Bensheim. Schon mehrfach war das Neue Globe Theater aus Potsdam mit erfolgreichen Stücken Parktheater Bensheim zu erleben und auch diesmal wurde das Publikum nicht enttäuscht. „Mephisto“ nach dem gleichnamigen Roman von Klaus Mann fesselte im Abo „Großes Haus“ am Donnerstagabend an die drei Stunden lang die Zuschauer im gut gefüllten Saal mit einer revuehaften Darbietung bei dennoch durchgehendem Handlungsstrang.
So wurde einerseits das Geschehen des als Schlüsselroman im Zeitraum von 1926 bis 1936 angelegten Plots, der als Darstellung der Geschichte des gefeierten Schauspielers Gustaf Gründgens und seiner Zeitgenossen gelesen werden kann, gewissenhaft nacherzählt. In der ursprünglich für das Berliner Ensemble geschaffenen Fassung von Till und Chris Weinheimer erscheint neben den musikalischen Elementen als wesentliche Variation die Gestaltung der Figur der Juliette, Tanzlehrerin und Geliebte Hendrik Höfgens (alias Gustaf Gründgens).
In der Romanfassung wird sie als dunkelhäutige Tochter einer Afrikanerin und eines deutschen Ingenieurs beschrieben. Auf der Bühne wird Juliette nun als männlicher Geliebter des homosexuellen Hauptdarstellers gezeigt.
Der Schauspieler Hendrik Höfgen, begabt und eitel zugleich, ist wie sein Freund und Bühnenkollege Otto Ulrichs begeistert von der Idee eines politischen, kommunistisch ausgerichteten Theaters und lehnt den aufkommenden Nationalsozialismus mit Nachdruck ab, unterschätzt jedoch dessen Gefahr. Die Heirat mit der großbürgerlichen Barbara Bruckner trägt zunächst zu seinem künstlerischen Aufstieg bei. Nach dem Reichstagsbrand fürchtet Höfgen jedoch, dass ihm seine kommunistische Vergangenheit zum Verhängnis werden könnte.
Eine ihn verehrende Schauspiel-Kollegin ermöglicht ihm jedoch eine Zukunft in Deutschland (nur hier sieht er der Sprache wegen seine Chance auf eine Karriere) und vermittelt ihm Kontakte in höchste Nazi-Kreise, die ihn – auch wegen seiner meisterhaften Leistung in der Rolle des Mephisto – gönnerhaft vereinnahmen und bis zum Intendanten des Staatstheaters aufsteigen lassen. Dafür nimmt er auch die Trennung von Juliette und dessen Abschiebung in Kauf.
Als Mephisto hat er brilliert, als Hamlet versagt
Doch langsam spürt Höfgen, dass er einem Missverständnis aufgesessen ist. Hatte er als „Mephisto“ noch brilliert, so versagt er als „Hamlet“ künstlerisch und wird vom ignoranten Publikum gleichwohl gefeiert.
Der ursprüngliche Nationalsozialist Hans Miklas fühlt sich von Hitler verraten und sucht bei Höfgen Unterstützung bei seinem Protest, die dieser verweigert. Die Nazis ermorden Miklas. Für seinen Freund Otto Ulrichs kann Höfgen keinen Schutz erwirken – er sei „nur ein Schauspieler“ und solle sich nicht in politische Dinge einmischen. Höfgen erkennt, dass er zu einem „Affen der Macht“ geworden ist, zu einem „Clown zur Zerstreuung der Mörder“.
Das Stück endet abweichend von der Romanvorlage und inspiriert von dessen Verfilmung durch István Szabó mit Klaus Maria Brandauer aus dem Jahr 1981, die nicht zuletzt durch die letzte Szene beeindruckte, bei der Höfgen im Olympiastadion von grellem Scheinwerferlicht verfolgt wird und verzweifelt fragt: „Was wollen die von mir? Ich bin doch nur ein gewöhnlicher Schauspieler.“
Schlüssig auch in Bezug auf den Revue-Charakter endet die Theateraufführung im politischen Kabarett, mit einem sichtlich überforderten Höfgen im Rampenlicht.
Die reichlich verwendeten authentischen Songs der 1920er und 1930er Jahre mit Live-Musik von Bettina Koch und Anton Nissl tragen zur Differenzierung der durch die schrill-schräge Bühnenkostümierung (Ausstattung: Hannah Hamburger) skizzierten Zeitstimmung bei.
Viele Lieder aus der Nazi-Zeit
Es fällt auf, wie viele Lieder der Nazizeit noch heute jeder kennt, von den Zarah-Leander-Hits „Kann denn Liebe Sünde sein“ oder „Davon geht die Welt nicht unter“ bis zum wohl populärsten Stück des Jahres 1930, „Ein Freund, ein guter Freund“, das für den Film „Die Drei von der Tankstelle“ geschrieben wurde. Anderes ist heute weniger geläufig, etwa einer der ersten demonstrativ „schwulen“ Songs: „Bubi, lass uns Freunde sein“.
Die Ambivalenz von ästhetischen Anreizen thematisiert die Aufführung unter anderem auch mit dem Lied „Auf, auf zum Kampf“. Das ursprünglich im Ersten Weltkrieg populäre Soldatenlied wird in zwei Original-Versionen gesungen – umgeschrieben einerseits zum Kampflied der Arbeiterbewegung und einige Jahre später dann für die SA.
Die Qualität der unter der Regie von Kai Frederic Schrickel erarbeiteten Aufführung liegt zweifellos auch in dem engagierten, facettenreichen – und musikalischen – Spiel von Jessica von Wehner, Anja Lemmermann, Marco Litta und Andreas Erfurth. Am stärksten faszinierten in Bensheim gleichwohl Laurenz Wiegand und Martin Radecke mit ihren schillernden Figuren des Hendrik Höfgen und seines Geliebten Juliette.
Nachdrücklicher Applaus und Standing Ovations bekundeten die Anerkennung des Publikums für die große Leistung der freien, von den Schauspielern und Regisseuren Andreas Erfurth und Kai Frederic Schrickel geführten Theatertruppe.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim_artikel,-bensheim-potsdam-theater-mephisto-_arid,2266002.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim.html