Theater

Von Boomern und Gen Z beim Lorscher Kultursalon

Die Boomer wollen feiern, doch die Jugend geht schon schlafen: Kultursalon sorgt für beste Stimmung im Lorscher Sapperlot – und auch das Publikum ist jederzeit interaktiv dabei

Von 
Nina Schmelzing
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Die Bergsträßer Band „Sweet Infidelity“ begeisterte unter anderem mit einer sanften Interpretation des Hardrock-Klassikers „Highway to Hell“. © Thomas Neu

Lorsch. Das Sapperlot war gut drauf. Beim jüngsten Kultursalon war die Stimmung von Beginn an grandios und das Publikum im voll besetzten Lorscher Theater konnte nicht genug bekommen von den höchst unterhaltsamen Beiträgen auf der Bühne. Von allen Künstlern wurden jedenfalls Zugaben gefordert – und fast alle Künstler kamen dem Wunsch der Theaterbesucher auch gerne nach.

Kerim Pamuk, der das Programm eröffnete, spendierte – besonders großzügig – sogar zwei Zugaben. Damit sorgte er insgesamt für Ausgeglichenheit, denn Patrizia Moresco, die den famosen Schlusspunkt im Salon setzte, hatte keine Lust auf Zugabe, da konnten die Zuhörer noch so vehement applaudieren. Sie empfahl, Tickets für ihren nächsten Besuch in Lorsch zu erwerben. Denn schon im Januar kommt sie erneut ins Sapperlot. Den Termin werden sich nach ihrer begeisternden Vorstellung viele neue Fans nicht entgehen lassen.

Die Band "Sweet Infidelity" stammt aus der Region

Das Publikum ließ sich seinerseits ebenfalls nicht lange bitten und kam jeder Aufforderung der Künstler nach interaktiver Unterstützung umgehend nach. Als die Gruppe „Sweet Infidelity“ den Hit „Rock Your Body“ anstimmt, antwortet der Theatersaal sofort laut mit passendem „Yeah, Yeah“-Background-Gesang. Die Hände über dem Kopf wird rhythmisch mitgeklatscht.

Wie kann es sein, dass man diese vierköpfige Band noch nicht kannte? Das fragten sich viele Zuhörer verwundert. Selbst denjenigen, die oft zu Konzerten unterwegs sind, war sie bislang kein Begriff. Das Sapperlot und Moderator Daniel Helfrich hatten mit „Sweet Infidelity“ wieder einmal für eine Entdeckung gesorgt. Schließlich stammt die Band, die sich als „akustischer Saitensprung“ bezeichnet, aus der Region. Als „Bergsträßer Band“ bewerben sich Kontrabassist Markus, Gitarrist Henning, Trompeter Hans-Peter und Sängerin Wibke, die mit ihrer umwerfenden Stimme singen kann, was sie will – das Publikum geht mit.

„Vernachlässigten Liedern“ widmen sich „Sweet Infidelity“ und auch berühmten Hits gewinnen sie mit ihren kreativen Interpretationen neue Dimensionen ab. Hardrock wie „Highway to Hell“ von AC/DC erklingt von den mit Strohhüten auftretenden Musikern sanft und überzeugend gut. Selbst dem großen weißen Hund, der hinter dem Bühnenvorhang hervorlugt, gefällt das. Langer Beifall und Zugabe folgen.

Wehmütiger Rückblick auf einen chaotischen 20. Geburtstag

Keine Premiere war das Sapperlot jetzt für Uli Boettcher. Der Schauspieler und Kabarettist, der in seiner Heimat in einer umgebauten Scheune ein Hoftheater eröffnet hat, reiste aus Ravensburg in die Lorscher Kulturscheune an. Mitgebracht hatte er in den Kultursalon allerlei Beschwerden, die ungefragt mitkommen, wenn man die 50 überschritten hat und zahlreichen Zuhörern offenbar ebenfalls vertraut sind. „Silberrücken im Nebel“ hat er seine treffenden Beobachtungen über das missliche Älterwerden betitelt.

Ungeteilte Zustimmung beim Publikum als Boettcher wehmütig auf die ersten Dekaden des Lebens zurückblickt: den 20. Geburtstag, im Elternhaus gefeiert, an dem 40 Gäste eingeladen waren, aber plötzlich 120 dabei waren und der Rotwein-Cola-Mix die Riesenparty chaotisch glücklich machte.

Spontane Gespräche mit schlagfertigen Sapperlot-Gästen

50 – das sei ihm damals als geradezu unappetitlich alt erschienen, gibt Boettcher zu. Jetzt weiß er: „Das Leben mit 50 kann durchaus lebenswert sein.“ Aber miese Augenwischerei sei es dennoch. Denn was soll jetzt tatsächlich noch positiv kommen? Boettcher hat sofort einen guten Draht zum Lorscher Publikum. Im Saal macht er „Marlon“ als jüngsten Besucher aus. Erst 20 ist der Sapperlot-Gast, der sich vom Oldie – zum Vergnügen des Publikums – dann allerhand Frechheiten anhören muss.

Aber das ist noch nichts im Vergleich zum längeren Zwiegespräch, das sich spontan mit einer Besucherin von der Empore ergibt. Boettcher erzählt gerade von seinem Erlebnis bei den „Chippendales“, die mit den Pobacken Nüsse knacken, obwohl es doch Werkzeug dafür gibt. Er schäkert so lange sehr gekonnt mit der schlagfertigen Sapperlot-Zuschauerin namens „Nuss“, die flott dazwischenruft und schon auf die Treppe läuft, um mutig selbst die Bühne zu erklimmen – da biegt Boettcher im Programm dann aber doch lieber schnell auf ein anderes Thema ab.

Auf Radfahrer in ihren neonfarbenen Leibchen zum Beispiel. Das Radeln ist übrigens der letzte Sport, der den Senioren bleibt, nachdem die Knie nach jahrelangem Squash den Dienst versagen, sagt Boettcher. Das Rad sei „die Vorstufe zum Rollator“, unkt der Kabarettist und bittet inständig: „Habt Mitleid“. Das Publikum spendet viel Beifall und die Zugabe-Rufe bleiben selbst bei einem Boomer, der vielleicht bereits leichte, altersbedingte Schwerhörigkeit bei sich diagnostizieren würde, nicht ungehört. Boettcher erfüllt sie.

Für Moresco ist die Jugend zu brav und sterbenslangweilig

Über das Selbstmitleid der 50-Plus-Männer kann Patrizia Moresco nur den Kopf schütteln. Mit dem Ausruf „Ich bin gerade 68 geworden“, springt sie nach Boettcher auf die Bühne und erobert die Herzen der Sapperlot-Zuschauer im Nu. Von allerlei Wehwehchen kann auch sie gewitzt berichten, versichert aber, sie sei „fein mit dem Alter“ – und das glaubt man ihr. Ein Kraftakt ist es jedenfalls, wie sie sich auf der Bühne temperamentvoll verausgabt.

Und das nicht erst seit sie im gesetzteren Alter ist. Die gebürtige Mannheimerin hat viel gesehen, war weltweit auf Tour, mit den „Shy Guys“ unter anderem. Generationenunterschiede sind ein Thema für die „Best Agerin“. „Wieso hacken wir auf der Generation Z herum?“, fragt Moresco, um dann aber gleich mitzumischen. Sie war einst Punk und erlebte eine „verdammt harte Zeit“, Stunden dauerte es jeden Tag, bis sie abgerissen genug aussah.

„Wir waren nicht so sterbenslangweilig“, gibt die äußerst agile Jung-Seniorin dem Nachwuchs mit auf den Weg, über dessen Bravheit sie staunt. Wenn die benachbarte WG feiern will, kündigt diese das mit Zetteln im Briefkasten bereits Tage vorher an – und als Moresco nachts auf den dröhnenden Lärm wartet, ist die Party schon längst wieder beendet und die Generation Z schlafen gegangen. Riskiert doch mal was, fordert sie die Jugend auf.

Minutenlanges Schnarchen

Sehr erstaunt zeigt sich die Kabarettistin auch darüber, wie Eltern heute mit ihren Kindern umgehen. Mit viel Liebe, erkennt sie mit Blick auf ihre eigenen einstigen Erziehungsberechtigten lobend an, die auch mal den Holzkochlöffel einsetzten. Heute suchen sich die Kleinen aber sogar die Windelmarke selbst aus. Zur Hochform läuft die Künstlerin auf, als sie vorführt, wie es sich mit der vom Arzt verordneten Zahnschiene schläft: Minutenlang schnarcht sie, dass die Wände zittern.

„Deutsch war mein gutestes Fach“, verabschiedet sich die Waldorfschülerin mit italienischen Wurzeln unter stürmischem Applaus, der man im Kultursalon gerne noch länger zugehört hätte.

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Manches lässt sich aus dem Sapperlot immerhin mit nach Hause nehmen. Kerim Pamuk, der Kabarett der erstmals in Lorsch zu Gast war, hat schließlich auch abseits der Bühne Erfolg. In einigen seiner Bücher, die Titel tragen wie „Kiffen, Kaffee und Kajal“ und „Der Islam, das Islam, was Islam?“ klärt der in der Türkei geborene und in Deutschland aufgewachsene Autor über allerlei kulturelle Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten auf. Als Türke war er aggressiv, als Deutscher ist er empört, erläutert Pamuk. Als Deutscher reserviert er auch im Dönerladen vorab – einen Stehplatz. Einige seiner Bücher hatte er ins Sapperlot mitgebracht zum Verkauf.

Moderator Daniel Helfrich ist bereits nächste Woche wieder im Sapperlot im Einsatz. Beim Kultursalon erhielt er für sein Trennungslied um Van Goghs Ohr mit originellen Reimen Bravo-Rufe. Für die jährlich besten Beiträge des Kultursalons wird am Dienstag (11.) der Kleinkunstpreis „Lorscher Abt“ verliehen.

Redaktion

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