Sommerkonzert

Nur die Kirchenglocken störten das Konzert in Lorsch

Von 
Thomas Tritsch
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In einer einzigartigen Umgebung, im Kirchenrest des Klostergeländes, konzertierte die Gitarrenklasse von Tilmann Hoppstock von der Akademie für Tonkunst in Darmstadt. Unser Bild zeigt den Auftritt von Valentin Novak. © Neu

Lorsch. Das Kirchenfragment in Lorsch gehört zur Basilika des frühen 12. Jahrhunderts. Es bildete einst die drei westlichen Joche des Mittelschiffs an der Vorkirche der Nazarius-Basilika. Der prominent platzierte Rest des Benediktiner-Klosters am erhöhten Standort des Areals bietet einen wunderschönen Blick auf die Hügel des Odenwalds – und in seinem offenen Innern eine feine, aber anspruchsvolle Akustik für Genüsse der klangvollen Art.

Ungeplante Pause

„Gitarre trifft Weltkulturerbe“ titelte die jüngste Veranstaltung aus der Reihe der Sommerkonzerte, die der Verein zur Förderung der Kunst und Kultur seit 2020 ebenso leidenschaftlich wie facettenreich zu inszenieren weiß. Doch am frühen Samstagabend waren es ausgerechnet die noch in vollem Umfang existierenden Kirchen, die der kenntnisreich ausbalancierten Dramaturgie in die Quere kamen: gemeint sind die Kirchenglocken, die kurz vor, und dann auch noch einmal ab 18 Uhr ihre Aufgabe ausgeführt haben. Mit der Folge, dass das Konzert ausgerechnet vor dem Auftritt von Lorik Pylla frühzeitig in die Pause geschickt wurde.

Der Musiker ist Lehrer an der Musikschule der Stadt Lorsch und als Student Mitglied einer internationalen Gitarrenklasse von Tilman Hoppstock an der Akademie für Tonkunst in Darmstadt. Gemeinsam mit fünf weiteren Instrumentalisten aus einer der ältesten Musik-Ausbildungsstätten Deutschlands gestaltete er ein wunderbar vielseitiges wie technisch anspruchsvolles Programm, das mit langem Applaus kommentiert wurde. Die Sitzplätze waren zu Beginn fast komplett besetzt. Und im weiteren Verlauf zogen die Gitarrenklänge im Kirchenrest immer mehr Zuhörer auf das Areal. Der erfrischende Seitenwind war – zumindest für das Publikum – eine angenehme Begleiterscheinung.

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Die kleine zeitliche Umplanung hat den Gesamteindruck in keiner Weise geschmälert. Mit zwei Sätzen aus der Sonate für Gitarre Opus 47 von dem Argentinier Alberto Ginastera aus dem Jahr 1976, komponiert für den Gitarristen Carlos Barbosa-Lima, hat Pylla (gebürtig im Kosovo) die Gratwanderung zwischen traditionellen Rhythmen argentinischer Folklore und der Harmonik moderner klassischer Musik sowie die Anklänge freier Tonalität und das Spiel mit leichten Dissonanzen meisterhaft bewältigt und eine hohe technische Meisterschaft bewiesen.

Die Ouvertüre gehörte Bach: der junge Slowene Valentin Novak offenbarte maximale Hingabe und Virtuosität, die Clavierpatita Nr. 1 - geschrieben für Cembalo – ließ auch als Variante mit Sologitarre nichts an Klangsinnlichkeit und Artikulationsreichtum missen.

In Lorsch kam eine Bearbeitung für Gitarre von Tilman Hoppstock zu Gehör. Leichtigkeit und Routine, wohlgemerkt ohne perfektionsgeschwängerte Automatismen, zeigte auch der Koreaner Pogeun Kang mit Astor Piazzollas „Invierno Porteño“, das von Sergio Assad für Sologitarre transkribiert wurde und eine klangliche Übersetzung vom Winter in Buenos Aires darstellt. An den Saiten ist das werk ebenso schwungvoll, sinnlich und dynamisch wie mit Bandoneon, Kontrabass und Violine.

Weltweit gefragter Gitarrist

Hoppstock ist ein weltweit anerkannter Konzertgitarrist, Cellist und Musikwissenschaftler, der seit über 40 Jahren auf allen großen Bühnen zuhause ist. Er ist zudem Herausgeber von Fachbüchern und Notenausgaben für Gitarre, seine CD-Aufnahmen erhielten mehrere internationale Auszeichnungen. Neben Gastprofessuren und Einladungen berühmter Musikinstitute wie die „Royal Academy“ in London oder die „University of South California“ in Los Angeles betreut er seit 1988 die internationale Meisterklasse an der Akademie für Tonkunst in Darmstadt. Mit den in Lorsch gastierenden jungen Künstlern erlebten die Zuhörer einen Querschnitt dieser erstaunlichen künstlerischen Quelle, zu der auch Muhammet Türközü aus der Türkei gehört. Er brillierte mit vier Sätzen des spanischen Komponisten Federico Moreno-Torroba, der neben seinen sinfonischen Werken auch Stücke für die klassische Gitarre geschrieben hat, da er von ihrer Bedeutung als spanisches „Nationalinstrument“ überzeugt war.

Der Musiker hat die komplexe Struktur und hohe motivische Qualität der Sätze glänzend zum Ausdruck gebracht. Und das Publikum durfte sich in Lorsch auf einen weiteren Höhepunkt freuen: die ukrainische Künstlerin Sofia Syliaieva hatte bereits einen Bachelor-Studiengang an der Musikakademie in Kiew absolviert, bevor sie zu Tilman Hoppstock nach Darmstadt kam. Ihre stilistische Offenheit und musikalische Neugierde manifestierte sich in Lorsch mit einem Stück des Brasilianers Sergio Assad, dem eingangs erwähnten Piazzolla-Arrangeur: „Eli`s Portrait“ aus dem Jahr 2004 ist zum 80. Geburtstag des kanadischen Gitarrenlehrers und Musikers Eli Kassner entstanden, der 2018 verstorben ist. Die Phrasierung und Interpretation der jungen Musikerin brachte das Wesen und die zarten Klänge zwischen Tradition und Moderne wunderbar feinsinnig zur Geltung.

Das Finale gehörte den vier Gitarristen vom Foursome Guitar Quartet, das neben Kang, Novak und Pylla vom Griechen Filippos Manoloudis ergänzt wurde. Er hatte kurz zuvor mit lyrischen Walzerklängen von Enrique Granados für konzentrierte Aufmerksamkeit gesorgt. Die Nachwuchskünstler haben nach Hoppstocks Empfehlung 2020 angefangen, zusammen in einem Quartett zu spielen.

Hoppstocks Bearbeitung von „Tanz des Müllers“ ist seit rund 40 Jahren eines der Standardwerke in dessen Konzertrepertoire. Hoppstock nahm den Ausschnitt aus dem Ballett „Der Dreispitz“ in einer eigenen Bearbeitung mit dem Rubio String Quartet auf. In Lorsch geriet das Stück zu einem veritablen spanischen Finale in klösterlicher Umgebung – die Kirchenglocken hätten am Ende ohnehin keine Chance mehr gehabt.

Spenden für die Musikschule

Der Eintritt zum Konzert war frei. Die Spende gingen an die Musikschule der Stadt Lorsch und an die Förderung des örtlichen Kulturlebens. Im Namen des Vereins begrüßte Vorsitzender Klaus Jäger die Gäste auf dem Weltkulturerbe-Areal.

Freier Autor

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