Bensheim. Die Zeiten, in denen die Großfamilie mit drei Generationen unter einem Dach lebten, sind lange vorbei. Wachsende Bevölkerungszahlen bei begrenztem Flächenangebot und veränderte Lebens- und Arbeitssituationen lösen die traditionellen Strukturen der Kernfamilie zunehmend auf und das macht ein Umdenken erforderlich.
Newsletter "Guten Morgen Bergstraße"
Beim Bergsträßer Verein Wohnvision und seinem Vorsitzenden Gerhard Vetter hat das Umdenken vor mehr als fünf Jahren begonnen, als das Einfamilienhaus in Zwingenberg, in dem man 31 Jahre lang gerne und gut gelebt hatte, nach dem Wegzug der Kinder zu groß geworden war. Die Idee des gemeinschaftlichen Wohnens entstand, wurde weiterentwickelt und letztlich ist daraus ein Verein und ein kleines Wohnprojekt in der Vogelsbergstraße in Bensheim geworden, in dem das Ehepaar Vetter seit 2020 wohnt.
Für alle Generationen interessant
Darüber und über die weiteren Pläne des Vereins berichtete Gerhard Vetter am Montagabend im Rahmen eines Vortragsabends, zu dem der Bensheimer Verein Bürgerhilfe eingeladen hatte. Der Verein, der gegenseitige Nachbarschaftshilfe organisiert und leistet und im vergangenen Jahr sein 25-jähriges Bestehen feierte, hatte sich im Rahmen seiner Zukunftswerkstatt auch mit dem Thema generationenübergreifende Wohnprojekte befasst. Daraus ist die gemeinsame Veranstaltung mit dem Verein Wohnvision Bergstraße entstanden, zu der Bürgerhilfe-Vorsitzender Franz Apfel eine große Zahl an interessierten Besuchern begrüßen konnte.
Deutlich machte Gerhard Vetter in seinem Vortrag, dass die Idee des gemeinschaftlichen Wohnens für alle Generationen interessant ist, vorausgesetzt, man möchte eine aktive und verlässliche Nachbarschaft. Allerdings ist auch ein breites Bewusstsein dieser Art von Leben und Wohnen sowohl in der Bevölkerung als auch in den zuständigen Behörden für Stadtentwicklung erforderlich.
Wohnbebauung zwischen Bahnhof und Brückweg
So gibt es beispielsweise Städte, in denen Vereine oder Institutionen für gemeinschaftliches Wohnen automatisch einbezogen werden, wenn es um Neubaumaßnahmen geht. „Hier ist das Bewusstsein noch nicht so ausgeprägt“, sieht Vetter für den Bergsträßer Raum durchaus noch Luft nach oben. Bisher ist der Verein immer selbst aktiv geworden, wenn er auf interessante Projekte aufmerksam geworden ist. Interessant sind für Wohnvision neben der Umnutzung von Bestandsgebäuden insbesondere die Entwicklung von Neubaugebieten – und hier kommt auch das Sanner-Gelände in Auerbach in Frage.
Nach dem Umzug der Firma in das Gewerbegebiet Stubenwald soll auf dem großen Areal zwischen dem Auerbacher Bahnhof und dem Brückweg Wohnbebauung entstehen. Hier hat sich Wohnvision bereits ins Gespräch gebracht und seitens der Familie Sanner auch eine Zusage über die Bereitstellung einer Fläche für 40 Wohneinheiten – circa 4000 Quadratmeter – für ein gemeinschaftliches Wohnprojekt erhalten. Auch Franz Apfel sieht hier das „ideale Gelände“ für ein solches Vorhaben, das zudem bei einer vermutlichen Realisierung ab 2026 auch ausreichenden Zeitvorlauf habe. Zur Realisierung solcher Wohnprojekte verwies Vetter auf drei Modelle. Die einfachste Variante sei die Kooperation mit einem Bauträger – wie beispielsweise beim Bensheimer Projekt Vogelsbergstraße mit der Wohnbau Bergstraße. Sie sei auch finanziell die günstigste Möglichkeit, da lediglich eine einmalige Einlage an Genossenschaftsanteilen und das monatliche Nutzungsentgelt erforderlich sei.
Neben privaten Wohnungen auch Gemeinschaftsräume
Deutlich mehr investieren müsste man bei dem zweiten Modell mit der Gründung einer Genossenschaft. Ein entsprechendes Beispiel habe man sich in Bad Dürkheim angeschaut. Hier sei beispielsweise für eine 100-Quadratmeter-Wohnung eine Einlage von 100 000 Euro angefallen. Die dritte Variante ist das Eigentümermodell, bei dem die künftigen Bewohner eine Eigentümergemeinschaft gründen. Welches die jeweils beste Möglichkeit ist, hänge immer von den jeweiligen Interessenten und den finanziellen Möglichkeiten ab.
Die gemeinschaftlichen Wohnprojekte zeichnen sich dadurch aus, dass es neben den privaten Wohnungen auch Gemeinschaftsräume und -angebote gibt. In Bad Dürkheim sah der Bebauungsplan lediglich Einfamilien- und Reihenhäuser vor, was dort mit einer Art Campus mit Innenhof und einer gemeinsamen Tiefgarage gelöst wurde.
In Heidelberg besichtigte man ein Kooperationsmodell in einem Haupt- und Nebengebäude. In dem Hauptgebäude mit den Wohnungen erwiesen sich die Laubengänge einmal mehr als ideale Kommunikationsfläche und der Kindergarten im Nebengebäude wird vor allem von den ebenfalls hier wohnenden jungen Familien geschätzt.
In Bensheim könnte sich der Verein beispielsweise beim alten Hospital ein ideales gemeinschaftliches Wohnprojekt vorstellen, aber seitens der Hospitalstiftung als Eigentümer scheine es offensichtlich kein Interesse zu geben.
Land Hessen als Unterstützer
Im Auge hat Wohnvision auch Objekte in Zwingenberg, wie die Jugendherberge, den alten Bauhof oder das Haus Orbishöhe, wobei man bei der Orbishöhe mit dem Eigentümer bereits im Gespräch ist.
Wenn eine Fläche zur Verfügung steht, gehe es zunächst darum, eine ausreichende Zahl an Interessenten zu finden, mit denen das Projekt realisiert werden kann. Um hier das Bewusstsein für diese Art des Wohnens zu stärken, will der Verein künftig auch Stammtische anbieten. Bei grundsätzlichem Interesse empfiehlt sich die Mitgliedschaft bei Wohnvision mit einem Jahresbeitrag von 40 Euro, was auch die Teilnahme an Projektbesichtigungen ermöglicht. Weitere Informationen gibt es auf der Internetseite des Vereins unter www.wohnvision-bergstrasse.de.
Unterstützt wird das Engagement von Wohninitiativen auch durch das Land Hessen, das mit seiner Landesberatungsstelle gemeinschaftliches Wohnen in Hessen (www.wohnprojekte-hessen.de) ein umfangreiches Koordinierungs- und Beratungsangebot bereithält.
Die Bürgerhilfe Bensheim wird am 31. Januar im Rahmen ihres Neujahrsempfangs im Awo-Zentrum in der Eifelstraße die Vorschläge aus ihrer Zukunftswerkstatt vorstellen.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim_artikel,-bensheim-wohnvision-vortrag-gemeinschaftliches-wohnen-_arid,2146473.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/zwingenberg.html
[2] https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim.html