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Wenn der Wasen zum „Highway to Hell“ wird

AC/DC feiern am Mittwoch mit 90 000 Fans das größte Konzert in der Geschichte Stuttgarts und böllern in zwei Stunden alle Hits in die Menge

Von 
Harald Fingerhut
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Angus Young (rechts) und Brian Johnson und ihre Mitstreiter von „AC/DC spielen am Mittwoch auf dem Stuttgarter Wasen groß auf. © Denise Fingerhut

Wenn der Wasen zum „Highway to Hell“ wird, genau, dann sind „AC/DC“ in der Stadt. Und alle kommen. In Stuttgart sind es an diesem Mittwoch 90 000 Menschen, die auf das Festivalgelände pilgern. Rekord für die Landeshauptstadt. Es ist das größte Konzert bis dato in der Stadt. Damit lösen die Australier die bisherigen Rekordhalter Bon Jovi mit 80 000 Besuchern ab. Gigantisch. Menschen wohin das Auge reicht.

Und gigantisch ist auch die „Wall of Sound“, die die hardrockenden Blueser um Angus Young und Brian Johnson aufs Festivalgelände zimmern. Die „Hells Bells“ dürfte man noch auf der Schwäbischen Alb gehört haben. Und dazu gibt’s ein fettes Best-of-Programm, das zwei Stunden lang Hit an Hit reiht und die Fans aller Dekaden bedient. Natürlich wird dem Meisterwerk „Back in Black“ mit fünf Songs am meisten gehuldigt. Und natürlich gibt’s am Ende Kanonenschläge: „For those about to rock (we salut you)“. Dem ist nichts hinzuzufügen. Ein musikalisch hervorragendes Konzert und vielleicht auch ein fetter und würdiger Schlusspunkt einer langen Reise.

Früher war alles besser. Das ist so eine Floskel, die Best-Ager und Menschen fortgeschrittenen Alters gerne mal in den Mund nehmen. Und bei AC/DC-Fans der ersten Stunde ist damit immer die Ära Bon Scott gemeint. Tatsächlich legten die Australier mit dem charismatischen Frontmann dereinst den Grundstock für ihre Weltkarriere.

Aber ganz nach oben in die Eliteklasse des Rock hat sie erst das Album „Back in Black“ mit Brian Johnson katapultiert. Und dieser Brian Johnson ist sich nicht zu schade, auch die Songs der frühen Jahre zu schmettern und somit für die Vollbedienung in Sachen Backkatalog zu sorgen. Das gelingt ihm live manchmal besser und manchmal schlechter. Und deshalb auch bei den Fans aller Schaffensphasen der Band, die bange Frage, ob’s noch genauso gut wird wie zu besten Zeiten. In Stuttgart ist es einer seiner besseren Abende.

Gleichzeitig steht auch die Frage im Raum, wie gut ist Angus Young noch drauf. Trotz Schuluniform lässt sein Äußeres eher auf Seniorenresidenz schließen. Aber auch hier sind die Befürchtungen fehl am Platz. Auch wenn sein Gesichtsausdruck immer ein wenig gequält wirkt, ist er gut unterwegs und seine Finger auf dem Griffbrett immer noch bestens in Form.

Viele werden auch mit ein wenig gemischten Gefühlen gekommen sein, weil niemand nach der langen Pause, bedingt durch die Erkrankung und schließlich den Tod von Rhythmus-Gitarrist und Songschreiber Malcolm Young, so genau wusste, in welcher körperlichen Verfassung sie sich präsentieren werden. Doch der Hunger nach einem Wiedersehen mit den Silberrücken des harten Bluesrock ist größer als die Skepsis, und so versammelt sich eine riesige Menschenmenge vor der Bühne auf dem Wasen.

Mit viel Power und messerscharfen Gitarrensalven

„Power up“ ist der Titel der Tour und mit viel Power und messerscharfen Gitarrensalven starten AC/DC auch ins Programm. Die Fans sind sofort dabei und ebenfalls auf Betriebstemperatur. Schon an zweiter Stelle folgt das ikonische Riff von „Back in Black“ und lässt es in der Menge brodeln. Und mit Dampf geht’s dann auch zwei Stunden lang durchs Programm.

Die großen Klassiker sind übers Set gut verteilt. Aber es ist an diesem Abend auch erstaunlich, wie gut die Hits jüngeren (das ist natürlich ein wenig relativ) Datums ankommen, vor allem „Stiff upper Lip“. Mit „Dirty Deads“ und „You Shook me all night long“ geht es dann auf die Zielgerade. Nach „Whole Lotta Rosie“ gehört die letzte halbe Stunde des regulären Sets Angus Young. „Let There Be Rock“ ist das Vehikel für ein ausuferndes Solo des kleinen Australiers, der seinen solistischen Ausflug für die Kommunikation mit dem Publikum nutzt und natürlich auch auf dem Boden liegend seine Sechssaitige bearbeitet. Wenn auch das Kreiseln nicht mehr so schwungvoll vonstattengeht.

Und da wären wir wieder beim Punkt: Früher war alles besser. Im Fall von AC/DC muss man sagen, es war anders. Natürlich ist die Rhythmus-Fraktion komplett neu. Weder Malcolm Young noch Phil Rudd und Ted Williams sorgen für den extravagant rumpelnden und treibenden Motor. Da ist jetzt viel mehr straighter Rock im Spiel. Aber das dürfte für die Meisten im Publikum marginal sein. Die Songs werden mit Verve dargeboten, nur die körperliche Kraftmeierei ist weniger. Brian Johnson hängt nicht mehr an der Glocke, wenn sie bei „Hells Bells“ über den Köpfen der Musiker thront und Angus Young kreiselt mit weniger Schwung und auch der Duck-Dance ist nicht mehr so ekstatisch. Aber was aus den Boxen kommt, dringt unwiderstehlich in die Gehörgänge und macht einfach Laune. Und das ist das Wichtigste. Und das hat gepasst. Insofern hat es sich gelohnt, die Strapazen, die mit dem Besuch zweifelsohne verbunden sind, auf sich zu nehmen.

Und da sind wir bei der Problematik solcher Großereignisse. Die hintersten Reihen der Zuschauerkulisse sind gefühlt einen Kilometer von der Bühne entfernt. Die Musiker auf der Bühne sind, wenn überhaupt nur als Stecknadelköpfe zu erkennen. Über das gesamte Gelände aufgehängte LED-Wände und Lautsprecherboxen sorgen zwar dafür, dass auch ganz hinten ein guter Sound zu hören und zu sehen ist, was auf der Bühne passiert, eine Interaktion zwischen Band und Publikum ist da aber nicht mehr möglich. Die Schattenseite solcher Gigantomanie. Dennoch haben die Fans auch dort viel Spaß. Irgendwie feiert man auch ein wenig sich selbst und die Tatsache, überhaupt dabei sein zu können.

Nach dem Konzert wird die Problematik solcher Menschenmengen noch deutlicher. Das Verlassen des Geländes wird zur Geduldsprobe. Es stockt und kommt zum Gedränge. Zum Glück sind Hardrocker eher gemütliche und geduldsame Menschen, so dass alles noch gesittet abläuft. Aber das hätte auch schiefgehen können. Und auch während des Konzerts gibt es kaum ein Durchkommen. Die Fans stehen dicht gedrängt über eine riesige Fläche.

Abend hat auch etwas von Abschied.

Im Nachhinein werden die wenigsten ihr Kommen bereut haben. Denn bei aller Wiedersehensfreude hat der Abend doch auch etwas von Abschied. Selbst Angus Young hatte am Ende rote Augen. Vielleicht lag’s an den Pyros, vielleicht aber auch daran, dass ihm bewusst wird, dass die „Highway to Hell“ auch ein Ende hat, die Band auf die Zielgerade eingebogen ist.

Brian Johnson hat schon nach dem vierten Lied gepumpt, wie ein 400-Meter-Läufer nach dem Zieleinlauf. Und zwischen den Liedern ist immer eine Pause, in der sich die Band und vor allem Johnson erholen.

Deshalb wär’s für Angus und Co. ein wirklich guter Zeitpunkt, um „Tschüss“ zu sagen. Schließlich soll man gehen so lange die Leute „Schade“ sagen und nicht „Gott sei Dank“. Im Hier und Jetzt bleibt aber nur eins: „We salut you“.

Setlist

Regular: If You Want Blood (You’ve Got It),Back in Black, Demon Fire, Shot Down in Flames, Thunderstruck, Have a Drink on Me, Hells Bells, Shot in the Dark, Shoot to Thrill, Stiff Upper Lip, Sin City, Rock ‘n’ Roll Train, Dirty Deeds Done Dirt Cheap, High Voltage, Riff Raff, You Shook Me All Night Long, Highway to Hell, Whole Lotta Rosie, Let There Be Rock (with Angus guitar solo).

Encore: T.N.T.,For Those About to Rock (We Salute You).

Redaktion Stellvertretender Deskchef

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