Gadernheim. Es ist gut, wenn man zweisprachig aufwächst. So der Tenor bei einer Veranstaltung an der Mittelpunktschule Gadernheim. Zweisprachig war hier auf Hochdeutsch und Dialekt bezogen. Der wird an der Schule noch gepflegt. „Mer babbele Mundart“, könnte man es auf den Punkt bringen.
Am 24. Juni gab es für die Klassen der Grundschule in der Aula über jeweils eine Schulstunde hinweg eine ganz besondere Lesung: Märchen im Odenwälder Dialekt. Vorgelesen wurden sie von Marieta Hiller, Christine Hechler, Edith Keil und Fritz Ehmke. Bis auf Hiller kennen sich alle von Geburt an mit dem hiesigen Dialekt aus. Hiller sagte, dass sie in ihrer Kinder- und Jugendzeit 14 Umzüge mitgemacht habe und deshalb kein „Urgestein“ des Odenwälderischen sei. Deshalb lese sie ihre Geschichten auf Hochdeutsch vor.
Die Erwachsenen, die bekannte Märchen vorlasen, taten das mit viel Herzblut. Geboten wurden unter anderem die Geschichten von Dörnröschen und den Sieben Schwaben aus den Sammlungen der Brüder Grimm. Auch Sterntaler wurde dargeboten. „Wer kann denn noch Dialekt von euch?, wurden die Kinder gefragt. Spontan gingen einige Finger hoch. Viel ist dabei vom Elternhaus abhängig: ob man den Dialekt zu Hause pflegt, wenn man hier geboren und groß geworden ist. In vielen Elternhäusern scheint das noch der Fall zu sein.
In Hessen ist Dialekt in der Schule ein viel diskutiertes Thema und noch nicht selbstverständlich. Traditionell galt die Mundart in der Schule früher als Zeichen mangelnder Bildung. Das ist schade, denn beides hat nichts miteinander zu tun. Schön ist, dass der Dialekt zunehmend als Teil der regionalen Identität und als wertvolle sprachliche Ressource anerkannt wird und es noch Menschen gibt, die ihn Schülern vermitteln können.
Deutlicher Unterschied zwischen dem Lautertal und dem Modautal
Der hessische Dialekt ist wie andere deutsche Dialekte vielfältig und wird in verschiedenen Regionen des Bundeslandes unterschiedlich gesprochen. Auch das demonstrierten die Vorleser in der Mittelpunktschule. Die Geschichte vom Dornröschen, die von Christine Hechler gelesen wurde, hörte sich durchaus anders an als „Die sieben Schwaben“, die Edith Keil vorlas. Hier hörte man den Unterschied zwischen dem Dialekt, wie er im Lautertal gesprochen wird, und dem des Modautals. „Wir in Brandau sprechen etwas härter als die Leute in Lautertal“, berichtete Edith Keil. Noch größer sind die Unterschiede, wenn man sich die Dialekte in Nord- und Südhessen anschaut.
Heute gibt es viele Menschen, die argumentieren, dass der Dialekt ein wichtiger Teil der regionalen Kultur ist und die sprachliche Vielfalt der Schüler respektiert werden sollte. So wie das auch die Mittelpunktschule pflegt. An der Schule ist der Dialekt ein festes Unterrichtsangebot in den ersten Klassen, das Marieta Hiller seit vier Jahren übernommen hat. Hier geht es um das Erwerben von Sprachkompetenz. Die Kinder erzählen dazu ein in der Vorwoche gehörtes Märchen selbst nach, bevor ihnen ein neues vorgelesen wird. „Daher ist es auch sinnvoll, auf Hochdeutsch zu erzählen“, so Hiller.
Wie kam es nun zu der Gruppe, die die Lesung organisiert hat? Zuerst unternahmen die beiden ersten Klassen im Mai einen Besuch im Gadernheimer Seniorenheim Haus Elisabeth. Dort sollten sie unter anderem das Lied „Mer sin all vum Ourewoald“ singen. Daher wurde dieses vorher in den Klassen geübt. Das griff Marieta Hiller auf und sie schlug auch vor, ein Mundartmärchen zu hören.
Mundartfreunde Südhessen leisteten Unterstützung
Fritz Ehmke stellte dafür das Märchenbuch und die DVD „Es wår emol, Märche in südhessischer Mundård“ von den Mundartfreunden Südhessen zur Verfügung. Da gerade Osterzeit war, nahm die Gruppe mit Edith Keil das Märchen „Has un Ijel“ in Angriff. „Zusätzlich erzählte ich das Märchen noch in Hochdeutsch plus mein eigenes Märchen vom Osterdrachen“, so Hiller.
Danach meldete sich die Mundartfreundin Christine Hechler, dass sie gerne auch ein Mundartmärchen erzählen würde, und dies war der Auslöser für die Idee zur dem Treffen an der Mittelpunktschule. Es war die erste, aber sicher nicht die letzte Veranstaltung dieser Art, waren sich die Akteure einig. Schulleitung und Lehrerinnen hatten das Projekt begeistert aufgenommen und unterstützt. Sogar die in jeder Klasse vorkommenden, bekannt unruhigen Kinder lauschten still und konzentriert.
„Auf dem Schulhof werde ich schon die ganze Zeit von den größeren Kindern immer wieder gefragt, wann ich denn wieder mal zu ihnen komme“, sagte Marieta Hiller erfreut. „Daher habe ich das sehr gerne gemacht, und es ist tatsächlich auch bei den älteren Kindern prima angekommen.“
Die Mundartfreunde um Fritz Ehmke versuchen mit Veranstaltungen wie diesen, auch Jüngere wieder an die Mundart zu führen. Unter anderem, indem sie Kinderchören Mundartlieder beibringen.
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