lorsch: Fehlende Kitaplätze, zu pflegende Eltern, Doppelbelastung. Doch auch die alten Muster griffen nun, hieß es. An der Qualifikation jedenfalls liege es nicht, so der Konsens.
Geben Frauen ihre Arbeit auf, ist das fatal, waren die Clubschwestern während der lebhaften Diskussion überzeugt und Altersarmut betreffe vor allem Frauen. Sie arbeiten später in Minijobs, in Teilzeit oder in schlecht bezahlten Berufen. Männer eher nicht. Doch auch Männer hätten Schwierigkeiten in typischen Frauenberufen wie Erziehende oder Lehrkräfte an Grundschulen. „Das scheitert schon am Gehalt“, zur Ernährung einer Familie brauche es mehr, hieß es. Beispielhaft sei es, wenn Firmen Frauen Mut machen und sie fördern. Wie das gehen kann beschrieb einer der wenigen Männer in der Runde in Lorsch.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit und gleiche Chancen für Frauen trotz Familie, auch das sei heute immer noch ein großes Thema, bei dem ebenfalls noch viel getan werden müsse, hieß es in der Runde im Paul-Schnitzer-Saal. cf
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