Rathauskonzerte

Ein Krimi entführt in Lorsch in die Welt der Musik

Von 
Thomas Tritsch
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Das jüngste Rathauskonzert fand aufgrund der Pandemie im Paul-Schnitzer-Saal statt: Cosima Seitz, Markus Francke und Thomas Adelberger (am Klavier) begeisterten das Publikum mit der literarisch-musikalischen Collage „Bachs Mörder“. © Neu

Lorsch. Am Theater Ulm singt er als Tenor. Mit „Bachs Mörder“ hat Markus Francke vor zwei Jahren seinen ersten Krimi vorgelegt. Jetzt wurde die Story als literarisch-musikalische Collage vor Publikum uraufgeführt. Gemeinsam mit seiner Frau, der Sopranistin Cosima Seitz, hat der Tenor im Rahmen der Lorscher Rathauskonzerte aus seinem Buch gelesen und gleich den passenden „Soundtrack“ dazu serviert.

Gastgeber Thomas Adelberger hat diese Fusion nicht nur initiiert, sondern auch instrumental begleitet – an Flügel, Cembalo und an der Orgel. Damit hat der Lorscher Musiker und Chorleiter die Reihe um ein originelles Format bereichert. Kulturamtsleiterin Gabi Dewald begrüßte über 50 Gäste im gut besuchten Paul-Schnitzer-Saal, der während der aktuellen Situation deutlich mehr Sitzplätze bietet als der Nibelungensaal im Alten Rathaus, wo die Konzerte normalerweise stattfinden.

Das Interesse war am frühen Sonntagabend dennoch erheblich größer als die Kapazitäten. Laut Dewald hätte man mindestens 20 Karten mehr verkaufen können, wenn es die Rahmenbedingungen zugelassen hätten.

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Für die Akteure war es in jedem Fall eine schöne Kulisse nach einem kulturell recht blutarmen Jahr 2020. Bereits vor der Pandemie hatte der singende Autor mit seinem Debüt ein dramatisches Werk mit viel Sinn für feine Zwischentöne und dramaturgische Spannungsbögen inszeniert, was in seinem künstlerischen Umfeld durchaus für Aufmerksamkeit gesorgt hatte. Um als Teil der Branche nicht allzu tief in der Materie zu versinken und – im schlimmsten Fall – in den professoral-dozierenden Ton des kenntnisreichen Profis zu driften, hat der Verfasser auf die Ratschläge seiner Frau gehört, die das Script mehrmals gesichtet und bewertet hat, wie er während der Veranstaltung erklärte. Mit Erfolg: Denn „Bachs Mörder“ versackt trotz geballtem Insiderwissen nicht in verästelten Fußnoten über Leben und Werk des Thomaskantors, der in dem Buch natürlich nicht gemetzelt wird, sondern als Komponist der Matthäus-Passion einen dünnen roten Faden bildet. Hier blättert man nicht durch aufschneiderisches Fachgeplänkel für elitäre Zielgruppen, die beim Lesen das eigene Wissen beklatschen.

Für Soli, Chor und Ermittler

Der Krimi „für Soli, Chor und Ermittler“, so der Untertitel, ist zwar mit allerlei Zitaten aus dem Oratorium überschrieben und im Stile eines Tagebuchs – mit kleinen Rückblenden – zumeist chronologisch aufgebaut. Man spürt, dass hier einer schreibt, der den Chorbetrieb und die Chorliteratur auswendig kennt, vom Leser aber keine Kenntnisse auf Augenhöhe erwartet. Das macht die Geschichte auch für Klassik-Grünschnäbel zugänglich, ohne dass diese alle paar Zeilen in Fachbüchern nachschlagen müssen.

Die Uraufführung des monumentalen dramatisch-epischen Werks, das vom Leiden und Sterben Jesu Christi nach dem Evangelium des Matthäus erzählt, fand am 11. April 1727 in der Thomaskirche in Leipzig statt. Genau dort und dann setzt auch der Prolog des Buches an. Die Menschen staunen über diese „neue Musik“, die der Kantor da als Dialog für Soli, Chor und Orchester so brillant zum Gesamtkunstwerk ausformuliert hat. Knapp 300 Jahre später endet die Passion für manchen leider tödlich.

In einem großen Kölner Traditionschor (in der Stadt hat Francke studiert und lange gearbeitet) steht Bachs Prunkstück auf dem Probenplan. Es ist 2015 und ein Chorsänger fällt einem grausamen Verbrechen zum Opfer. Thomas Wunderlich, ein pensionierter Kriminalkommissar und Freund des Opfers, hat bald den Verdacht, dass die Polizei auf einer falschen Fährte ist. Als eine weitere Stimme verstummt, wird endgültig klar, dass der Fall wesentlich komplexer ist, als es zunächst den Anschein hatte. In der Szene breitet sich Panik aus. Gemeinsam mit dem Chorleiter Volker sucht Wunderlich nach dem Mörder.

Mit der Sopranistin, Dirigentin und Stimmbildnerin Cosima Seitz spannten Francke und Adelberger in Lorsch den Bogen von der Passion über das Kunstlied der Romantik bis zu zeitgenössischen Schlagern und Rap-Einlagen. Die gebürtige Bensheimerin glänzte gleich zu Beginn mit der Arie „Ich will dir mein Herze schenken“ aus der Matthäus-Passion. Der Sopran ist kraftvoll und schön, reich an Timbre, glockenhell in den Höhen und warm in der Substanz. Mit innerer Ruhe, sanftem Schmelz und zärtlicher Fragilität ließ sie Bachs Werke in deren voller Pracht erstrahlen. Auch bei Stings „Fields of Gold“ überzeugte Cosima Seitz mit Anmut und expressiver Tiefe.

Der lyrische Tenor von Markus Francke harmonierte wunderbar. Mit Geschmeidigkeit und Eleganz, klaren Konturen und einem facettenreichen Ausdruck präsentierte er unter anderen die Arie ‘Mache dich, mein Herze, rein“ und weitere Herzstücke aus der Matthäus-Passion, die zwischen den gelesenen Buchpassagen zu Gehör kamen.

Dass die Musiker auch vor der leichten Muse nicht scheuen, zeigte sich im zweiten Teil des Abends. Populäre 60er-Jahre-Schlager wie der „Kriminaltango“ oder „Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett“ schlugen den Bogen zur mörderischen Story, die Markus Francke auch als Plädoyer gegen die Verarmung der Kunst in den Köpfen der Menschen inszeniert hat. „Ich habe gespürt, dass wir unser Publikum verlieren“, sagte er in Lorsch. Mit seinem Buch möchte er zeigen, welche Schätze in der Musik zu entdecken sind.

Für den Sänger ist das kulturelle Erbe der Nation ein Teil seiner Identität und allein deshalb etwas Kostbares, das es zu bewahren gelte. Mit „Bachs Mörder“ serviert er einen lehrreich-amüsanten Trip in die Welt der Musik, ausgarniert mit augenzwinkernden Anspielungen von der ersten Chorprobe bis zur letzten Ehre. Das nächste Buch ist bereits in Arbeit. Im nächsten Jahr will der Tenor den Leser in die Welt des Theaters entführen. Wer dabei auf der Strecke bleiben wird, bleibt abzuwarten.

Bei so vielen Stimmungs- und Szenenwechseln, Arien und Rezitationen musste Thomas Adelberger in diesen eineinhalb Stunden gehörig zwischen den Instrumenten hin- und her wirbeln. Eine Herausforderung, die der Organist souverän bewältigt hat. Seine angerissene Toccata und Fuge in d-Moll an drei Instrumenten abwechselnd war beispielhaft. Ein Rathauskonzert ohne Rathaus zwar, aber sonst mit allem, was diese kontrastreiche Lorscher Entdeckungs-Reihe ausmacht.

Freier Autor

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