Lorsch. Es gibt Bergsträßer, die noch nie die Königshalle oder gar Lauresham besichtigt haben. Es gibt sogar hessische Minister für Kunst und Kultur, bei denen das der Fall ist. Timon Gremmels hat das aber rasch geändert. Seit gut einem halben Jahr ist der in Marburg gebürtige und in Kassel aufgewachsene SPD-Politiker als Minister im Kabinett von Boris Rhein (CDU) tätig. Kunst, Kultur, Forschung und Wissenschaft gehören zu seinem Ressort. Am Mittwochabend hat Gremmels nun erstmals die Welterbestätte Kloster Lorsch gesehen. Hessenweit war Lorsch 1991 immerhin der erste Ort, der diesen überaus begehrten internationalen Titel geholt und bis heute auch behalten hat.
Lorscher haben ein außergewöhnliches Programm organisiert
Eines stand für den 48-Jährigen bereits bereits nach gut anderthalbstündiger Führung fest: die Premiere soll nicht sein einziger Besuch bleiben. „Ich komme mit Sicherheit wieder“, das sagte er auf BA-Nachfrage. Von dem, was Lorsch zu bieten hat, zeigte er sich jedenfalls sehr beeindruckt. Und wo sonst kann man schon einmal spontan ein Stück des Weges mit einem Ochsenkarren zurücklegen und wird anschließend zu einem köstlichen Mahl eingeladen, zubereitet nach feinen mittelalterlichen Rezepten?
Die Lorscher boten ein außergewöhnliches Programm, und Kirsten Worms, Direktorin der Schlösserverwaltung Hessen mit Sitz in Bad Homburg, war mit mehreren Experten ihres Teams vor Ort, um dem Gast fachkundig alle Besonderheiten vorstellen zu können. Welterbestätten-Leiter Dr. Hermann Schefers und Lauresham-Leiter Claus Kropp gehörten ebenfalls dazu und auch Bürgermeister Christian Schönung sowie einige Lorscher Sozialdemokraten schlossen sich der Runde an.
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Schon an der Torhalle staunte Gremmels nicht schlecht. Als Schefers berichtete, dass 80 Prozent dieser Stätte noch aus der originalen Bausubstanz in herausragender Qualität ums Jahr 900 bestehen, glaubte er zunächst, sich vielleicht verhört zu haben und fragte vorsichtshalber noch einmal nach. „Da ist der Herkules ja ein Baby dagegen“, stellte der Minister aus Nordhessen mit Blick auf das Wahrzeichen Kassels fest. Die Herkules-Statue ist sehr jung, stammt nur aus dem 18. Jahrhundert.
Minister besuchte das Klostergelände in Lorsch
Auch mit ihrem auffälligen Fassadenschmuck ist die Königshalle einzigartig und werde „immer“ in Büchern über die Karolingerzeit erwähnt bleiben, so Schefers. Eine Torhalle im eigentlichen Sinn war das Gebäude nicht, lernte der interessierte Minister. Das Obergeschoss wurde im Mittelalter möglicherweise als eine Art „Mehrzweckhalle“ genutzt. Rund 30 Besuche von Königen und Kaisern sind für Lorsch verzeichnet, auch ein Papst kam vorbei und Lorsch ist zudem Grablege unter anderem für König Ludwig den Deutschen, erinnerte Historiker Schefers an die enorme Bedeutung der Karolingerstadt.
Dass das Klostergelände aber nicht nur Schokoladen-Seiten hat, fiel dem Minister mit geübtem Auge schnell selbst auf. „Ich seh’ alles“, erklärte er. Im imposanten geöffneten Kirchenrest, den er unbedingt besichtigen wollte, wunderte er sich doch sehr über eine weiße Wand im Inneren, die an Fliesen aus dem Schwimmbad erinnert und unmöglich aus dem Mittelalter stammen kann. Das stimmt, war aber leider bislang nicht zu ändern, wurde ihm mitgeteilt. Aus statischen Gründen wird der „Wow“-Effekt, den der Gast auf dem Klostergelände ansonsten erlebte, an dieser Stelle stark beeinträchtigt. „Wir bräuchten einen sehr guten Tragwerksplaner“, hieß es von Lorscher Seite. Ohne die tragende Wand drohten die wunderschönen Arkaden jedenfalls umzufallen.
In Lorsch ließe sich – mit entsprechender Förderung – noch manches verbessern, weiter erforschen und entdecken. Als „sensationell“ pries Schefers etwa die Entdeckung eines Atzmannes. Die Einzelteile der liturgischen Skulptur waren im Mauerwerk eines Lorscher Brunnens verbaut und konnten für die Nachwelt dank der Bauforscherin Dr. Katarina Papajanni gerettet werden. Gremmels konnte eine Kurzführung in der Zehntscheune dazu mitmachen. Dass es noch drei weitere Brunnen in Lorsch gibt, die man gerne untersuchen wurde, verschwiegen die Lorscher nicht. Vielleicht bergen sie gleichfalls geheimnisvolle Sensationen?
Förderung aus einem Bundesprogramm für Kultureinrichtungen
Timon Gremmels konnte froh sein, dass seine Mitarbeiter bei der Planung seiner Sommertour Lorsch als letzte Station des Tages gesetzt hatten. Denn die zunächst vorgesehene Führungszeit wurde im Nu überschritten – und doch hatte der Minister noch längst nicht alles gesehen. Der Kräutergarten etwa musste aus Zeitgründen gestrichen werden, zum Museumszentrum mit der größten bekannten rauchbaren Pfeife und dem Adalher-Haus waren die Geschichten nur „im Schweinsgalopp“ zu erzählen. „Superspannend“, urteilte der Zuhörer aus dem Ministerium. Für die nötige Instandsetzung des Kurfürstlichen Hauses ist eine Förderung aus einem Bundesprogramm für Kultureinrichtungen bereits zugesagt. Der Keller wird zudem als Lapidarium eingerichtet.
Ein Abstecher nach Lauresham war drin. Der Minister wurde auf eine Rundfahrt mit dem Ochsenkarren eingeladen, Claus Kropp informierte über die Forschungsprojekte des Freilichtlabors auf internationaler Ebene, etwa mit der Uni in Oxford, und über den Ackerbau ohne Pestizide und Fungizide. Auch Flachs für die Leinenproduktion wird in Lorsch selbst angebaut. Ein Tütchen mit klimaneutral hergestelltem Popcorn-Mais gab es gratis.
Mit einem Essen, das dem Minister andernorts so sicher noch nie aufgetischt wurde, endete das Treffen gesellig an der großen Freiluftküche mit Köstlichkeiten, selbst gekocht vom Lauresham-Team nach Rezepten der Sforza. Die Mailänder-Promifamilie aus dem 15. Jahrhundert tafelte etwa „Raffiuoli“ mit Hühnchenfleisch und Hartkäse, sparte nicht an Gewürzen wie Safran und Ingwer. Das Mittelalter war keine nur karge Zeit. In Lorsch wurde dazu Wein aus heimischen Klosterlagen und Laursham-Pils gereicht. Die Kochkurse in Lauresham sind sehr beliebt bei Schulklassen – und auch für Betriebsausflüge, nahm der Gast mit auf den Heimweg.
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