Lorsch. Wissenschaft zum Anfassen: Unter diesem Motto lädt Lauresham seit diesem Jahr interessierte Bürger zu einer neuen Veranstaltungsreihe ein. An der Welterbestätte widmen sich Wissenschaftler der Erforschung des Frühmittelalters. Ziel des archäologischen Projekts ist es, neuste wissenschaftliche Erkenntnisse der Öffentlichkeit zu präsentieren. Unter der Führung von Claus Kropp und Jens Schabacker erfuhren die Teilnehmer der knapp zweistündigen Führung jetzt, wie das Leben vor über 1000 Jahren ausgesehen haben könnte.
„Uns geht es vor allem darum, mit Klischees aufzuräumen, die das Mittelalter oftmals nur als primitive Zeit darstellen“, betonte Kropp, der Leiter des Freilichtlabors, zu Beginn der Führung. „Man ist immer nur ein Kind seiner Zeit.“ Wenn man sich dem bewusst werde, blicke man mit einer anderen Sichtweise auf das Leben im Mittelalter zurück, fuhr der Historiker fort.
Um den Alltag der Menschen zur damaligen Zeit zu rekonstruieren, greifen die Wissenschaftler auf eine Vielzahl von Quellen zurück, darunter Bild- und Schriftquellen, aber auch auf archäologische Untersuchungen. Gleichwohl müsse man sich immer im Klaren darüber sein, dass man das Leben auf einem Karolingerhof, so wie er in Lorsch rekonstruiert ist, nicht exakt nachzeichnen könne und vieles spekulativ sei. Als Beispiel nannte Jens Schabacker den Fund eines Hauses aus der damaligen Zeit – zumindest das, was davon noch übrig ist.
Manches ist noch Spekulation
Der Grundriss eines solchen Gebäudes sei zwar durch den „Bodenabdruck“, den es hinterlassen habe, relativ gut nachzuzeichnen, „in der Höhe“ werde es jedoch schwieriger. Während gebrannter Ton oder Holzkohlereste Aufschluss über eine Feuerstelle geben, sagt das noch nichts über die Bauart eines Dachs aus. Auch über die Farben der Häuser könne man nur spekulieren. Dennoch sei davon auszugehen, dass die Häuser des Mittelalters nicht nur grau und monoton gewesen seien, so wie es in vielen Konstruktionen dargestellt werde, erklärte Kropp.
So hätte bereits die Bandkeramische Kultur – erste sesshafte Kultur in Süddeutschland – vor mehr als 7000 Jahren ihre Keramikgefäße mit Ornamenten verziert. Weniger mit künstlerischen Schriftzügen als mit Raumklima in frühmittelalterlichen Häusern beschäftigen sich die Forscher in Lauresham. Die Wissenschaftler um Jens Schabacker untersuchen seit einigen Jahren die Lebensbedingungen in einem typischen Haus aus dem 9. Jahrhundert. Hierfür bewohnten in der Vergangenheit bereits Studenten der Uni Heidelberg für einige Tage den rekonstruierten Karolingerhof – im Winter.
Sie kochten, heizten und schliefen dort, um das Leben im Frühmittelalter möglichst detaillegetreu nachzustellen. Dabei lag die mittlere Raumtemperatur lediglich rund vier Grad über der Außentemperatur – mit anderen Worten: Es war bitterkalt.
Wollmäntel halten warm
Dennoch empfanden die Teilnehmer die Temperaturen im Haus als erträglich, wie Schabacker referierte. Grund dafür seien die Wollmäntel gewesen, welche nicht nur die Bevölkerung im Mittelalter warmhielten, sondern auch die Heidelberger Studenten. Zudem gelangten die Wissenschaftler zu der Erkenntnis, dass ein einfaches Holzfeuer nicht ausreichte, um den Raum mit Licht zu füllen.
Außerdem zeigten die Experimente, dass die durch den Rauch entstandene Kohlenmonoxid-Konzentration gesundheitsgefährdende Werte erreichen konnte – besonders in der ersten Etage eines Hauses. Daher schliefen die Menschen meistens im Erdgeschoss, erklärte Schabacker. Mittelalterfilme aus dem Fernsehen, die zeigten, dass jemand quicklebendig aus dem ersten Stock seines Schlafzimmers in den Wohnraum spazierte, seien deshalb häufig unrealistisch, so der Toxikologe.
Deutlich realistischer hingegen waren die Temperaturen nun an diesem Januartag. Bei Neuschnee und eisiger Kälte konnten sich die Teilnehmer während der Führung ein authentisches Bild von dem winterlichen Leben auf einem Karolingerhof machen.
Was bei den Ausführungen des Wissenschaftler-Duos immer wieder deutlich wurde: Auch wenn heutzutage die meisten Menschen das mittelalterliche Leben als kalt, ungemütlich und primitiv empfinden, wussten die Bewohner sich durch Einfallsreichtum anzupassen.
Nicht nur die Geschichte des Mittelalters ist geprägt von Erfindung und Entwicklung, sondern auch die Geschichte der Menschheit. Sich das heute bewusst zu machen, kann dazu beitragen, optimistischer in die Zukunft des 21. Jahrhunderts zu blicken. Am 19. März findet die nächste Führung unter dem Motto „Experimentelle Archäologie – Ackerbau“ statt.
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