Bündnis

"Omas gegen Rechts": Mit dem Putzlappen gegen das Vergessen

Die „Omas gegen Rechts“ Bergstraße säubern Stolpersteine in Bensheim. Jeden zweiten Mittwoch im Monat treffen sich die Frauen, tauschen sich aus und planen Aktionen.

Von 
Anna Meister
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Die Stolpersteine bestehen aus Messing, auf ihnen hatte sich einiges an Schmutz abgelagert. Nun glänzen sie wieder. © Thomas Neu

Bensheim. Unverkennbar – mit bunter Strickmütze, Anstecknadel und einem weißen Schirm in der Hand – wartet Traudel Billig auf ihre Mitstreiterinnen. 2023 hat sie kurz vor den Landtagswahlen gemeinsam mit ihrer Freundin Anja Salg das Bündnis „Omas gegen RechtsBergstraße gegründet. Der Name ist Programm: Seitdem sind die Frauen im Kreis Bergstraße unterwegs, nehmen an Demonstrationen gegen den Rechtsruck im Land teil und bereiten selbst Aktionen vor. So auch am vergangenen Dienstag, als sie mit Spülschwämmen und Reiniger im Gepäck die Stolpersteine in Bensheim wieder zum Glänzen brachten.

Über die "Omas gegen Rechts"

Die „Omas gegen Rechts“ sind eine seit 2017 bestehende parteiunabhängige Bürgerinitiative, die in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Südtirol durch lose organisierte Ortsgruppen in Erscheinung tritt. Sie engagiert sich unter anderem durch Demonstrationen und andere Aktionen gegen Rechtsextremismus und für Toleranz.

Gegründet wurde sie in Wien von der Theologin und Psychotherapeutin Monika Salzer. Die Omas gegen Rechts sind seit 2017 in Österreich als Verein organisiert. Darüber hinaus erfolgt die Organisation der Regionalgruppen ohne institutionelle Anbindung. Vernetzt sind die Gruppen über Soziale Medien. Als Erkennungszeichen bei Demos dienen pinke oder bunte Strickmützen, sogenannte „Pussyhats“. Nach eigenen Angaben sind die Mützen „Zeichen von gewaltlosem Widerstand und Solidarität“. Namensgebung und Gestaltung der Kopfbedeckungen sind Protesten gegen Donald Trump entlehnt.

Die „Omas gegen Rechts“ Bergstraße findet man auch bei Facebook und Instagram. ame

Und das ist wichtiger denn je, findet Billig: „Die Entwicklung, die wir derzeit haben, ist wirklich besorgniserregend. Wir wollen mit unserer Aktion aber nicht nur ein Zeichen gegen rechte Hetze, sondern eines für die Demokratie setzen.“

Dafür legen sich die „Omas“ ins Zeug: Damit die Knie nicht in Mitleidenschaft gezogen werden, haben sich manche extra dicke Polster mitgebracht. Jetzt schrubben sie die Stolpersteine, bis sich deren Messingoberfläche wieder deutlich von den Pflastersteinen um sie herum abhebt. Billig ist sich sicher, dass diese kleine Maßnahmen einen großen Effekt haben kann. Denn nur, was man wahrnimmt, kann zum Nachdenken anregen. Wie viel Schmutz die Gedenksteine angesetzt haben, zeigen die Putzlappen, die nach der Aktion beinahe komplett schwarz sind.

Auf Regen folgt Sonnenschein: Am Dienstag trafen sich die „Omas gegen Rechts“ Bergstraße zum Stolpersteine putzen in Bensheim, wie hier in der Bahnhofsstraße vor dem Hotel Bacchus. © Thomas Neu

Im Internet sind über einen Wikipedia-Eintrag alle Adressen einsehbar, an denen in Bensheim Stolpersteine verlegt wurden. Die klappern die Frauen an diesem Tag ab, begleitet von wechselhaftem Wetter. Die gute Laune vergeht dem Grüppchen, gekommen sind etwa zehn Helferinnen und Helfer, aber nicht.

An einer Adresse wird die Stimmung dann aber etwas eigentümlich, als ein Bewohner zu der Gruppe dazukommt und in missmutigem Ton fragt, ob er weiterhelfen könne. Auf die Erklärung hin, was die „Omas“ hier tun, zuckt er mit den Schultern, blickt noch einmal auf die Stolpersteine zu seinen Füßen und geht.

Zu Anfeindungen sei es bei Aktionen der Gruppe bisher nicht gekommen, erklärt eine Mithelferin. „In meinem Freundeskreis finden viele die Gruppe toll – selbst anschließen tun sich aber leider die wenigsten“, gibt sie zu bedenken. Außerdem, so findet sie, wäre es doch eine schöne Geste, wenn Bewohnerinnen und Bewohner die Stolpersteine vor ihrer Tür säubern und sich dabei möglicherweise noch mit der Geschichte der früheren Bewohner vertraut machen würden.

Etwa 50 Frauen haben sich angeschlossen

Etwa 50 Frauen haben sich dem Bündnis mittlerweile angeschlossen, erklärt Traudel Billig. Jeden zweiten Mittwoch im Monat treffen sie sich um 18.30 Uhr im Büro des Vereins Fabian Salars Erbe in der Neugasse 1 in Bensheim. Auch „Opas“ sind natürlich gerne gesehen, wenn es darum geht, Toleranz und Zivilcourage zu zeigen. Wer mehr über das Bündnis erfahren möchte, findet die „Omas gegen Rechts“ Bergstraße auf Instagram und bei Facebook.

Stolpersteine und ihre Geschichte

  • Am 31. Mai 2011 wurden in Bensheim die ersten Stolpersteine für die jüdischen Opfer der NS-Zeit durch den Aktionskünstler Gunter Demnig gesetzt.
  • Begonnen wurde am Rodensteiner Hof, Darmstädter Straße 5, dem letzten frei gewählten Wohnsitz von Hedwig und Julius Bauer.
  • Gunter Demnig erinnert an die Opfer der NS-Zeit, indem er vor ihrem letzten selbstgewählten Wohnort Gedenktafeln aus Messing ins Trottoir einlässt. Inzwischen liegen Stolpersteine in 1265 Kommunen Deutschlands und in 21 Ländern Europas. Mit den Steinen vor den Häusern soll die Erinnerung an die Menschen lebendig werden, die einst dort wohnten.
  • Weitere Infos gibt es unter www.stolpersteine.eu/start
  • Bei Wikipedia können Interessierte eine Liste aller bisher verlegten Stolpersteine in Bensheim aufrufen. ame

An der Bergstraße gibt es eine ganze Reihe von Bündnissen, Vereinen und Institutionen, die sich für demokratische Werte einsetzen. Eindrucksvoll sehen konnte man dies Anfang 2024 bei den Demonstrationen in Bensheim oder Heppenheim. Auch die „Omas“ waren mit dabei und sind Mitglied im Bündnis „Vielfalt jetzt“, begründet von der Initiative gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit im Kreis Bergstraße. Innerhalb ihrer Gemeinschaft gibt es einen guten Austausch, findet Traudel Billig.

Freuen würden sich die Frauen neben weiteren Mitstreiterinnen auch über Unterstützung, beispielsweise in Form von Spenden. Da die Gruppe kein eingetragener Verein ist, zahlen die Frauen alles, was sie für ihre Aktionen brauchen, aus eigener Tasche.

Neue Stolpersteine werden vor dem Kaufhaus Ganz verlegt

Bald werden zu den Stolpersteinen in Bensheim noch neun weitere hinzukommen: Die Geschichtswerkstatt der Geschwister-Scholl-Schule bringt seit 1999 nicht nur Publikationen hervor, die sich mit der jüngeren Geschichte in der Region auseinandersetzen.

Die Institution war vor zwei Jahren auch treibende Kraft bei der Verlegung von 63 Stolpersteinen im Stadtgebiet. Damals feierte die Schule 150-jähriges Bestehen. Das neueste Werk aus der Geschichtswerkstatt wird am Freitag, 13. September, um 19 Uhr in der GSS präsentiert und befasst sich mit der Aufarbeitung der Geschichte des Kaufhaus Ganz.

Schon am Vortag, am Donnerstag, 12. September, um 18.30 Uhr verlegt die Geschichtswerkstatt vor dem heutigen Kaufhaus Ganz neun Stolpersteine, die an das Schicksal der Familie Jakoby/Schwabacher erinnern.

Die Inhalte der Publikationen sind von den Schülerinnen und Schülern der Leistungskurse Geschichte und mithilfe von Frank Maus und Peter Ströbel, beide Geschichtslehrer und Leiter der Geschichtswerkstatt, erarbeitet worden. Begonnen hatte das Projekt im Jahr 2016. Damals feierte das Kaufhaus Ganz seine Gründung 1936.

An die 80-jährige Geschichte sollten auch ein großes Banner und eine Webseite erinnern, die ein historisches Foto von 1941 zeigten, auf dem ein großes Plakat für die „Leibstandarte SS Adolf Hitler“ warb. Das löste eine Diskussion über die Geschichte des Kaufhauses in Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus aus, die zu einer Einstufung des Kaufhausbesitzers Ernst Ganz als aggressiver Arisierer führte.

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Den Nachfahren von Ernst Ganz und den heutigen Inhabern des Kaufhauses Katjuscha Maschik und Tatjana Steinbrenner war an einer lückenlosen Aufklärung der Vorwürfe gelegen. Sie nahmen Kontakt mit der Geschichtswerkstatt der GSS auf. Aus dem Rechercheauftrag wurde ein Buchprojekt mit mehreren hundert Seiten, dessen Druck in Kooperation mit dem Kaufhaus Ganz durchgeführt und vom Bergsträßer Anzeiger lektoriert und gestaltet wird (wir haben berichtet).

Zum 125-jährigen Jubiläum des Kaufhauses soll das Buch vorliegen. Denn das ist – neben einem differenzierten Bild von Ernst Ganz – eines der Ergebnisse der unabhängigen Recherchen: Das Kaufhaus war keine Neugründung von Ernst Ganz im Jahr 1936, sondern es knüpfte an die Tradition und damit an den Ruf an, die seine Vorbesitzer erarbeitet hatten. Damit kann die Geschichte des Kaufhauses auf das Jahr 1899 zurückgeführt werden.

Für die „Omas gegen Rechts“ erweitert sich ab September also ihre Route um eine weitere Adresse, denn sie haben beschlossen, die Putzaktion zu wiederholen. Damit wollen sie aktiv gegen das Vergessen der Nazi-Verbrechen, gegen die rassistischen und rechtsextremen Parolen der AfD und ihren Sympathisanten vorgehen und sich für den Erhalt der Demokratie stark machen. Für letzteres muss man im Übrigen nicht einmal eine Oma sein.

Info: Auf unserem YouTube-Kanal finden Sie auch ein Video von der Putzaktion: www.youtube.com/@BA_Online – gleiches gilt für Instagram: @bergstraesseranzeiger

Redaktion

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