Lorsch. Was macht eigentlich „Mensch vor Verkehr“ (MvV)? Arbeiten, sagt der Vorsitzende Reimund Strauch, wenn man ihn fragt. Öffentliche Veranstaltungen gab es in den vergangenen Monaten zwar keine. Und in den Sommerferienwochen haben es auch die Mitglieder von MvV ruhiger angehen lassen. Die Annahme, dass Strauch und seine Mitstreiter ihr Engagement für eine verträgliche Schienenneubaustrecke Frankfurt-Mannheim eingestellt haben könnten, ist aber falsch.
In Kürze, nächste Woche, wird der Verein im Rahmen eines Info-Abends in Lorsch über die jüngsten Aktivitäten berichten – und über die Arbeit, die noch ansteht. Alle Interessierten, nicht nur Mitglieder, sind dazu am 29. Oktober (Mittwoch) ins Lorscher Feuerwehrgerätehaus in der Nibelungenstraße eingeladen, Beginn ist um 19 Uhr. Für den Verein gibt es schließlich auch künftig eine Menge zu tun. Seit MvV als Umweltverband anerkannt wurde, haben die Aufgaben für den Vorstand zugenommen, sie sind sogar gewaltig gewachsen.
Stellungnahmen zu Stromtrassen und Straßenausbauten
„Uns erreichen inzwischen Anfragen aus der gesamten Bundesrepublik“, berichtet Strauch. Als Umweltverband verfasst MvV zu zahlreichen Großprojekten Stellungnahmen, auch die nicht zu unterschätzende Möglichkeit einer Verbandsklage hat „Mensch vor Verkehr“ durch diesen Status. In der näheren Umgebung befasste sich der Verein zuletzt zum Beispiel mit der Hunderte Kilometer langen Stromtrasse, die Windenergie von der Nordsee nach Hessen bringen soll und die Bergstraße und das Ried beschäftigt.
Manche Landwirte befürchten, dass die Erdkabel durch hohe Temperaturen den Obst- und Gemüseanbau beeinträchtigen könnten, der Umweltverband hat gegen die Stromautobahn nach bisherigem Sachstand keine großen Bedenken geltend gemacht. Neben dieser Gleichstromtrasse von Amprion, bekannt als Rhein-Main-Link, hat sich MvV unter anderem auch mit der geplanten Gasleitung Spessart-Odenwald, die parallel zur Straße geführt wird, befasst. Auch dieses Vorhaben bewertete man nach entsprechender Prüfung und einem Scopingtermin beim Umweltverband derzeit als ein Projekt, das „nicht kritisch“ ist.
„Es wird noch spannend“, urteilt Strauch dagegen über den geplanten sechsstreifigen Ausbau der A67, der gleichfalls zum Paket an Arbeit für „Mensch vor Verkehr“ gehört. MvV befürwortet ihn ebenso wenig wie den vierstreifigen Ausbau der B47. Dafür erhält MvV nicht nur Lob, weiß Strauch. Aber grundsätzliches Ziel sei es, mehr Güterverkehr auf die Schiene zu bringen. Die hohe Unfallrate auf der Autobahn sei keine direkte Folge der Vierspurigkeit.
Auch über die Verkehrsbelastung auf der Kriemhildenstraße in Lorsch, die bei Anwohnern und in der Kommunalpolitik gerade wieder ein Diskussionsthema ist, hat sich MvV mit einer Stellungnahme zu Wort gemeldet. Der Magistrat wurde von „Mensch vor Verkehr“ aufgefordert, beruhigende Maßnahmen auf den Weg zu bringen und dabei nicht allein ortsfremde Fachleute zu beauftragen, da sich ein solches Vorgehen nicht bewährt habe. Der mit Lorscher Bürgern besetzte Verkehrsausschuss sollte mit im Boot sein. Auch für einen zweigleisigen Ausbau der Nibelungenbahn zwischen Bensheim und Worms hat sich MvV eingesetzt.
Der Erhalt einer gesunden Lebensumgebung im Kreis Bergstraße ist Ziel der Vereinsarbeit. MvV sieht sich dabei nicht als Verhinderer von Großbauprojekten. Das Eintreten für eine „intelligente“ Planung von Ortsentwicklung und Infrastrukturprojekten ist vielmehr erklärtermaßen MvV-Vereinszweck – und das ist herausfordernd in einem stark bebauten Gebiet, in dem unter anderem Platz für Autobahnen, Schnellstraßen, Bahntrassen und Stromleitungen zu suchen ist.
Auch das Mammut-Projekt, das vor gut 25 Jahren zur Gründung von „Mensch vor Verkehr“ führte, ist keines, das MvV verhindern möchte: MvV will die Schienenneubautrasse Frankfurt-Mannheim. Das Projekt wird den Aktiven trotzdem noch einiges an Arbeit abverlangen. Die Freude darüber, dass die Bahn inzwischen Forderungen erfüllen will, von deren Notwendigkeit „Mensch vor Verkehr“ die Planer seit mehr als zwei Jahrzehnten unermüdlich zu überzeugen versuchte, ist zwar in der Region riesig. Auch bei MvV ist das der Fall, seit die Bahn im vorigen Jahr erklärte, dass sie für die Strecke zwischen Einhausen und Mannheim nun einen langen bergmännischen Tunnel bevorzuge.
Fast 15 Kilometer lang im Tunnel unter der Erde unterwegs
Nördlich von Einhausen sollen ICE- und Güterzüge unter die Erde kommen und erst bei Mannheim-Blumenau wieder auftauchen. Dass die Bahn nun diese Variante realisieren will, kam für viele sehr überraschend. Eine Länge von knapp 15 Kilometern würde der Bergsträßer Tunnel in der außerordentlich verkehrsreichen Region haben. Sowohl die A67 als auch die Weschnitz sollen mit beiden Tunnelröhren, jedes Gleis in eigener Röhre, unterfahren werden. Diese Variante erweise sich als schonendste und wirtschaftlichste, hat mittlerweile die Bahn erkannt.
So groß die Freude auch bei MvV ist – das Ziel ist noch nicht erreicht, mahnt Strauch. Gebaut ist in der Region schließlich noch kein Kilometer. Und so lange noch kein Planfeststellungsbeschluss vorliegt, lässt der MvV-Vorstand keine Sektkorken knallen. Untätig abwarten, bis sich alles zum erhofft guten Ende fügt, ist für ihn ohnehin keine Option. Aufmerksam sein, lautete bei MvV stets die Devise. Damit ist man gut gefahren – und dabei bleibt man.
Noch ist nicht in trockenen Tüchern, dass die Neubaustrecke so verwirklicht wird, wie es jetzt zum Teil schon gefeiert wird. Das wird Reimund Strauch nicht müde, zu unterstreichen. Auch die wichtige parlamentarische Befassung steht noch bevor. Dabei entscheidet der Bundestag über die Finanzierung von Forderungen der Region, die über das gesetzlich vorgeschriebene Maß hinausgehen. Einen Termin gibt es noch nicht. Die Planfeststellungsunterlagen, so kann man es bei der Bahn erfahren, sollen nach aktuellem Stand Ende 2026 eingereicht werden.
Riesige Baustelle auf Zeit zu erwarten
Auch wenn dann in einigen Jahren der erste Spatenstich gesetzt wird, dürfte es für einen Umweltverband viel zu tun geben. Der Tunnelbau ist schließlich eine gewaltige Maßnahme und allein schon für die Arbeiten am Tunnelmund werden große Flächen benötigt für viele Baumaschinen, für Parkplätze und Sanitäreinrichtungen für die Beschäftigten, für Lagerflächen, für den Aushub, für anzulegende Zufahrtsstraßen für den Baustellen-Schwerverkehr. Es sind zahlreiche Versorgungsleitungen zu verlegen, zumindest zeitweise muss Boden versiegelt werden. Auch mit Erschütterungen ist selbstverständlich zu rechnen und mit Lichtemissionen durch große Scheinwerfer.
Aber das ist Zukunftsmusik. Zuversichtlich stimmen MvV jetzt erst einmal auch die Informationen aus dem Entwurf des neuen Regionalplans, der in den kommenden Wochen in den Kommunen beraten wird. Der bergmännische Tunnel sei darin Thema, das sei sehr positiv, heißt es von MvV. Im Vorstand von „Mensch vor Verkehr“ werden momentan ebenfalls Stellungnahmen zum Regionalplan erarbeitet.
Pläne studieren, sich zu Sitzungen treffen und abstimmen, Berichte verfassen und Kontakte knüpfen, das gehört weiter zum Arbeitsalltag bei MvV. „Immer wieder kleine Schritte“ seien nötig, sagt Strauch. Die Ansprechpartner für den Verein haben in den vergangenen Jahren bereits öfter gewechselt, zuletzt nach dem Bruch der Ampelkoalition. Die MvV-Spitze ist dagegen über all die Jahre sehr stabil geblieben – und dass die Mitglieder ihr Engagement und ihre Erfahrung ehrenamtlich einbringen, daran kann man nicht oft genug erinnern.
Im direkten Anschluss an den Infoabend am Mittwoch hält „Mensch vor Verkehr“ seine Jahreshauptversammlung ab. Interessierte sind auch dazu im Feuerwehrhaus gern gesehen. Weitere Mitstreiter sind im Verein jederzeit willkommen, auch über einen Aktiven, der künftig die Schriftführer-Arbeit übernehmen will, würde man sich freuen. Wahlen stehen am Mittwoch nicht an.
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