Lindenfels. Die Grundschullehrerin Larissa Anton aus Zeilhard liebt es, Filme zu drehen. Seit Jahren findet sie die Darsteller dafür in Heimatvereinen, Trachtengruppen und Schulen. Gekonnt setzt sie Sagen aus dem Odenwald dabei um. Nun wurde in Lindenfels ihr Film „Odenwälder Brauchtum im Jahreskreis“ vorgestellt.
Dort erfährt man, warum wann und welches Fest im Jahreskreis im Odenwald gefeiert wird „Ich habe so viel Material gehabt, dass ich zwei jeweils 70 Minuten lange Filme geschnitten habe“ berichtete Anton bei der Vorführung in Lindenfels. Larissa Anton hatte alle Darsteller eingeladen und ihnen den beim Film üblichen Ablaufplan in die Hand gedrückt. Den Eingang zum Saal im Bürgerhaus schmückte ein roter Teppich. Elegant in Abendkleidung erschienen unter anderem Eltern und ihre Kinder. „Ich habe in einer Szene im Wald mitgespielt und die Mädchen geärgert“, berichtete ein Junge, der mit seiner Mutter gekommen war.
Der Film erklärt zu Beginn, warum es in jedem Monat des Jahres Traditionen und Bräuche gab. Es wird berichtet, wie die Kelten Kultstätten im Wald anlegten und dort ihre Götter um Hilfe baten. Später wurden an den gleichen Orten Kapellen und Kirchen gebaut. Die Christen übernahmen die heidnische Bräuchen in ihren Jahreskalender, um sie zu verdrängen.
Eine Tradition nicht nur im Odenwald sind die Sternsinger am 6. Januar. Die Kinder ziehen verkleidet als die Heiligen Drei Könige – es ist ihr Feiertag – von Haustür zu Haustür. Sie malen Gottessegen in den Türrahmen, singen Lieder und sammeln Spenden für Kinder in Not.
Statt Fernsehen zu schauen oder sich in den sozialen Medien auszutauschen, verabredeten sich die Menschen früher nach der Arbeit auf dem Feld und im Stall zum gemeinsamen Spinnen von Leinen oder Schafwolle in der guten Stube. Vor allem im Winter surrten die Spinnräder, man unterhielt sich oder stimmte ein Lied an.
Überall wurde früher das Erntedankfest gefeiert
Larissa Anton dreht aber nicht nur in Lindenfels und Reichelsheim, sondern auch in Hilsenhain, Darsberg und Mudau: kleine Orte im Neckar-Odenwald-Kreis mit lebendigem Brauchtum. Dort wurde eine Marienprozession gezeigt. Mädchen, die mit der Statue von Maria von Haus zu Haus ziehen und um Einlass bitten. Auf einem Tisch ist ein Altar aufgebaut, dort darf die Statur für eine Nacht bleiben. Am nächsten Tag spenden die Bewohner Geld. Viele züchten besondere Blumen für die Zeit der Marienprozession. Die Prozession endet an einer Marienstatue im Dorf. Wer die Dörfer im Neckar-Odenwald-Kreis anschaut, ahnt noch heute, wie schwer das Leben über die Jahrhunderte gewesen sein muss.
Egal, ob katholisch oder evangelisch geprägte Gemeinde: fast überall im Odenwald wurde Erntedank gefeiert. „Damals wussten die Menschen, wie wichtig eine gute Ernte für ihr weiteres Überleben ist“, sagte Larissa Anton. Im Film zeigt sie einen Erntedankgottesdienst auf einem Hof in Fränkisch-Crumbach. Der Altar ist geschmückt mit Obst, Gemüse und Getreide. Nach der Predigt essen die Gottesdienst-Besucher gemeinsam Gemüsesuppe.
Hilsenhain feiert noch die Tradition, Ende Oktober Gesichter in Zuckerrüben zu schnitzen, einen Stecken durch die Rübe zu stecken und eine brennende Kerze ins Innere zu stellen. Die Dorfbewohner ziehen mit den beleuchteten Zuckerrüben durchs Dorf und stellen sie vor ihr Haus. Der Brauch erinnert an das aus den USA stammende Halloween, wenn Gesichter in Kürbisköpfe geschnitzt werden. Gefeiert wird es am 31. Oktober. Oft kommen Kinder zu den Häusern mit dem Spruch: „Süßes, sonst gibt‘s Saures“.
Süßes gab es für Kinder früher sehr selten, deshalb ist mit einigen Traditionen im Jahr das sogenannten Heischen um Bonbons oder süße Teigwaren verbunden.
Langweilig wird es bei Larissa Antons Filmen nicht. Schnell versteht man, wie sehr die Menschen die Traditionen rund ums Jahr brauchten. Sie säten Getreidekörner erst nach bestimmten Ritualen aus. Nutztiere im Stall wie Kühe, Pferde oder Schweine wurden mit Zeichen oder geweihten Kräutern geschützt vor den bösen Geistern. Ohne die Tiere war weder die Arbeit auf dem Hof möglich, noch gab es Milch, Käse und Fleisch.
Die Kerb erinnert an den Weihetag der örtlichen Kirche
Am Neckar wird am 20. Oktober des katholischen Heiligen Wendelin gedacht. Er stammte aus einem Königshaus und wurde Schafhirte. Die Legende besagt, dass er nach seinem Tod begraben wurde, am nächsten Tag das Grab aber leer gewesen sei. Denn der Heilige wollte bei seinen Schafen bestattet werden.
Der zweite Teil des Films beginnt mit dem Umzug zum Lindenfelser Burg- und Trachtenfest im Jahr 2024. Traditionell wird bei dem Fest ein Hochzeitsumzug aus der Zeit um 1900 gezeigt. Das Brautpaar war im vergangenen Jahr der jetzige Lindenfelser Bürgermeister Maximilian Klöss und seine Ehefrau Anna.
Die Kerb wird fast überall gefeiert, denn sie ging aus der Feier des Jahrestages der Weihe der örtlichen Kirche hervor. Larissa Anton dokumentierte für ihren Film die Kerwefeier in Nieder-Liebersbach. Mit Kerweparrer und Mundschenk, dem Ausgraben der „Kerb“, einem Kranz oder einer Strohpuppe. In Nieder-Liebersbach traut der Kerweparrer sogar ein Kerwepaar. Höhepunkt ist die Predigt mit den Dorfneuigkeiten.
Das Kerwefest bot eine Möglichkeit, um armen Leuten ein Essen zu kommen zu lassen. Ein Schwein gehört deshalb auch zum Kerweumzug, genau wie ein Mönch oder Pfarrer. Inzwischen setzt sich der Umzug meist aus Fußgruppen und bunten Wagen zusammen. Manchmal wird hier die Politik kritisiert, wie es auch von Fastnachtsumzügen bekannt ist. Fastnachtsumzüge mit bunten Kostümen und Holzmasken gibt es in Eberbach am Neckar. Sie erinnern stark an die alemannische Fastnacht.
Zum Schluss zeigt Larissa Anton noch den Lauf von Feuerrädern. Sie werden angefertigt und einen Abhang hinunter gerollte, um den Winter auszutreiben. Mancherorts wird stattdessen eine Strohpuppe – der „Winter“ – verbrannt. Larissa Anton sagte im Gespräch mit dem BA: „Die beiden Filme sind für Landfrauenabende oder ähnliche Veranstaltungen gedacht.“ Die offizielle Premiere soll ist bei den Märchen- und Sagentagen in Reichelsheim sein.
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