Pogrom-Gedenken

Von der Hitler-Jugend auf der Straße bespuckt und getreten

Helmut „Sonny“ Sonneberg war als Zeitzeuge zu Gast im Museum

Von 
Eva Bambach
Lesedauer: 
Helmut „Sonny“ Sonneberg beim Zeitzeugengespräch am Donnerstagabend im Bensheimer Museum. © Thomas Zelinger

Bensheim. Helmut „Sonny“ Sonneberg wurde am 4. Juni 1931 in Frankfurt als uneheliches Kind einer jüdischen Mutter geboren und lebt heute in Frankfurt-Schwanheim. Die Mutter heiratete einen katholischen Mann, der den kleinen Helmut liebevoll als eigenen Sohn annahm. So wuchs der Junge in einer katholischen Atmosphäre auf und wusste gar nicht, dass er als Jude galt – bis zur Pogromnacht 1938. Als er mit der Mutter auf dem Schulweg ein Gebäude in Flammen gesehen habe, sei diese in Tränen ausgebrochen, wie Sonneberg im Bensheimer Museum berichtet.

Was er als Kind nicht verstanden habe – „Ich wusste gar nicht, was eine Synagoge ist“ –, habe ihm die Bäckersfrau auf Geheiß der Mutter erklärt: Dass sein Vater nur sein Stiefvater sei, dass seine Mutter und er Juden seien und dass er fortan nicht mehr in die Kirche gehen dürfe. Für das Kind brach eine Welt zusammen. „Ich habe tagelang geweint.“

In einem Heim für jüdische Jungen

Sonneberg durfte die normale Schule nicht mehr besuchen, sondern nur eine Sonderschule für jüdische Kinder, bis auch das nicht mehr ging. Er wurde aus der Familie genommen und mit etwa 100 anderen jüdischen Jungen in ein Heim gegeben, von wo aus er den hebräischen Unterricht besuchen musste: „Ich habe nichts verstanden.“

Mehr zum Thema

Jahrestag

Gedenken an die Pogromnacht

Veröffentlicht
Von
red
Mehr erfahren
Gedenkfeier

Auch in Bensheim wüteten einst die Nazis

Veröffentlicht
Von
Eva Bambach
Mehr erfahren

Auf dem Schulweg habe es immer wieder Begegnungen mit der Hitler-Jugend gegeben, sie sangen Lieder über das Judenblut, das vom Messer spritzt. Die jüdischen Jungen wurden, geschlagen, getreten – und vor allem bespuckt. Das sei das Schlimmste gewesen, erinnert sich Sonneberg voller Ekel und kommt darauf während des Gesprächs wiederholt zurück – auch in Hinblick auf die Gegenwart, wo er erlebe, wie Menschen zum Beispiel wegen ihrer Hautfarbe bespuckt würden.

Jeden Monat seien zwei bis drei Transporte von dem Heim abgegangen, es blieben immer weniger Kinder übrig, zuletzt waren es noch 16. „Ich stammte aus einer Mischehe und durfte deshalb wieder heim, durfte dann aber nicht raus, sondern musste in der Wohnung bleiben und Hausarbeit machen.“

1945 nach Theresienstadt

Am 14. Februar 1945 – Auschwitz war schon am 27. Januar befreit worden – wurde Helmut Sonneberg mit seiner Mutter von der Großmarkthalle aus ins Durchgangslager Theresienstadt gebracht und magerte dort auf 27 Kilogramm ab, eine Erinnerung, bei der ihm noch heute die Tränen kommen.

Und doch waren die Wochen in Theresienstadt nicht so schlimm, wie die sieben Jahre zuvor, in denen er nicht in die Schule durfte und nur vom Fenster aus den anderen beim Spielen zusehen konnte – „gestohlene Jahre, die mein ganzes Leben beeinflusst haben“. „Am 8. Mai war der Krieg zu Ende und am 9. Mai gab es keine Nazis mehr“, sagt Sonneberg und dass er nur ein einziges Mal jemanden getroffen habe, der sich – „angeschickert“ – mit Scham an seine Taten erinnert habe. Nur weil jetzt alle Nazis weggestorben seien, gebe es in den letzten Jahren verstärkte Aufklärung über die Zeit, lang seien noch die wichtigsten Posten von Nazis besetzt gewesen.

Zum Fußball und zu Eintracht Frankfurt – „Die Eintracht ist meine Familie, da hat keiner gefragt, wo ich herkomme“ – kam Sonneberg als Auszubildender nach dem Krieg. Und trat aus dem Verein aus, als er in den 1970er Jahren erfuhr, dass Vereins-Präsident Rudolf Gramlich ein Nazi-Verbrecher gewesen sei.

Inzwischen ist Sonneberg längst wieder Eintracht-Mitglied – ehrenhalber auf Lebenszeit. Er engagiert sich gegen Antisemitismus und Rassismus, indem er im Eintracht-Museum aktiv ist. Seine Botschaft, auch an dem Abend in Bensheim: „Seid wachsam.“

Copyright © 2025 Bergsträßer Anzeiger

  • Winzerfest Bensheim