Bensheim. Drei Stockbetten und Spinde pro Parzelle sowie blickdichte Bauzäune für wenigstens ein bisschen Privatsphäre: Das erste von drei Schlafzelten für ukrainische Geflüchtete auf dem Festplatz am Berliner Ring soll in den nächsten Tagen bezugsfertig sein. Es bietet Platz für mehr als 320 Personen, insgesamt könnten auf dem Gelände bis zu 1000 Menschen kurzzeitig untergebracht werden.
„Die ersten Bewohner werden am Donnerstag kommen“, erklärte Taskforce-Leiter Matthias Schimpf bei einem Ortstermin an Gründonnerstag. Nach Mitteilung des Landes werden 200 Ukrainer erwartet, wie viele tatsächlich von der Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen an die Bergstraße kommen, wissen die Verantwortlichen erst, wenn der Bus eingetroffen ist.
„Wir sind hier etwas früher fertig als geplant“, erläuterte Landrat Christian Engelhardt. Das versetzt den Kreis bei allen Unwägbarkeiten in der aktuellen Situation in eine etwas komfortablere Lage, zumal die Zahl der Geflüchteten hinter den Prognosen aus Wiesbaden zurückbleibt. Sprich: Es kommen weniger als gedacht. In dieser Woche seien es in Gießen 32 Personen gewesen, die ersten Kalkulationen gingen von einigen Tausend pro Tag aus.
Die Zahlen sind rückläufig
Dennoch würden mehr in die Städte und Landkreise verteilt, um das dortige Lager zu leeren und Reserven vorzuhalten. Die Gründe für die vergleichsweise niedrigen Zahlen seien vielfältig, hingen aber auch damit zusammen, dass einige Flüchtlinge mittlerweile zurückgekehrt seien oder lieber in Grenznähe in Polen ausharren, um sich nicht zu weit von der Heimat zu entfernen.
„Wir haben deshalb ein bisschen Luft, selbst wenn sich die Zuweisungen auf dem jetzigen Niveau in den nächsten Wochen bewegen“, bemerkte Engelhardt. Der Behördenchef betonte, dass eine Unterbringung zwar nicht am Geld scheitere, man dennoch auf die Wirtschaftlichkeit achten müsse. Man sich zu einem vorsichtigen Vorgehen verpflichtet.
Die Unterkünfte stellen, das wurde beim Ortstermin deutlich, einen erheblichen Kostenfaktor dar. Allein die Jahresmiete für die vier Zelte beläuft sich auf 780 000 Euro. Darüber hinaus hat der Kreis 750 Stockbetten für 350 000 Euro gekauft.
Unterschieden werden müsse, so Matthias Schimpf, generell zwischen den einmaligen Investitionen, um die Zeltstadt herzurichten, sowie den Ausgaben für den laufenden Betrieb. Personal, Catering, Strom, Wasser müssen bezahlt werden. Wie hoch die Kosten hierfür sein werden, lasse sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschätzen.
Offen ist zudem, wer das Camp betreiben wird. Die Ausschreibung läuft. In der Lorscher Werner-von-Siemens-Halle hat das Deutsche Rote Kreuz diese Aufgabe übernommen, für Bensheim ist die Hilfsorganisation sicherlich ebenfalls ein Kandidat.
Schimpf, der als Ehrenbeamter ohne Besoldung die Taskforce „Wohnraum Ukraine“ leitet, erklärte am Donnerstag den Aufbau des „Dorfes“. Neben den drei großen Schlafzelten gibt es ein Zelt für Catering, Betreuung und soziale Aktivitäten sowie ein Quarantänezelt, von dem man hofft, es nicht wirklich belegen zu müssen. Im Eingangsbereich sind ein Info-Punkt und ein Pavillon für die Registrierung aufgestellt.
Hinzu kommen die Sanitärcontainer mit WC und Duschen, die hinter den Schlafstätten zum Sportpark West hin aufgebaut wurden. In weiteren Containern werden fest installiert 36 Waschmaschinen und 18 Trockner untergebracht. „Die Menschen sind tagelang auf der Flucht, kommen dann hier an und haben das Bedürfnis, ihre Kleidung zu waschen. Das ist ein Hygienethema“, verdeutlichte Schimpf die Notwendigkeit solcher Einrichtungen.
Ohnehin gilt für die Arbeitsgruppe unter seiner Leitung ein großes Maß an Flexibilität. Man müsse Woche für Woche entscheiden, wie weiter vorzugehen ist: Braucht es mehr Plätze? Können Kapazitäten abgebaut werden? „Wir versuchen schon, einen kostenbewussten Umgang hinzukriegen. Ich denke, wir haben einen guten Mittelweg gefunden.“
Der sieht momentan neben der Lorscher Hallen-Unterkunft vor, das Bensheimer Camp ab nächster Woche zur zentralen Ankunftsstätte zu machen. „Ab Donnerstag werden die Busse nicht mehr in Lorsch, sondern hierher fahren“, bestätigten Schimpf und Engelhardt. An Gründonnerstag war ein letztes Mal die Sporthalle das direkte Ziel für 140 Personen.
Sporthalle vorerst belegt
Wie lange die kreiseigene Immobilie in Lorsch nach der Eröffnung auf dem Festplatz noch betrieben wird, dazu konnten keine konkreten Aussagen getroffen werden. „Es bleibt bis auf Weiteres geöffnet. Die Vorgehensweise hängt von den Zuweisungen ab“, erklärte Sozialdezernent Karsten Krug. Kalkuliert wird für die nächsten beiden Wochen mit jeweils 200 Geflüchteten.
Allerdings stellten die Entscheidungsträger auch klar, dass einer Freigabe der Halle, die für den Vereins- und Schulsport benötigt wird, Priorität eingeräumt wird, sollten es die Umstände zulassen. Zumal in Bensheim immerhin bis zu 1000 Plätze eingerichtet werden können und man in der Hinterhand eine Liegenschaft in Viernheim in Reserve bereithält mit bis zu 100 Schlafmöglichkeiten.
Unterm Strich heißt das: Wenn der Flüchtlingsstrom zunehmen sollte, könnte man 1450 Plätze zur Verfügung stellen - und darüber hinaus kurzfristig auf bis zu 2500 bis 3000 aufstocken, in dem man andere Einrichtungen ebenfalls in Betrieb nimmt. Wobei momentan die Tendenz eher in die andere Richtung geht.
Krug bedankte sich beim Ortstermin bei den vielen Ehrenamtlichen, bei den Flüchtlinge privat untergebracht sind. „Ohne diese Hilfsbereitschaft hätten es nicht gereicht.“ Der Kreisbeigeordnete lobte zudem das Engagement der Taskforce. Diese habe geliefert, was man bestellt habe. Konkret bedeutet das: Es wurde der Wunsch nach einer größeren Einrichtung mit vielen Plätzen erfüllt. Das sei organisatorisch der bessere Weg als mehrere kleinere Einheiten, die ebenso zur Diskussion standen.
Bei der Ankunft auf dem Festplatz würden die Menschen registriert. Das Camp habe 24 Stunden geöffnet, ein Sicherheitsdienst kontrolliert am Eingang die Zugangserlaubnis. „Die Bewohner können rein und raus wie sie wollen“, so Krug. Vom Grundsatz her ist die Verwaltung wie 2015, als der Festplatz am Berliner Ring das erste Mal ein Zeltdorf für Geflüchtete beherbergte - damals vorwiegend für Menschen aus Syrien und Afghanistan, aber auch aus anderen Ländern.
„Sie wollen in die Heimat zurück“
„Der Unterschied ist, dass diese Personen damals kamen, um zu bleiben. Es war eine andere Ausgangssituation. Die meisten Ukrainer wollen aber zurück in ihre Heimat, sobald das möglich ist“, erklärte Landrat Christian Engelhardt, der mit Blick auf die Großzelte von einer „akzeptablen Unterbringung“ sprach.
Während das Trio aus dem Landratsamt am Donnerstag über den Stand der Dinge informierte, gingen die Aufbauarbeiten unvermindert weiter. Bauzäune wurden gestellt, Stockbetten aufgebaut und mit Matratzen bestückt, Parzellen abgeteilt. Verpackte Bettwäsche einer schwedischen Möbelkette stapelte sich in einer Nische. Angekündigt sind außerdem zehn Smart-TVs, die die Handelskette Saturn gespendet hat.
Trotz aller Bemühungen bleibt zu hoffen, dass die Bewohner sich in den Zelten nicht für einen längeren Aufenthalt einrichten müssen und schnell in Unterkünfte gebracht werden können - in denen das eigene Leben nicht auf ein paar Quadratmeter mit Stockbett, Spind und blickdichter Folie reduziert werden muss.
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