Heppenheim. Die Speisekarte in den Schaukästen lockt noch mit „Alten Dalmatinischen Gerichten“, Pasta oder Pizza-Variationen, ein Schild im Eingangsbereich erinnert zudem an die Empfehlung des „Schlemmer-Lexikons“ aus den Jahren 1995 und 1996. Doch seit mehr als fünf Jahren ist die Küche im einstigen „Hotel-Restaurant Dubrovnik“ an der Lorscher Straße (B 460) kalt, der Gastronomiebetrieb ruht.
Genutzt wird die Immobilie auch heute noch: Die Besitzer bewohnen weiterhin einen Teil des Gebäudes, die Hotelzimmer dienen Montagearbeitern als Unterkunft. Nicht umsonst steht auf dem Schild vor der Eingangstür: „Zimmer für längere Zeit zu vermieten“.
Übernahme zum 1. Februar
In wenigen Wochen wird sich dies jedoch ändern, wie Bürgermeister Rainer Burelbach (CDU) bereits in der letzten Sitzung des Kalenderjahres 2022 im Stadtparlament ankündigte. „Der Verein für Kinderhauserziehung, der bereits seit zwei Jahren das Mutter-Kind-Haus in der Darmstädter Straße betreibt, wird die Immobilie übernehmen“, sagte der Rathauschef. Nähere Informationen zum Eigentümerwechsel und zur künftigen Nutzung der Immobilie konnte Burelbach allerdings nicht machen. Ganz im Gegensatz zu Lothar Müller-Wimmer, dem Geschäftsleiter des Vereins mit Sitz in Bensheim-Auerbach, und der pädagogischen Leitung um Annegret Niltop und Alexander Kinz.
„Die Übernahme soll zum 1. Februar stattfinden“, sagt Müller-Wimmer im Gespräch mit dieser Zeitung. „Gerade im vergangenen Jahr haben wir einen deutlich gestiegenen Bedarf feststellen müssen. Wir wurden von zwei Landkreisen in unserem Geschäftsgebiet angesprochen, ob wir unser Angebot diesem Bedarf nicht anpassen könnten“, fügt Alexander Kinz hinzu.
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Im Klartext heißt das: Die Zahl der Kindeswohlgefährdungen in der Region ist in der jüngeren Vergangenheit deutlich gestiegen. Zurückzuführen sei dies „auch, aber nicht ausschließlich“ auf die Corona-Pandemie, sagt Annegret Niltop.
Schon im ersten Jahr der Pandemie (2021) hatte die Erste Kreisbeigeordnete, Diana Stolz (CDU), von deutlich mehr Hinweisen auf eine vorliegende Kindeswohlgefährdung im Landkreis berichtet als in den vorangegangenen Jahren. Von einer Steigerung um fast 10 Prozent war damals die Rede – und der Trend hat sich auch im Folgejahr fortgesetzt, wie den aktuellen Ausführungen des Bensheimer Trios zu entnehmen ist. Dem will der Verein für Kinderhauserziehung entgegenwirken.
Das ehemalige „Dubrovnik“ bietet nach Angaben von Lothar Müller-Wimmer nahezu ideale Voraussetzungen: „Im Gebäude gibt es eine gute Struktur, die Pensions- oder Hotelzimmer kommen uns natürlich sehr gelegen.“ Hinzu komme die Nähe zu Autobahn und Bahnhof. Zudem sei der Anbau, in dem sich die Gästezimmer befinden mit einer Wärmepumpe und einer Fotovoltaikanlage ausgestattet.
Geschult und begleitet
Doch was genau haben Müller-Wimmer, Kinz und Niltop an der Lorscher Straße vor? „Die Plätze, beispielsweise in unserer Bensheimer Inobhutnahme, sind seit Monaten voll ausgebucht, wir können den Bedarf gar nicht mehr abdecken. Viele Kinder und Jugendliche müssen auch deshalb deutlich länger als die vorgesehenen drei Monate bleiben, weil ihnen und uns eine Anschluss-Einrichtung fehlt“, erklärt Müller-Wimmer.
„Wir haben uns deshalb natürlich die Fragen gestellt: Warum ist das so? Und was können wir dagegen tun?“ Just an diesem Punkt wolle man mit der neuen Einrichtung nun ansetzen. Neun bis zehn Kinder zwischen acht und zwölf Jahren sollen in der „neuen Rückführungseinrichtung“ deshalb nach ihrer Inobhutnahme und der dafür vorgesehenen Zeit gezielt auf die Rückkehr in ihre angestammten Familien vorbereitet werden.
Über ein knappes Jahr sollen sowohl die Kinder als auch deren Eltern von den Mitarbeitern des Vereins pädagogisch geschult und begleitet werden, „um eine gemeinsame Basis für die Rückkehr zu schaffen“, so Müller-Wimmer.
„Die Betreuung in der Einrichtung erfolgt in kleinen Wohngruppen. Regelmäßige Treffen mit den Eltern gehören ebenfalls zum pädagogischen Konzept“, erklärt Alexander Kinz. Bestenfalls werden die Kinder auch während dieser Zeit ihre angestammte Schule besuchen und ihren Hobbys nachgehen. Hier komme dann auch die gute Verkehrsanbindung des einstigen „Dubrovnik“ ins Spiel, so Kinz.
Das Konzept der Wohngruppen mit Kinderzimmern zählt zum „Markenkern“ des Vereins für Kinderhauserziehung. „Teilhabe und Partizipation“ würden großgeschrieben, hatte Müller-Wimmer bereits vor etwas mehr als einem Jahr gesagt. Und wie sieht der weitere Zeitplan aus? Lothar Müller-Wimmer: „Wir müssen nach der Übernahme einen neuen Bauantrag stellen, das kann ein gutes halbes Jahr dauern. Danach müssen wir den früheren Gastronomiebereich nach unseren Plänen herrichten.“ Frühestens im Spätherbst 2023 könnten die ersten Kinder mit Betreuern einziehen. Bis dahin muss auch neues Personal gewonnen werden, auf „zehn bis zwölf Köpfe“ beziffert Müller-Wimmer den Bedarf. Kein leichtes Unterfangen bei dem gegenwärtigen Fachkräftemangel. Die Hoffnung ruht jedoch auf dem Projekt, das womöglich das Interesse stärker wecke, als manche alteingesessene Einrichtung. fran/ü
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