Lorsch. Mit rund 560 Kindern ist die Wingertsbergschule die größte Grundschule im Kreis Bergstraße. Auch für den kommenden Sommer rechnet die Schulleitung damit, dass erneut mindestens sechs erste Klassen zu bilden sind. Bevor die mehr als 140 Sechsjährigen aber ab September im Unterricht sitzen werden, ist zunächst die Schuleingangsuntersuchung an der Reihe. Nicht nur junge Lorscher, sondern Kinder allerorten, für die die Einschulung ansteht, müssen sie absolvieren. Aber was passiert da?
Einen Eindruck davon, was Familien bei dem Termin erwartet, gab jetzt Dr. Katrin Buchholtz künftigen Erstklässler-Eltern in Lorsch. Die Fachfrau hatte für die Zuhörer zusätzlich zu diesen Informationen auch jede Menge Tipps parat, wie sie die Zeit bis zum Schulstart nutzen und die Schulfähigkeit trainieren können.
Bloß kein Hemd mit 15 Knöpfen
Geschichten hören, spielen und bei der Hausarbeit helfen
Mehrfach wies Katrin Buchholtz in ihrem Vortrag auf die Bedeutung von Alltagskompetenz für einen gelingenden Schulstart hin.
Ratsam sei es, wenn Eltern bereits mit Kindern im Vorschulalter einen regelmäßigen Tagesablauf einüben.
Um Schule und Schulweg täglich problemlos zu meistern, seien Ausdauer, Kondition und Freude an der Bewegung nicht unwichtig. Eine Mitgliedschaft im Sportverein sei für Kinder wünschenswert, Aufenthalt an der frischen Luft auch.
Hilfreich ist es, wenn Kinder soziale Kompetenzen mitbringen. Regeln einhalten und andere respektieren sowie die Fähigkeit, sein Verhalten der erforderlichen Situation gemäß anzupassen, lernt man unter anderem im Kindergarten.
Schulkinder müssen in der Lage sein, eine Zeit lang ohne ihre Eltern zurecht zu kommen. Selbstständigkeit können Eltern bei Vorschulkindern fördern, indem sie sie öfter mit kleinen Aufgaben betrauen. Im Haushalt bieten sich viele Möglichkeiten. Buchholtz empfahl etwa das Tischdecken, das Sortieren von Socken, das Ausräumen der Spülmaschine. Das Lob sollte nie vergessen werden.
Ein Plädoyer hielt die Ärztin fürs Vorlesen. Wer zuhört, schult seine auditive Wahrnehmung.
Auch altbekannte Spiele wie „Stille Post“ oder „Ich sehe etwas, was du nicht siehst“, sind bestens geeignet für die Schulvorbereitung.
Gemeinsames Singen ist ebenfalls gut für die sprachliche Kompetenz. Eltern sollten Kinder deshalb auch zum Erzählen ermutigen.
Medienkonsum war natürlich auch ein Thema. 30 Minuten vor dem Bildschirm – länger sollte es im Vorschulalter nicht sein, unterstrich die Ärztin. sch
Die Untersuchung selbst besteht aus zwei Teilen, so die Ärztin, die beim Medizinischen Fachdienst des Bergsträßer Gesundheitsamtes beschäftigt und für Einschulungsuntersuchungen zuständig ist. Start ist der körperliche Teil. Das gelbe Vorsorgeheft und der Impfpass sind dazu mitzubringen. Größe und Gewicht, Blutdruck und Herzfrequenz werden gemessen. Am Untersuchungstag sollten Kinder natürlich nicht ausgerechnet „ein Hemd mit 15 Knöpfen“ tragen, bat Buchholtz. Dass sie ihre Oberkleidung alleine an- und ausziehen können, sollen die Kinder, die in der Schule auch Sportunterricht haben, schließlich nebenbei ebenfalls beweisen.
Es folgen ein Seh- und ein Hörtest. „Spannend“ sei das für die meisten Kinder, berichtete die Expertin etwa vom „Pilotentest“. Bei der Untersuchung mit dem Kopfhörer, der Außengeräusche ausschließt, werden verschiedene Frequenzen in die Ohren eingespielt. Bei Auffälligkeiten erhalten die Eltern eine Empfehlung, mit dem Kind einen Arzt aufzusuchen. Beim Sehtest werden räumliches Sehen und Farbsehen geprüft. Kinder, die eine Brille tragen, sollten diese auf jeden Fall auch zur Schuluntersuchung mitbringen, riet Buchholtz.
Dass es für ein Schulkind unerlässlich ist, gut zuhören und sehen zu können, dürfte jedem klar sein. Dass noch viel mehr Fähigkeiten zur Schulreife dazugehören, zeigte die Ärztin auf. Das Wort „Schulreife“ allerdings sei „aus der Mode gekommen“, so die Referentin. „Schulfit“ sollen Kinder nach der zeitgemäßeren Sprachregelung aber sein. Unabhängig von der Bezeichnung benötigen Erstklässler jedenfalls eine Fülle von Fähigkeiten im motorischen, kognitiven und sozialen Bereich.
Wer zum Beispiel überfordert ist, wenn er einen Stift halten soll, wer sich nicht konzentrieren kann und wer nicht gelernt hat, dass es abgesehen von der eigenen Meinung auch noch andere Ansichten geben kann, dürfte irgendwann Schwierigkeiten in der Schule bekommen. In der Vorschulzeit kann man alles noch lernen, entwickeln, korrigieren.
Nicht selten hat die Ärztin auch Kinder gesehen, die sich zwar schon früh für Buchstaben interessieren, aber die emotionale Schulfähigkeit noch nicht mitbringen. Dazu gehört es unter anderem, auch Enttäuschungen verarbeiten zu können und weiter zu üben, statt aufzugeben, wenn etwas nicht gleich klappt. Ein Entwicklungsvorsprung in einem einzigen Bereich bedeute nicht zwingend, dass ein Kind alle Altersunterschiede wettmache, gab Buchholtz etwa Eltern von Kann-Kindern beziehungsweise Antragskindern zu bedenken.
Aufgaben zumeist gut lösbar
Die Referentin informierte auch über SOPESS, das Sozialpädiatrische Entwicklungsscreening. Dieses ist seit 2017 verpflichtend in Hessen. Weil es standardisierte Aufgaben enthält, wird Schulfähigkeit so ortsunabhängig vergleichbar. „Nicht alle Aufgaben müssen richtig sein“, beruhigte die Ärztin die Eltern. Die allermeisten Anforderungen seien für bis zu 90 Prozent der Fünf- und Sechsjährigen „gut lösbar“. Sinnvoll sind die Tests, bei denen es etwa ums Sprachverständnis und einfache Zählspiele geht, um bei Bedarf rechtzeitig Fördermöglichkeiten aufzuzeigen, betonte Buchholtz.
Dass ein Kind mal einen schlechten Tag erwischen kann oder zu aufgeregt ist, räumte die Ärztin ein. Das sei aber nicht so schlimm. Bei der Eingangsuntersuchung würden Eindrücke für ein Gesamtbild gesammelt, es werde eine Empfehlung gegeben. Die letzte Entscheidung über die Einschulung liege bei der Schule.
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