Lorsch. Ein Programm speziell für Kinder gibt es in den meisten Städten und Gemeinden in den Sommerferien. Wer den Urlaub daheim verbringt, wird sich auf diese Weise bestimmt nicht allein zu Hause langweilen müssen. In Lorsch ist das Angebot schon deshalb besonders attraktiv, weil es zum Beispiel Ferienspiele auch an der Weltererbestätte gibt. Reisen ins Mittelalter werden dort angeboten. Vergleichbare Termine an einem solch historischen Ort hat kaum eine andere Kommune zu bieten.
Eine ganze Woche lang kümmerten sich jetzt die Museumspädagogen Florian Saum und Patricia Scheuermann um abwechslungsreiche Mitmach-Aktionen. Auf dem Klostergelände sowie im Experimentalarchäologischen Freilichtlabor Lauresham konnten die Teilnehmer viel erfahren über die ferne Vergangenheit, einen Eindruck vom Alltagsleben vor rund 1200 Jahren erhalten und eigenhändig Arbeiten von anno dazumal ausprobieren.
„Damals hatte man nicht so viele Klamotten wie heute“, stellten die Kinder fest, als es an einem der fünf Feriennachmittage um Textilherstellung ging. Denn mühsam und sehr zeitaufwändig war es, bis ein Gewand gefertigt war. Im Webhaus in Lauresham zeigte Florian Saum die einzelnen Schritte auf, bis aus einem Stück Schurwolle erst einmal ein einfacher Faden wurde. Die Wolle musste gereinigt und gekämmt werden, dann konnte man beginnen, aus den Fasern einen Faden zu spinnen. Das erforderte einige Übung.
Kleidung nicht zu oft waschen, lieber vorsichtig bürsten
„Wie wäscht man die Sachen?“– auch das wollten die jungen Teilnehmer tatsächlich aus Interesse wissen. Wegen jedes kleinen Flecks wurde kostbare Kleidung damals natürlich nicht gewaschen. Dass Wollpullover bei falscher Behandlung schrumpfen oder verfilzen, das war den Kindern bereits bekannt. Schonender für das Naturprodukt, das über eine vergleichsweise hohe Selbstreinigungskraft verfügt, ist es, statt gewaschen vorsichtig gebürstet zu werden, berichtete Patricia Scheuermann.
„Wenn das Brettchen sich dreht, dann tauschen die Fäden die Seiten“, erläuterte Saum die Technik des Brettchenwebens. Im Besucherinformationszentrum machten sich die rund 20 Kinder dann selbst ans Werk. Dass man für das Bandweben, das Ergebnis ist heute als Freundschaftsband wieder sehr beliebt, Ausdauer und Konzentration benötigt, merkten die Teilnehmer bald. Saum und Scheuermann sorgten deshalb für ausreichend Pausen.
Im Freilichtlabor wurde dann zum Beispiel das Färberhaus besucht und erläutert, wie unsere Vorfahren Farbloses bunt machten: Mit Hilfe der Reseda-Pflanze wurden zum Beispiel Gelbtöne möglich, mit Waid wurde alles grün. Auch die Wollfäden, aus denen die Ferienspiele-Kinder ihre Bänder produzierten, waren in Lauresham zuvor selbst gefärbt worden, erinnerte Scheuermann. Denn das Mittelalter war keineswegs nur grau und dunkel, auch eindrucksvolle Muster gab es damals bereits.
In der Pause die Ochsen Don und Dino besuchen
Zu den schönsten Pausen-Erlebnissen gehörten außerdem die Begegnungen mit den Lauresham-Tieren. Hühner laufen den Besuchern auf dem Gelände, das einem Herrenhof zur Karolingerzeit nachempfunden ist, selbstverständlich über den Weg. Die Ochsen Don und Dino einmal aus nächster Nähe zu bewundern, ergibt sich auch nicht alle Tage. Keine Faxen machen, sondern leise an ihr Areal herangehen, damit sich die großen Tiere nicht unnötig erschrecken und vielleicht unerwartet reagieren, lautete die Devise.
Im Mittelalter waren die Rinder nicht nur ein Fleischlieferant, fast alle Teile des Tieres wurden als wertvolle Materialien geschätzt. Dass aus der Rinderhaut zum Beispiel Leder gemacht wird – auch das war den Kindern bereits bekannt. Im Rahmen der Ferienspielwoche widmete sich ein Nachmittag schließlich dem Anfertigen von kleinen Ledertaschen. Im Mittelalter waren sie eine wichtige Aufbewahrungsmöglichkeit für allerlei Kostbarkeiten.
Sicherlich dienten sie unter anderem auch zum Deponieren für Schmuckstücke. Dekorative Objekte, gestaltet nach Vorbildern aus der Zeit des Mittelalters, waren ebenfalls ein Thema für das Ferienangebot an der Lorscher Welterbestätte. Mit Perlen wurden die Kunststücke jetzt gearbeitet.
Das Ferienspielprogramm der Museumspädagogik wurde in diesem Jahr nicht allein von Lorscher Eltern kräftig für ihren Nachwuchs gebucht. Kinder aus dem Bergsträßer Raum und sogar aus Darmstadt waren diesmal angemeldet worden. Es war möglich, nur einzelne Tage zu wählen, es konnten aber auch gleich für die gesamte Woche Plätze belegt werden. Alle Angebote waren diesmal gefragt, freuten sich die Veranstalter, dass Angebot und Nachfrage ideal zusammenpassten und kein Tag mangels Interesse abgesagt werden musste.
Der lange Weg bis zum Buch
In einem Raum des Museumszentrums in der Stadtmitte trafen sich Ferienspielkinder zum Beispiel, um unter Anleitung der Museumspädagogen ein Buch herzustellen. Seiten wurden sorgfältig gefaltet und von jedem Kind wurde eigenhändig ein Lederdeckel gearbeitet. Schmucke Metallteile wurden für die Buchverzierung individuell geprägt. Manche Teilnehmer entschieden sich für die Anfangsbuchstaben ihres Namens, andere für einen Ochsenkopf als Hingucker.
Wie viel Zeit und Sorgfalt erforderlich waren, bis eine Handschrift endlich fertig geheftet vorlag, kann man sich im Digitalzeitalter kaum mehr vorstellen. Lauter kleine Originale produzierten jetzt auch die Ferienspielkinder.
Kloster Lorsch war berühmt auch für die umfangreiche Bibliothek
Die Tinte war im Mittelalter übrigens noch nicht blau, erfuhren die Teilnehmer nebenbei. Schwarz, braun oder rot war die Tinte, mit der die Mönche einst mühsam mit einem Gänsekiel Texte aufs kostbare Pergament brachten. Das Lorscher Kloster war berühmt für sein Skriptorium und seine Bibliothek.
Ein Abstecher führte die Kinder unter anderem auch in die Zehntscheune. Das große Gebäude im Klostergelände ist nur zu ausgewählten Zeiten öffentlich zugänglich. In den Räumen werden Fundstücke aufbewahrt, die Archäologen bei Ausgrabungen auf dem Klostergelände entdeckt haben. Am Nachmittag der Buchproduktion konnten die Teilnehmer dort aber auch einen ausführlichen Blick auf eine Kopie des St. Galler Klosterplans werfen, der eine Klosteranlage etwa zur Zeit Karls des Großen zeigt. Auch ein Faksimile des Lorscher Evangeliars lernten sie kennen.
Dass das Mittelalter auch eine schmackhafte Küche kannte, bewies der Koch-Nachmittag. Gemeinsam bereitete die Gruppe Käsekrapfen in Form von Hufeisen zu. Dazu gab es Sauerkirschensoße, und Brötchen wurden selbst im Kugelbackofen gebacken.
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