Lorsch. Mit der Nostalgie ist das so eine Sache. Die Unbequemlichkeit der Gegenwart trifft auf die Ungewissheit der Zukunft und löst in uns den Wunsch nach vertrauten Zeiten aus. In der Vorstellung blicken wir verklärt auf diese Zeit zurück und versuchen, sie wieder zu beleben. Durch die alte abgetragene Lederjacke, durch das Essen, das unsere Mutter früher immer gemacht hat oder durch Musik. Und so soll diese vergangene Zeit wiederbelebt werden und Geborgenheit und Vertrauen schaffen. Wenn auch nur für kurze Zeit. Zum Beispiel für gute zwei Stunden. So geschehen am Freitagabend in Lorsch, als die Band „Night Fever“ den Bee Gees ein Tribut widmeten und mit ihrer Show „Nights on Broadway“ alle Zuhörer mit auf eine sentimentale Zeitreise nahmen.
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Auf diesen Eröffnungsabend des Rex Open-Air-Festivals hatten die Fans der Cover-Formation lange gewartet. Schließlich sollten die drei, die Bee Gees verkörpernden Musiker und ihre Band, schon letztes Jahr auf der Bühne stehen. Doch eine Norovirus-Infektion sorgte dafür, dass der Auftritt verschoben werden musste. Den strahlenden Gesichtern im Publikum zufolge lohnte sich die Wartezeit. Bereits bei den ersten Songs „Nights On Broadway“ und „This Is Where I Came In“ machte sich das Publikum durch rhythmisches Mitklatschen in der bemerkenswerten Kulisse bemerkbar. Auf dem Festplatz wurde die Bühne beindruckend in Szene gesetzt. Die Sonne versank während des Konzerts hinter dem Hügel, auf dem sich die Gebäude des Klosters abzeichneten. In Kombination mit der schillernden Disco-Ästhetik der Night Fever Bühne ein einzigartiges Bild.
"Night Fever" spielten unter einer riesigen Discokugel
Eine riesige Discokugel schwebte über den Musikern, Videowände zeigten passend zu den Songs unterschiedliche Elemente. Da wechselten sich Nahaufnahmen von Briefen mit schillernden Werbetafeln ab, Flammen mit der drehenden Erdkugel, Autos mit tanzenden Menschen.
Als die Formation zum Ende des Bee Gees Hits „Words“ kam, erschallte ein vielstimmiger Chor aus dem Publikum, der von in die Höhe gerissenen Händen begleitet wurde. „Was haben wir hier noch verloren?“ fragte Sänger Michael Zai lachend, bevor es mit den nächsten Songs losging. Jedes Anstimmen der ersten Töne sorgte im Publikum für ein schnelles Erkennen, begeisterten Jubel und eifriges Mitsingen. Zum Start des Songs „Spicks and Specks“, zitierte Zai aus dem Liedtext und fragte das Publikum: „where are the girls?“. Diese gaben sich natürlich lautstark zu erkennen.
Schunkeln im Sonnenuntergang
Die Band wechselte zwischen ruhigen Liedern zu treibenden Disco-Krachern und schaffte es, das Publikum in die entsprechende Stimmung zu versetzen. Das Gefühl der Nostalgie, vielleicht Erinnerungen an das erste Hören der Songs, zauberte einigen ein Glitzern in die Augen. Der versprochene Zeitsprung war der Band augenscheinlich gelungen. In einem Moment kam es auf der Wiese zwischen den Bäumen im Sonnenuntergang zu verträumten Schunkeln, bevor es im nächsten Moment zu Tanzausbrüchen kam.
Klassische Symptome des „Nacht Fiebers“, mit dem die Band das Publikum erfolgreich infiziert hatte. Das zeigte sich spätestens bei der Ansage, dass jetzt jeder, der aufstehen kann, aufstehen soll. Einer Ansage, der viele folgten. Was mit wippenden Köpfen begann, wurde zu Gruppentänzen, Partnertänzen, improvisierten Disco-Performances.
Große Welt-Hits bei 30 Grad auf dem Festplatz
Sänger Franco Leon brachte es mit dem Ausruf „It’s Discotime!“ auf den Punkt. Was folgte waren einige der größten Bee-Gees-Welthits. Sänger Robin Gibb alle Ehre machend, zeigte Franco Leon seine beeindruckende stimmliche Reichweite, als er inmitten von bunt leuchtenden Lichtern „Stayin Alive“ anstimmte.
Jede Menge Bühnenerfahrung
Bühnenerfahrung haben die Mitglieder der Bee Gees Tributband eine Menge. Franco Leon war bereits als Backgroundsänger für Helene Fischer, Weather Girls, Milli Vanilli oder Thomas Anders unterwegs. Micheal Zai, der die Rolle des Musikers Barry Gibb verkörperte, kann auf über 100 Funk- und TV-Einsätze zurückblicken, ist als Komponist und Songschreiber tätig, rief das Projekt Night Fever ins Leben und kombinierte auf der Lorscher Bühne Gesang mit Gitarre. Der dritte im Bunde ist Uwe Haselsteiner, der Maurice Gibb mimt. Er hat bereits über 900 Titel veröffentlicht, die er etwa für Roland Kaiser, Beatrice Egly, Ross Antony, Jürgen Drews oder Bernhard Brink schrieb. Auch er stand hinter dem Mikrofon und bespielte dabei das Keyboard.
Auf der Bühne in Lorsch begeisterten daneben Tertia Botha sowie Cay Rüdiger am Schlagzeug, Frank Landes am Bass, Marc Hallbauer an der Gitarre, Axel Schwarz an den Keyboards und Mario Maradei Gonzalez an den Percussions. fw
Nach dem Aufheizen des Publikums, was bei Temperaturen um die 30 Grad vermutlich einfacher war als an anderen Tagen, ritt die Band die Welle der Welthits weiter und ging in den namensgebenden Song „Night Fever“ über. Als darauf mit „More Than A Woman“ der dritte Welthit folgte, gab es beim Publikum kein Halten mehr. Frenetische Begeisterungsstürme trafen auf lautstarke Textsicherheit und energetische Tanzbewegungen. Getreu dem Motto „Love is such a beautiful thing“ wurde bei „Too Much Heaven“ geschmust, gekuschelt und geschunkelt. Franco Leon schmetterte herzzerreißende Töne in die Nacht bevor die Stimmung bei „You Should Be Dancing“ wieder zum Kochen kam.
Lautstarkes Mitsingen bei Klassiker "I.O.I.O."
Bei dem Bee Gees-Klassiker „I.O.I.O.“ wurden dann die Gesangskünste des Publikums unter die Lupe genommen. War die Band mit den ersten Versuchen noch nicht ganz zufrieden –„Das klingt noch ein bisschen nach Zahnarzt“ – zeigte sie sich mit den weiteren Versuchen dann glücklich. „Das geht direkt ins Herz.“ Die titelgebenden „I.O. I. O.“-Rufe schallten dann lautstark durch die Abendluft. Dramaturgisch stimmig schraubte die Band dann die Show-Regler ein wenig nach unten und begab sich in den reduzierten A cappella-Teil des Abends.
Zu dritt am Mikrofon stehend gaben Franco Leon, Michael Zai und Uwe Haselsteiner den The Chordettes Song „Lollipop“ zum Besten, bevor sie „New York Mining Disaster 1941“ sangen. Der Bee Gees Song beschreibt ein Minen-Unglück, welches so nie stattgefunden hat. Geschrieben wurde er von Barry und Robin Gibb, als sie bei einem Stromausfall auf der Treppe eines Studios saßen. Angeblich habe sie das Echo vorbeifahrender Autos dazu inspiriert sich vorzustellen, sie seien in einer Mine gefangen. Im Liedtext unterhalten sich die zwei verschüttete Minenarbeiter. Dabei bekommt der Kollege des lyrischen Ichs ein Foto der Ehefrau gezeigt. „It’s just a photograph of someone that I knew. Have you seen my wife, Mr. Jones?“ fragt das lyrische Ich, fragt Night Fever und fragt das Lorscher Publikum. Eine Antwort bekommen sie zwar nicht, dafür die Feststellung: „Mit euch sing ich am liebsten.“
Mit „Islands in the Stream“ stand ein Song auf der Setlist, der zwar ein Bee Gees Song ist, dann aber wieder nicht. Er wurde 1983 von den Bee Gees geschrieben und produziert, gesungen allerdings von Kenny Rogers und Dolly Parton und ursprünglich geschrieben für Marvin Gaye und sollte ein R&B-Lied werden, bevor man sich für die Kenny Rogers Variante umentschied. 1998 coverten die Bee Gees den Rogers-Song, den sie selbst geschrieben hatten.
Tertia Bortha konnte mit ihrer Stimme beeindrucken
Den weiblichen Gesangspart übernahm in Lorsch dafür Tertia Botha, die in einem roten Kleid auf der Bühne auftauchte und „den magischen Teil des Abends“ einleitete. Mit der Band „Preluders“ feierte sie musikalische Erfolge bevor sie in Musicals wie Hair, Dirty Dancing oder West Side Story auf der Bühne stand. In Lorsch konnte sie mit ihrer ausdrucksvollen Stimme begeistern und erhielt nach jedem Song rauschenden Applaus und Jubel.
Auch mit ihrer Darbietung des Celine Dion Songs „Immortality“, dem Barbra Streisand Song „Woman in Love“ und „Heartbreaker“ von Dionne Warwick, alle von den Bee Gees geschrieben, konnte sie das Publikum begeistern. Die letzten Töe sang sie voller Inbrunst inmitten von Feuerfontänen, die aus dem Boden der Bühne geschossen kamen. Unter nicht minder eindrucksvollem Applaus verließ sie die Bühne wieder.
Als die Band dann „How deep is your Love?“ anstimmte und es auf den Bildschirmen virtuelle Herzen regnete, ging ein raunendes „Aaah“ durch die Menge, bevor alle Taschenlampen in die Höhe gingen. Bei der darauffolgenden Frage, mit wem „Night Fever“ bei künftigen Auftritten wieder rechnen können, war die einstimmige Meinung, dass sich ohrenscheinlich alle zu einem weiteren Termin treffen würden.
Mit dem passenden Twang
Zai brachte mit seiner Barry Gibb so ähnlichen Stimme mit dem gewissen nasalen Twang das Publikum mit dem „letzten“ Song zum Jubeln. Doch nach „Secret Love“ und „You Win Again“ war selbstverständlich noch nicht Schluss. Mit dem Verklingen des letzten Tons – einem ausufernden ekstatischen Schlagzeug-Outro – begannen „Zugabe“-Rufe. „Night Fever“ ließen sich natürlich nicht zweimal bitten und brachten „Juliet“ und eine Wiederholung von „You Should Be Dancing“. Der letzte Song des Abends sei eine Herzensangelegenheit. Es gehe um den Wunsch nach einer friedlichen Welt, auch wenn es momentan schwerfällt, so habe man dennoch versucht, die Welt für zwei Stunden ein bisschen besser zu machen.
Die Reaktion des Publikums schien zu bestätigen, dass der Versuch erfolgreich war. Bei „World“ leuchteten erneut alle Handy-Taschenlampen, ehe sich die Band unter lautem Applaus verabschiedete. Die Mission war erfolgreich: die circa 2 500 Gäste waren alle mit dem Night Fever infiziert.
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