Bensheim. Eine außergewöhnliche Vertreterin ihres Faches ist die russische Organistin Antonina Krymova, die beim zweiten Konzert der Bensheimer Orgelwochen in der Michaelskirche gastierte.
Bemerkenswert ihr Ausbildungsweg: Klavier- und Orgelstudium am Konservatorium Sankt Petersburg, danach ab 2010 als DAAD-Stipendiatin Abrundung der organistischen Studien bei Ludger Lohmann in Stuttgart, schließlich dort auch noch ein Studium des Spezialfaches „Historische Tasteninstrumente“ bei Jon Laukvik.
Krymovas Orgelwochenprogramm ließ ebenfalls nichts an Originalität zu wünschen übrig – ausgewiesen besonders durch die mitgebrachten Stücke aus Russland und der Ukraine, die wohl kaum je in Bensheim erklungen sein dürften. Eine echte Rarität war aber bereits das eingangs gebotene g-moll-Präludium des ab 1702 fast vier Jahrzehnte an der Hamburger Nikolaikirche wirkenden Bach-Zeitgenossen Vincent Lübeck (1654-1740). Krymovas ungekünstelt luzide Wiedergabe der vielgestaltig fugierten Komposition bezeugte eindrucksvoll, dass dieser wenig präsente Barockmeister keinen Vergleich mit Vorbildern wie Dietrich Buxtehude zu scheuen braucht.
Auch als Bach-Spielerin gefiel die europaweit als Konzertorganistin tätige Russin durch unbestechliche Klarheit und unaufgeregte Lebendigkeit. Diese Qualitäten zeigten sich besonders schön in den beiden wunderbar ausgewogen dahinströmenden G-Dur-Bearbeitungen „Nun danket alle Gott“ BWV 657 (aus „Leipziger Choräle“) und „Allein Gott in der Höh sei Ehr“ BWV 676 (aus „Klavierübung 3. Teil“).
Präludium und Fuge h-moll BWV 544 dagegen klangen – bei gleich hoher Präzision – insgesamt etwas distanzierter, da Krymova offenbar vor allem die unerbittliche Strenge des gewaltig ausgreifenden Werkes hervorkehren wollte. Veritable Überraschungen bescherte die Organistin den rund 50 Besuchern mit ihren Ausflügen auf heimisches Repertoireterrain. Nicht weniger als fünf meist programmatisch angelegte Orgelsuiten komponierte der lange als Professor am Moskauer Konservatorium lehrende, in fast allen Gattungen sehr produktive Ukrainer Valeri Kikta ( Jahrgang 1941).
Seine von Krymova virtuos vorgestellte zweite Suite „Orpheus“ opus 21 aus dem Jahre 1968 machte jedenfalls Appetit auf mehr – ein effektvolles Poem, das den mytischen Stoff in fünf ungemein farben- und kontrastreichen Szenen packend nacherzählte.
Aus dem ebenso kleinen wie feinen Orgeloeuvre des besonders als Sinfoniker bedeutenden Russen Alexander Glasunow (1865-1936) hatte Krymova mit dem d-moll-Zweisätzer Präludium und Fuge opus 98 von 1914 ein gleichfalls höchst anregendes Beispiel ausgewählt, das dessen stilistische Perfektion wahrhaft klangmächtig dokumentierte. Auch die ähnlich reifen D-Dur-Sätze Präludium und Fuge opus 93 und erst recht die imposante späte Fantasie opus 110 (1935) würde man gerne von dieser findigen Musikerin hören.
Großen Beifall verdiente Antonina Krymova nicht zuletzt für ihre souveräne Interpretation von Felix Mendelssohns 1844 entstandener c-moll-Sonate opus 65/2, die bestes Gespür für die romantisch beseelte Polyphonie des gerade als Orgelmeister stilprägenden Komponisten verriet.
Schade also, dass sie nach diesem stark beklatschten Finale auf eine Zugabe verzichtete.
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