Einhausen. Kerwekönigin Celina Gratzer thronte in einem edlen petrolfarbenen Kleid vor einer Kulisse, die dem Taj Mahal zum Verwechseln ähnelte – ihr zu Füßen Aladdins fliegender Teppich aus Tausenden roten Papierblumen, und auch die Wunderlampe war von den fleißigen Wagenbauern nicht vergessen worden. Der wichtigste Kerwewagen beim Umzug am gestrigen Sonntag war ein Traum aus 1001 Nacht – und konnte als Bekenntnis des Vereins zur Erhaltung der Tradition und der Gemeinde Einhausen zu kultureller Vielfalt gelesen werden.
Auch im weiteren Verlauf des Umzugs gab es deutliche politische Meinungsäußerungen, die über die weltpolitischen Anspielungen und Friedenswünsche des Umzugs im vergangenen Jahr hinausgingen. Die Gruppe Adi – AH, also die „Alten Herren“ der Kerwegruppe Adi, titelten auf Wagen Nummer 46: „AfD und BSW – Putins Speichellecker“. An der Seite des Wagens war der Reim zu lesen: „Diese zwei Hundeviecher dem Putin in den Arsch reinkriechen.“ Die Gruppe hatte die „Hundeviecher“ aus Pappmaché gebaut. Sie saßen zu Füßen einer lebendigen Figur mit drohend erhobener Faust und einer Maske mit Putins Konterfei. Hinter dieser verbarg sich Jacky Degen, Urgestein des Vereins zur Erhaltung der Tradition, der in dieser Pose des „Bösewichts“ ein Jubiläum feierte: seinen 50. Umzug, wie sein Sohn Daniel Degen, der die Veranstaltung wie gewohnt humorvoll, souverän und mit vielen Hintergrundinfos moderierte, kundtat.
Dieser hatte bei seiner Begrüßung der Ehrengäste auf der Tribüne vor Beginn des Umzugs, hinter der Sonnenbrille mit den Tränen kämpfend, die ehemalige Vorsitzende des Vereins zur Erhaltung der Tradition, Christiane Hiemenz, gewürdigt. Den Verein mit seinen 850 Mitgliedern über Jahre zu leiten sei wie „eine kleine Firma zu führen“. Hiemenz ist aufgrund ihrer Verdienste für Verein Trägerin des Goldenen Giggels, eine Auszeichnung, die nur wenige Mitglieder tragen, wie etwa der Dichter des jährlichen Kerwespruchs Heinz Diehl (siehe Text unten). „Wir hoffen, dass wir Dir weiter Arbeit zuschustern dürfen“, sagte Daniel Degen an Hiemenz gewandt.
Wagen mit Stellenanzeige für den Verein zur Erhaltung der Tradition
Arbeit gebe es im Verein genug, aber nicht ausreichend helfende Hände. Der Einhäuser Traditionsverein sei, wie viele Branchen in Deutschland, von Fachkräftemangel betroffen. Das machte auch der Wagen Nummer 24 deutlich, den abermals die Gruppe Adi – AH gestaltet hatte. Auf ihm war eine Art Stellenanzeige zu lesen, in der „Begleitdamen (alle Sorten)“, „Wagenbauer und Wagenbäuerinnen“ sowie „Kerweborsch“ und zuletzt auch „Lorscher“ für die Mitarbeit gesucht wurden – was das Ausmaß der Not deutlich zutage treten ließ.
Die stets willkommenen Nachbarn aus Lorsch waren in guter Tradition mit einigen Gruppen vertreten, etwa den Rock ’n’ Rabbits mit ihren Hasenmasken: „Das Ebenbild eines jeden Lorschers“, wie Degen kommentierte. Aber auch Lorscher Themen hatten es auf Wagen geschafft, etwa die Nummer 27, „Die schlafenden Glocken von Lorsch“, auf dem eine Glocke um 22 Uhr in ihr Bett mit Kissen und Federdecke muss, weil ein Lorscher „gar nicht nett“ gewesen sei und sich über den nächtlichen Stundenschlag beschwert hatte (wir berichteten). Auch die Fusion der katholischen Kirchengemeinden wurde mit einer kleinen Anspielung gewürdigt: Auf dem Modell von St. Michael, das jedes Jahr durch die Straßen gezogen wird, war diesmal eine Papiertüte über den Kirchturm gestülpt – mit einem gemalten Hasen darauf. Nicht zuletzt waren die „Lorscher Hasen“, die für ihre Fastnacht in die Einhäuser Mehrzweckhalle wollen, Thema eines Wagens der Gruppe Chief.
Cannabis-Legalisierung, Respekt für Einsatzkräfte und Ampel-Politik
Viel Applaus bekamen Wagen, die sich gegen die Cannabis-Legalisierung (Gruppe Ladännsche) und für mehr Respekt für Einsatzkräfte, etwa die Besatzung von Krankenwagen, aussprachen (Gruppe Adi – AH). Die Gruppe Adi hatte einen Wagen mit einer riesigen Ampel gestaltet, in der eine Bombe platziert war und vor der ein kleiner Christian Lindner mit Feuerzeug stand.
Was wäre ein Umzug ohne Musik? Für sie sorgte neben dem Musikcorps der Einhäuser Feuerwehr auch das Fanfarencorps der Nibelungenstadt für Worms. Die sechs Marching Drum Brothers brachten mit ihren fetzigen Rhythmen die Ehrentribüne und das Publikum, das die Straßen säumte, zum Swingen. Im Anschluss an den Umzug, der bei herbstlichen 16 Grad stattfand, ging das Treiben in den Gaststätten und Straußwirtschaften los.
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