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Ein Ort der Begegnung über den Dächern von Gadernheim

Regelmäßig besucht Ehrenortsvorsteher Reinhard Schmidtke den Gadernheimer Kirchberg, um die Aussicht von dort oben zu genießen. Doch neben dem Panorama fasziniert ihn auch das besondere Bauwerk, das den Hügel seit 1913 ziert.

Von 
Nora Strupp
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Gadernheim. Die Sonne fällt auf die sanft ansteigenden Berge ringsum, der Blick schweift in die Ferne, über jenen Ort, der am Fuß der Neunkircher Höhe so malerisch ins obere Lautertal eingebettet ist, vom Dach des Rathauses erklingt das Glockenspiel – für den ehemaligen Ortsvorsteher Reinhard Schmidtke übt der Kirchberg in Gadernheim immer wieder eine besondere Faszination aus.

„Ich finde es hier sehr erquickend. Man hat einen tollen Ausblick über Gadernheim. Man kann sich an der Natur und der Umgebung erfreuen. Und man kann zur Ruhe kommen und Kraft tanken. Außerdem steht hier diese wunderschöne Kirche“, schwärmt der 75-Jährige.

Gemeint ist die evangelische Kirche, die seit 1913 den Hügel in der Ortsmitte ziert und von Professor Heinrich Metzendorf (1866 - 1923) geplant wurde. Sie ist zugleich die einzige Kirche des zu Beginn des 20. Jahrhunderts bedeutendsten Architekten der Bergstraße.

Dort spielt sich das Leben ab

„Man muss den damaligen Entscheidern Respekt zollen. Es war bestimmt nicht einfach, einen solch berühmten Architekten zu beauftragen. Durch diese mutige Entscheidung kam was so Schönes heraus, das die Menschen bis heute erfreut“, so Schmidtke. „So einen Platz hat nicht jeder. Die Kirche hat mich schon als junger Mensch fasziniert. Ich habe schon viele Kirchen in meinem Leben gesehen, aber noch keine, die so schön ist, wie die von Metzendorf. Hoffentlich bleibt sie noch weitere 100 Jahre bestehen.“

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Für ihn ist dieses Areal mit der Metzendorf-Kirche, dem Gemeindezentrum, dem Friedhof und dem Kindergarten „Arche Noah“ aber nicht nur wegen der schönen Aussicht immer wieder einen Besuch wert: „Dieses gesamte Ensemble ist eine Begegnungsstätte, wo sich das Leben abspielt und sich die Leute treffen. Dort fühlt man sich wohl.“ Einen großen Anteil daran habe Pfarrerin Marion Mühlmeier, die das Gemeindeleben durch Sondergottesdienste wie dem Kirchbergbeben bereichere.

Jeden Dienstag um 18 Uhr findet zudem die Veranstaltung „Offene Kirche Gadernheim“ statt. „Jeder kann sich dann dort ganz in Ruhe ein bisschen von Alltagsgedanken erholen“, erklärt Schmidtke.

Reinhard Schmidtke kommt regelmäßig auf den Kirchberg, um von dort die schöne Aussicht über Gadernheim zu genießen. © Ernst Lotz

Selbst der Friedhof sei mittlerweile zu einem Ort der Kommunikation geworden. „Die Leute, die sich hier im Sommer zum Gießen treffen, haben kleine Gesprächsrunden. Alle Neuigkeiten erfährt man eher hier als im Aushangkasten am Rathaus“, scherzt er.

„Leider haben wir in Gadernheim außer dem Jarnacplatz ansonsten keinen markanten Treffpunkt mehr. Früher gab es noch die Alte Schule, wo sich die Jugend getroffen hat und sich die jungen Leute kennengelernt haben. Die Alte Schule wurde dann aber abgerissen“, bedauert Schmidtke. Danach gab es dort, an der Ecke Nibelungenstraße / Raidelbacher Straße, zunächst eine Volksbank-Filiale. Heute befindet sich an diesem Standort die Arztpraxis von Internist und Hausarzt Sven Torsten Schäfer.

Belebtes Gemeindezentrum

Belebt wird das Gemeindezentrum regelmäßig während Kerb-Zeiten oder wenn zum Beispiel Vereine dort ihr Jubiläum feiern, ihre Übungsstunden abhalten oder sich zu ihrer Mitgliederversammlung treffen. Als jemand, der selbst seit Jahrzehnten in Gadernheimer Vereinen aktiv ist, etwa als Vorsitzender im Sozialverband VdK, als Schriftführer im Odenwaldklub, als Beisitzer im Arbeiterverein, als Gründungsmitglied des Tischtennisclubs sowie als Mitglied des Verschönerungsvereins und des Kerwevereins, weiß Schmidtke, wie wichtig solche Begegnungen innerhalb des Gemeindelebens sind – und dass sie aufrecht erhalten werden.

Heinrich Metzendorfs einziger Kirchenbau steht in Gadernheim

Der Grundstein für die evangelische Kirche Gadernheim wurde 1912 gelegt, 1913 wurde der Bau seiner Bestimmung übergeben.

Bauplaner war der zu Beginn des 20. Jahrhunderts bedeutendste Architekt der Bergstraße, Prof. Heinrich Metzendorf. Er erbaute die Kirche im sogenannte Heimatstil mit steilen Dächern.

Es wurden lokale Materialien verwendet. Die Wände bestehen aus Gadernheimer Granit und die Zierelemente daran aus Odenwälder Sandstein. Der Turmaufsatz ist mit grau-blauen Holzschindeln verkleidet.

Stilistisch verarbeitete Metzendorf in diesem Bau Einflüsse aus dem Darmstädter Jugendstil und dem englischen Landhausstil. Hinzu traten Anklänge an die mittelalterliche Bauweise der Umgebung (zum Beispiel Blendarkaden der Lorscher Torhalle).

Die Kirche ist ein breit gelagerter Saalbau mit polygonalem Chorschluss.

Der Nordwand ist eine kleine Vorhalle vorgelagert, die mit ihrer Form den Umriss der Kirche aufgreift.

Oberhalb der rechteckigen Türöffnung ist ein rundes Giebelfeld (Tympanon) mit Flechtbandornamenten eingebaut. Das Tympanon wurde gegen Ende des Zweiten Weltkriegs durch Kugeleinschüsse beschädigt. Der Schaden soll als Mahnung gegen den Krieg erhalten bleiben. In der Giebelspitze ist ein Kreuz aus Sandstein eingelassen.

Der Innenraum der Kirche wird durch das weiße Tonnengewölbe und die großen Fensteröffnungen beherrscht.

Zu den vom Architekten entworfenen Ausstattungen gehören die Kirchenbänke, das Gestühl für die Gemeindeältesten, die 1922 nachträglich eingebauten Gedenktafeln für die Opfer des Ersten Weltkriegs und die reich verzierte Kanzel.

Der steinerne Altar und der Taufstein wurden erst 1978 ebenfalls nach Entwürfen des Architekten Metzendorf aufgestellt.

Optisch hervorgehoben ist die kleine Apsis hinter dem Altar, die das Eingangsportal zur Sakristei bildet. Als Apsis bezeichnet man einen halbkreisförmigen oder vieleckigen Raumteil, der an einen Hauptraum anschließt.

Eine hölzerne Empore mit der Orgel weist ebenfalls Verzierungen auf. stnQuelle: Informationstafel an der Kirche, www.lautertal.de/kirchen.html

„Ich wünsche mir, dass das Vereinsleben nicht ganz vergessen wird von den jüngeren Leuten“, appelliert der Ehrenortsvorsteher. Um die Vielfalt im Dorf zu erhalten, sei es essenziell, dass auch der Nachwuchs Aufgaben in Vorständen oder Arbeitsgruppen übernimmt, sich seinen Fähigkeiten entsprechend einbringt und so eine Gemeinschaft kreiert. „Und wenn es nur einmal im Jahr ist. Aber anders ist es nicht machbar“, blickt er mit Wehmut auf die immer größer werdende Herausforderung, neue Vereinsmitglieder zu gewinnen.

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Eine Veranstaltung die mit dem Engagement von Ehrenamtlichen steht und fällt, ist das Kaiserturmfest, das vom Vereinsring Gadernheim (zu dem sich insgesamt 14 Vereine zusammengeschlossen haben) veranstaltet wird. „Ich hoffe, dass es weiterhin stattfinden kann und nicht irgendwann einschläft“, so der 75-Jährige, der acht Jahre Ortsvorsteher von Gadernheim war und von 1977 bis 2021 Mitglied im Ortsbeirat.

Ortsteile stärker zusammenführen

Auf jeden Fall gäbe es in Gadernheim seiner Einschätzung nach genügend ortsansässige Künstler, um derlei Events umzusetzen. Ein Pluspunkt solcher Begegnungsorte: „Man trifft hier Leute, die man wochenlang nicht gesehen hat. Man kommuniziert miteinander. Man spricht über Gott und die Welt und man erfährt Dinge.“ Ein weiterer Wunsch von Reinhard Schmidtke: „Dass man eine aus der Gebietsreform entstandene Gemeinde wie Lautertal stärker zusammenführt und man die Menschen dazu motiviert, auch mal zu Veranstaltungen in anderen Ortsteilen zu gehen – von Elmshausen bis Schannenbach und von Beedenkirchen bis Gadernheim.“ Sollten sich genügend Leute finden, die diese und andere Vorhaben umsetzen, „dann sehe ich auch für die nächste Generation eine gute Zukunft“, ist Reinhard Schmidtke überzeugt.

Redaktion

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