Bensheim. Der Aufschrei in den Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung war groß, als bei ihnen der Beschlussvorschlag zum Umzug der Stadtbibliothek in die beiden Übergangsstandorte eintraf. Von „Fassungslosigkeit über diese Fehleinschätzung“ war unter anderem zu lesen. 520 000 Euro soll der Umzug inklusive aller dafür nötigen Umbau-, Renovierungs- und Installationsarbeiten kosten. Ein Betrag, der bei der Freigabe von 200 000 Euro durch die Stadtverordneten im Mai dieses Jahres noch nicht beziffert werden konnte.
Der Grund: Für eine genaue Kostenschätzung braucht es detaillierte Vorarbeiten, Analysen und externe Gutachten. Diese Vorarbeiten erfordern Mittel und Ressourcen, die jedoch erst nach der Bewilligung eines Vorhabens zur Verfügung stehen. Ohne diese Mittel fehlen der Verwaltung die genauen Daten und Ressourcen, um eine fundierte Kostenschätzung zu erstellen.
In der Frühphase eines Projekts sind häufig die genauen Anforderungen noch nicht klar definiert. Zusammengefasst liegt die Schwierigkeit also darin, dass die Verwaltung ohne eine detaillierte Planung und Mittel keine ausreichende Basis hat, um eine fundierte Kostenschätzung abzugeben. Dies führt zu einem Dilemma: Ohne Mittel gibt es keine detaillierte Kostenschätzung, und ohne Schätzung werden Mittel oft nicht freigegeben.
Dieses Dilemma war es, das Erste Stadträtin Nicole Rauber-Jung den Mitgliedern des Bauausschusses bei der Sitzung am Donnerstagabend immer wieder ins Gedächtnis rief, wenn Kritik an den „fehlkalkulierten“ Summen laut wurde. Im Frühjahr dieses Jahres waren die Kosten der Gesamtmaßnahme auf 212 000 Euro beziffert worden – allerdings ohne (dieses Wort ist in der Vorlage fettgedruckt) die Kosten für EDV und Beleuchtung. Die kommen jetzt, nachdem sie ermittelt wurden, obendrauf.
Immerhin ist positiv zu vermelden, dass die über die bewilligten 200 000 Euro hinaus nötigen Mittel vorhanden sind: 70 000 Euro kommen vom Eigenbetrieb Stadtkultur, ganze 250 000 Euro konnte die Stadt bei der Einrichtung der neuen Geflüchtetenunterkunft auf dem Festplatz einsparen. „Diese Maßnahme war günstiger, als vorab kalkuliert“, erklärte die Baudezernentin. Es gibt sie noch: erfreulichere Finanz-Nachrichten aus Bensheim.
Was ist an den beiden Standorten geplant?
Nicole Fabian vom städtischen Team Gebäude und Freiflächen stellte dem Gremium zunächst noch einmal die Planung vor, bevor es an die genauen Kosten ging. Im wesentlich größeren Standort in der Schwanheimer Straße 151 werden neben dem Großteil der Medien, der Bibliothek der Dinge, einem Schüler-Center mit genügend Lernmöglichkeiten und Rückzugsorten auch die Büros der Mitarbeitenden Platz finden. In der Altern Gerberei gibt es zwei Arbeitsplätze zur Vorbereitung von Veranstaltungen oder Ähnlichem.
Für beide Standorte habe man versucht, so viel Inventar wie möglich wiederzuverwenden, zum Beispiel die Regale oder die Rezeption. In dem angemieteten Gebäude muss – das ist Nutzungsvorgabe – noch eine weitere Toilette ergänzt werden. Da es sich bei der Immobilie nicht um städtisches Eigentum handelt, soll an dieser Stelle nur so viel wie nötig investiert werden. Und nötig sind dafür 70 000 Euro. Mit Auslaufen des Mietvertrages – angesetzt ist er auf fünf Jahre mit Verlängerungsoption – soll dann entschieden werden, welche Änderungen wieder zurückgebaut werden müssen.
Die Alte Gerberei soll vor allem mit ihrer Innenstadtnähe und ihrem gemütlichen Charme glänzen. Letzteres trägt allerdings maßgeblich zu den hohen Kosten für die Umfunktionierung in eine Bibliothek bei. Im Bühnenbereich muss etwa eine Absturzsicherung her, da dort vor allem Kinderangebote gemacht werden sollen. Lösen möchte man das nicht mit einem Geländer, sondern mit einer Sitzstufe, wodurch weitere Sitzplätze entstehen.
Das Erdgeschoss soll verspielt gestaltet, die Elemente auf der Bühne mit Rollen versehen werden, damit sie für Aufführungen oder Vorträge genutzt werden kann. Ansonsten soll beim Interieur vorhandenes auf- und wiederverwertet werden. Der obere Stock soll unter anderem als Ort zum Zeitung- oder Zeitschriftenlesen dienen. Zumindest jenen, die ihn selbstständig erreichen können. Denn keiner der beiden Standorte verfügt über einen Aufzug.
Was macht dem Umzug der Stadtbibliothek so teuer?
Ein Punkt, der die Kosten für den Umzug der Stadtbibliothek nach oben getrieben hat: Die Gebäudestruktur beider Standorte ist eine andere als die im Neumarkt. Die speziellen Regale, die zur Lagerung der schweren Bücher nötig sind, müssen in ihre Einzelteile zerlegt und dann an ihren neuen Standorten passgerecht aufgebaut werden. „Es kann also vorkommen, dass aus einem Regal zwei neue entstehen“, so Fabian. Alleine 12 000 Euro wird es kosten, die zerlegten Regale wieder zusammenzubauen. Außerdem müssen dafür nötige Ersatzteile beschafft werden. Was immer noch günstiger als Neuanschaffungen ist.
Viel gewichtiger sind die Kosten für die Elektroinstallationen und die Beleuchtung. Dabei muss die Stadt sich an die vorgegebenen Richtwerte für Bibliotheken halten. Der Innenraum der Alten Gerberei ist dunkel, am anderen Standort verschatten die Regale wegen der geringeren Deckenhöhe die Gänge. Es braucht also an beiden Adressen sehr viele Lampen. Dazu muss die Alte Gerberei mit ihrer Elektrik aus den frühen 90er Jahren erst noch auf einen neuen Stand gebracht werden.
Beide Standorte getrennt voneinander zu betrachten ist nicht so leicht, in der Verwaltungsvorlage werden für die Alte Gerberei Bauleistungen in Höhe von 98 000 Euro und Elektroinstallationen rund 167 000 Euro veranschlagt. Für die Schwanheimer Straße sind es 70 000 Euro an Bauleistungen, 97 500 für die Elektrik.
Und schon kommt man mit der Beschaffung von Möbeln und einem neuen Rückgabekasten, dem reinen Umzug sowie einem Puffer für unvorhergesehene Ausgaben auf die Gesamtsumme. Die Kosten, die man im Frühjahr angeben konnte, seien gleich geblieben, betonte Rauber-Jung. „Für alle Planungen darüber hinaus brauchten wir erst weitere Mittel. Das wurde damals auch allen so kommuniziert.“ Nie sei die Rede davon gewesen, das gesamte Vorhaben würde „nur“ 212 000 Euro kosten.
Steigt durch den Umbau der Wert der Gebäude?
Thorsten Eschborn (FDP) interessierte, ob sich durch die Umbaumaßnahmen der Wert – vor allem der Gerberei – steigern ließe. Das kommt ganz auf die Folgenutzung an. Dazu könne man aber aktuell noch nichts sagen. Erst einmal muss die Bücherei überhaupt ihre Übergangsstandorte beziehen. Und auch das wird wohl noch ein wenig dauern. Eschborn würde, wie er sagte, lieber Mittel genehmigen, wenn er wisse, dass nach fünf Jahren nicht wieder „alles rausgerissen werden soll“. „Alles, was ich Ihnen hierzu jetzt sagen könnte, wäre unseriös, denn wir wissen nicht, was nach der Übergangszeit kommt“, entgegnete Rauber-Jung. Zumal bei der Debatte auffällig häufig die Verlängerungsoption nach fünf Jahren betont wurde.
Ausschussvorsitzender Thomas Götz hatte vor allem Bauchschmerzen bei den Kosten für das Mietobjekt in der Schwanheimer Straße. „Wir wollen nachvollziehen, welche Kosten der Vermieter trägt und welche die Stadt“, sagte er und bat um die Vorlage des Mietvertrages in den Fraktionen. Der Vermieter, so Rauber-Jung, wird rund 30 000 Euro in die Klimatisierung und 21 000 Euro in den Sonnenschutz investieren. Die Hälfte dieser Kosten zahlt die Stadt über die Miete ab. Eschborn zufolge bringt die neue Beleuchtung auch einen Mehrwert für das Gebäude – allerdings nur, wenn die Leuchten in der Nachnutzung auch erhalten bleiben.
Franz Apfel (BfB) sieht bei der Altern Gerberei einen erheblichen Sanierungsstau und bat hierzu um weitere Infos. Mit der Informationslage, wie sie im Bauausschuss vorlag, war das Gremium noch nicht ganz zufrieden. Lieber wollte man die Entscheidung verschieben, bis dem Haupt- und Finanzausschuss die weiteren geforderten Dokumente vorgelegt worden seien.
Zusammenfassend sagte Götz: „An der Größenordnung wird sich wohl nicht mehr viel ändern lassen.“ Klar ist: Durch eine Verschiebung der Maßnahme könnte es nur noch teurer werden, die Einnahmen der Stadtbibliothek würden durch die dauerhafte Schließung zudem noch weiter einbrechen.
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