Gedenkfeier

Auch in Bensheim wüteten einst die Nazis

Auf dem Bendheim-Platz wurde an die Zerstörung der Bensheimer Synagoge am 10. November 1938 gedacht

Von 
Eva Bambach
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Auf dem Bendheim-Platz wurde am Donnerstagabend der Zerstörung der Bensheimer Synagoge durch die Nationalsozialisten vor 84 Jahren gedacht. © Thomas Zelinger

Bensheim. Mit Reden und einem kleinen musikalischen Programm wurde am Donnerstagabend die jährliche Gedenkveranstaltung zur Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 auf dem Bendheim-Platz gestaltet. Wie rund 1400 weitere Synagogen in Deutschland wurde auch das jüdische Gotteshaus in Bensheim vor nun 84 Jahren verwüstet und niedergebrannt. Seit den 1980er Jahren wird der Gedenktag in Bensheim begangen. Direkt am Schauplatz des schändlichen Geschehens, vor dem im Jahr 2000 errichteten Mahnmal versammelten sich auch diesmal rund 60 Personen auf Einladung der Stadt Bensheim und der Geschichtswerkstatt Jakob Kindinger, darunter Mitglieder des Magistrats und der Stadtverordnetenversammlung.

Dem Vergessen entgegentreten

Mit dem Lied „S’brent“ von Mordechaj Gebirtig eröffneten Bernd Köhler (Gesang, Gitarre) und Joachim Romeis (Geige) die Veranstaltung. Der 1942 von den Nazis ermordete Dichter und Komponist schrieb den jiddischen Text als Reaktion auf ein Pogrom in der polnischen Stadt Przytyk – er endet in der deutschen Übersetzung mit den Worten: „Steht nicht Brüder nur herum, mit verschränkten Armen, steht nicht Brüder, löscht das Feuer – unser Städtchen brennt“.

Sie hätten das Lied im Jahr 2015 entdeckt, erklärte Bernd Köhler, als nicht nur im Osten die Flüchtlingsunterkünfte gebrannt hätten. Als Einlagen zwischen den Reden spielten die Musiker neben einer eigenen Komposition von Bernd Köhler die Vertonung eines Gedichts des österreichischen Lyrikers Theodor Kramer über die Zerrissenheit der von Verfolgung Betroffenen – gehen oder im Land bleiben? Den musikalischen Abschluss bildete das gemeinsam mit dem Publikum gesungene Lied von den Moorsoldaten, geschrieben 1933 von Häftlingen des Konzentrationslagers Börgermoor und heute weltbekannt.

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red
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„Auch in Bensheim tobte der antisemitische Mob“, erinnerte Bürgermeisterin Christine Klein. Nicht nur die Synagoge sei zerstört worden, sondern auch Wohnungen verwüstet und Geschäfte geplündert. Und genau jetzt sei der richtige Zeitpunkt, um durch die Erinnerung antisemitischen Regungen entgegenzutreten. Sie sei tief beeindruckt, sagte Klein, von dem Engagement der Schülerschaft des Goethe-Gymnasiums, also junger Leute, für die das Geschehen doch weit in der Vergangenheit liege, die für das 150-jährige Jubiläum der Schule umfangreiche Recherchen über ehemalige jüdische Schülerinnen der Schule anstellten und zu ihrem Gedenken Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig verlegen ließen, aber auch Kontakt mit Nachkommen aufnahmen. Das sei ein wichtiger Beitrag, um „der Vergesslichkeit entgegenzutreten“.

Peter E. Kalb von der Geschichtswerkstatt Jakob Kindinger erinnerte daran, dass es wieder jüdische Gemeinden in Deutschland gebe und äußerte Besorgnis über den zunehmenden Antisemitismus und Rassismus in Deutschland. Er zitierte die Leipziger Autoritarismus-Studie, mit der die Universität Leipzig seit zwanzig Jahren die Entwicklung autoritärer und rechtsextremer Einstellungen in Deutschland untersucht. Zwar bejahe die Mehrzahl die Demokratie, doch gebe es großen Hass auf Zugewanderte, mit der Unterstellung, diese kämen, „um den Sozialstaat auszunutzen“.

Ein Fazit der Studie sei, dass die Bedrohung der Demokratie hoch bleibe und die derzeitigen Krisen eine Brücke für extrem rechte Ansichten seien. So seien alle Demokraten aufgerufen, sich dem Antisemitismus entgegenzustellen, wo er sich zeige. Etwa im Oktober bei einem Steinwurf auf eine Synagoge in Hannover an Jom Kippur, der an den Anschlag auf die Synagoge von Halle vor drei Jahren erinnere.

„Ist Antisemitismus fast schon normal?“, müsse man sich fragen, auch in Hinblick auf die documenta 15, auf die Kalb ausführlich einging und der er eine vernichtende Bilanz attestierte. Positiv sei aber das Beispiel von Hamburger Studierenden in diesem Zusammenhang: Mit entschiedenem Protest reagierten sie auf die Nominierung von zwei Gastprofessoren, die zuvor als Kuratoren Verantwortung für die Ausstellung antisemitischer Inhalte während der documenta 15 getragen hatten.

Am Ende seiner Rede stellte Kalb den Holocaust-Überlebenden Helmut „Sonny“ Sonneberg vor, der sich gegen Antisemitismus und Rassismus engagiert, unter anderem, indem er als Zeitzeuge in Schulen auftritt. Als solcher stand Helmut Sonneberg im Anschluss an die Gedenkfeier im städtischen Museum im Raum der Alten Feuerwache für ein öffentliches Gespräch zur Verfügung – siehe weiterer Bericht auf dieser Seite.

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