Reichspogromnacht

Jüngste Gemeindevertreter aus Einhausen gestalteten Gedenkveranstaltung

Von 
Jörg Keller
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Einhausen. „Auch heute noch sind Judenhass, Rassismus und schlichte Menschenfeindlichkeit alles andere als überwunden oder gar beseitigt“, sagte Michelle Glanzner. Erstmals gestalteten die jeweils jüngsten Mitglieder der drei Gemeindevertretungs-Fraktionen die Veranstaltung zum Gedenken an die der Opfer von Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und Nationalsozialismus. Zusammen Michelle Glanzner (CDU) zogen Lea May (Grüne) und Mika Hoffmann (SPD) eine gedankliche Linie von den Verbrechen der Reichspogromnacht 1938 bis in die Gegenwart.

Rund 40 Personen waren am Dienstagabend zu der Gedenktafel am Alten Rathaus gekommen. Seit Ende der 1980er Jahre wird jährlich am Jahrestag der Reichspogromnacht zu der Veranstaltung eingeladen, zunächst von Grünen und SPD. Später schlossen sich auch die Kirchen und offiziell die Gemeinde an. In diesem Jahr hatten erstmals alle drei Fraktionen gemeinsam zur Teilnahme aufgerufen.

Neues Hinweisschild am Lösermann-Weg rechtzeitig angebracht



Pünktlich zu der Gedenkveranstaltung am vergangenen Dienstag in Einhausen hatte die Gemeindeverwaltung das neue Hinweisschild am Lösermann-Weg angebracht. In wenigen Worten wird darüber informiert, dass es sich bei der Familie Lösermann um Einhäuser Bürger jüdischen Glaubens handelte, die Opfer der Novemberpogrome im Jahr 1938 wurden.

Eine Hinweistafel mit ausführlichen Informationen zu den Geschehnissen in Einhausen – eventuell mit einem QR-Code zu weiterführenden Informationen im Internet – soll es nach einer historischen Aufarbeitung der NS-Zeit in der Weschnitzgemeinde geben.

Alle drei Fraktionen der Gemeindevertretung hatten jedoch gemeinsam beantragt, bereits im Vorfeld Passanten zumindest mit einem Straßen-Zusatzschild darüber aufzuklären, welchen Personen der Weg entlang des südlichen Weschnitzufers westlich der steinernen Brücke gewidmet ist. kel

Lea May erinnerte zu Beginn an die Hintergründe der Reichspogromnacht am 9. November 1938, ausgelöst durch Hetzreden von Reichspropagandaleiter Joseph Goebbels als Reaktion auf den Tod von Ernst vom Rath, deutscher Legationssekretär in Paris.

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Die SA hatte unter anderem den Befehl, Synagogen in Brand zu stecken und jüdische Geschäfte zu zerstören. „Mehr als 30 00 jüdische Männer wurden deportiert und erst – wenn überhaupt– freigelassen, wenn sie ihren Grund und Boden aufgegeben hatten. Im Zuge dieser Gewaltakte wurden mehr als 1300 Menschenleben ausgelöscht“, sagte Lea May, die betonte, dass „auch Nachbarn, Handwerker, Elektriker“ Täter wurden. „Menschen, die von der Zerstörung von Juden profitierten, die das Plündern genossen, die ihren Neid und ihren Zorn auf einen vermeintlichen Sündenbock befriedigen konnten.“ Solche Mitläufer habe es auch in Einhausen gegeben, erinnerte die Grünen-Gemeindevertreterin mit Blick auf das Schicksal der jüdischen Familie Lösermann, die in der Nacht vom 10. auf den 11. November 1938 aus ihrem Heimatdorf vertreiben wurde. „Unsere Vorfahren tragen genauso viel Schuld, dass Familien und Existenzen wie die der Familie Lösermann ausgelöscht wurden. Familie Lösermann hat hier gelebt, sie waren Einhäuser wie sie und wir“, betonte Lea May in ihrem Beitrag.

Grenzen des Sagbaren verschoben

Michelle Glanzner erinnerte daran, dass es auch nach dem Ende des Nazi-Regimes in Deutschland immer wieder Auswüchse von Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus gab: „Im August 1992 griffen Randalierer im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen unter dem Beifall und der Beteiligung Tausender Anwohner und Schaulustiger mehrere Tage ein Asylbewerberheim und eine Unterkunft vietnamesischer Vertragsarbeiter an.“ Die Morde der NSU und Montagsdemos in Dresden, bei denen Mitglieder von Pegida „Absaufen! Absaufen!“ riefen , als es in einer Rede um gerettete Flüchtlinge im Mittelmeer ging, waren weitere Beispiele.

Umso erschreckender findet es die junge Christdemokratin, dass die AfD bei der Bundestagswahl 2017 in Einhausen 11,1 Prozent und bei der letzten Bundestagswahl immerhin noch 8,2 Prozent der Zweitstimmen erreichen konnte. „In ihren Wortmeldungen verschiebt diese Partei immer wieder bewusst die Grenzen des Sagbaren weiter nach rechts“, sagte Michelle Glanzner.

Mika Hoffmann ging auf die Konsequenzen ein, die die Gesellschaft und jeder Einzelne aus den Geschehnissen ziehen sollte. Aussprüche wie „keinen Millimeter weiter“, „klare Kante zeigen“ und „nie wieder!“ würden leicht zur Fassade verkommen, wenn man sie nicht kontinuierlich mit Leben füllt.

Das Schicksal der Familie Lösermann sei eben nicht durch das NS-Regime alleine besiegelt worden, sondern auch durch Nachbarn und Bekannte, die zumindest nichts unternommen hatten, um die Familie zu schützen. „Menschlichkeit ist doch keine exklusive Aufgabe für Politik, Staat und Gesetz. Sondern eine grundsätzliche Aufgabe für uns alle“, sagte Mika Hoffmann.

Bürgermeister Helmut Glanzner konnte sich nur anschließen: „Fremdenfeindlichkeit und Hass gehören nicht in unsere Gesellschaft“, sagte er.

Spielszenen der Firmlinge

Den Auftakt zur Gedenkveranstaltung hatte zuvor ein ökumenischer Gottesdienst in der katholischen Kirche St. Michael gemacht, der von Pfarrer Klaus Rein gestaltet wurde. SPD-Ortsvereinsvorsitzender Reimund Strauch begrüßte die Teilnehmer. „Wer Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt erfolgreich und wirksam bekämpfen will, der muss in die Mitte unserer Gesellschaft hineinwirken. Denn gesellschaftlicher Zusammenhalt wird oft ganz konkret vor Ort gemacht – am Arbeitsplatz, auf den Sportplätzen, am Tresen in der Familie“, sagte Strauch.

Im Mittelpunkt stand jedoch auch während des Gottesdienstes die junge Generation. Die Firmlinge der Pfarrgemeinde führten kleine Spielszenen auf, bei denen es darum ging, nicht wegzuschauen, wenn ein Mitmensch am Boden liegt und Hilfe benötigt.

Redaktion Redakteur, Ressorts Lorsch, Einhausen und Region

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