Rimbach. Gott trifft einen Pfarrer, einen Imam und einen Rabbiner. Er warnt sie und sagt: „In 40 Tagen schicke ich eine zweite große Sintflut.“ So geht ein Witz los, den Avichai Apel bei seinem Besuch in der Rimbacher Martin-Luther-Schule zum Besten gibt. Der Frankfurter Rabbiner ist im Rahmen der landesweiten Aktion Meet A Rabbi zu Gast bei den Oberstufenschülern des Gymnasiums. Und die reagieren zunächst mit Erstaunen – vermutlich hätten sie von einem Geistlichen viel erwartet, nur nicht, dass er Witze erzählt.
Das tut er aber gerne und erzählt weiter: Der Pfarrer geht daraufhin zu seiner Gemeinde und fordert sie auf, nach Leibeskräften zu beten. Der Imam appelliert an seine Muslime, so viele Menschen wie möglich zu bekehren. Und der Rabbi? Apel grinst und sagt: „Er geht in die Synagoge und verkündet: ,Morgen um zehn beginnt der erste Schwimmkurs.“
Ein bisschen Ernst steckt in der Geschichte, wie die Jugendlichen erfuhren. Denn sie steht für eine pragmatische Weltsicht, aber auch für etwas anderes: „Wir Juden suchen das Leben, deshalb wollen wir Schwimmen lernen.“ Und es sei ihnen immer gelungen, gebe es doch seit über 3000 Jahren Juden – seit 1700 Jahren auch in Deutschland: „Hitler ist weg, aber wir sind noch da.“
Warnung vor der Rechten
Die Schoah spielt auch im Leben von Avichai Apel eine prägende Rolle. Sein Großvater überlebte sie als Einziger, die Familie kam in Auschwitz um. Apel wurde 1975 in Israel geboren, wurde Theologe und arbeitete eine Zeit lang in Belarus. Später fragte man ihn, ob er nach Deutschland gehen wolle, da hier Rabbiner gesucht würden, die Russisch sprechen. „Ich habe Ja gesagt, und das ist jetzt 21 Jahre her.“ Heute lebt er mit seiner Familie in Frankfurt, ist Vorsitzender der deutschen und stellvertretender Vorsitzender der europäischen Rabbinerkonferenz.
Die Großmutter seiner Frau, 99 Jahre alt, stammt aus Magdeburg, erlebte dort die Pogromnacht und setzte nach ihrer Flucht nie mehr einen Fuß in ihr Heimatland. Sie verstehe nicht, warum er dorthin gegangen sei. „Das fragt sie mich immer wieder.“ Seine Antwort: Er glaube an Gespräche „und dass wir Veränderungen schaffen können“. Allerdings macht ihm das Erstarken der rechten Szene Sorgen. Er hat sie in Dortmund erlebt. Apel warnt auch vor der AfD und den Auswirkungen, wenn solche Menschen gewählt werden: „Dann kann es sein, dass eure Kinder nicht noch einmal Gelegenheit haben, in Deutschland mit einem Rabbiner ins Gespräch zu kommen.“
Kürzlich hat er mit einem Taxifahrer philosophiert: Der, gebürtiger Moslem, ist Atheist und findet, dass die Religionen Gespräche zwischen Menschen verhindern und verantwortlich sind für viele Probleme in der Welt. Apels Ansicht nach gibt es mehr Verbindendes als Trennendes zwischen den Glaubensgemeinschaften, deren Werte sich alle ähneln. „Barmherzigkeit, Wohltätigkeit, Freundlichkeit“, zählt er auf, und die Schüler machen weiter: Respekt, Ehrlichkeit, Freundschaft. Apels Fazit: Die Religionen sind gut, der Mensch ist das Problem.
613 Gebote in der Tora
Doch lehre die jüdische Denkweise den Menschen, Fragen zu stellen. So werde nach der Predigt in der Synagoge diskutiert, während die Christen ihren Gottesdienst mit „Amen“ beenden, einer Bekräftigung, die etwa „einverstanden“ bedeute.
Auf den Rabbiner warteten kritische Fragen: Wie steht seine Religion zu Homosexualität, zum Schächten, zur Beschneidung, und woher kommt der Antisemitismus? Zur Homosexualität verweist er auf die 613 Gebote der Tora, zu denen auch gehört, sich fortzupflanzen, aber: „Jeder darf entscheiden, ob er ihnen folgen will, das ist eine persönliche Entscheidung, der Rabbi darf nicht manipulieren.“ Dasselbe gelte für die Beschneidung und die Schächtung.
Den Grund für Antisemitismus kennt Apel nicht. Es habe schon vor den Nazis Vorbehalte der christlichen Konfessionen gegeben. Nach jüdischem Verständnis sind alle Menschen Kinder von Adam und Eva, alle mit den gleichen Rechten ausgestattet, und jeder dürfe nach seiner Religion leben: „Niemand darf ausgegrenzt werden. Ausgrenzung ist die größte Sünde.“
Was die Frage nach dem Sinn des Lebens angeht: „Solange ich lebe, kann ich mein Leben mit Sinn erfüllen. Die Tora sagt, besser eine Stunde mit guten Taten als das ganze Leben nach dem Tod.“
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