Parktheater

Lustvolles Spiel mit dem Feuer im Bensheimer Parktheater

Von 
Thomas Tritsch
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Das Renaissancetheater Berlin zeigte am Freitagabend im Parktheater den Einakter „Fräulein Julie“. © Zelinger

Bensheim. Zwei Menschen, eine Szene. Die Rollen sind verteilt. Gleichberechtigung existiert nicht. Der Geschlechterkampf tobt. Was August Strindberg 1888 in seinem naturalistischen Trauerspiel „Fräulein Julie“ – seinem heute meistgespielten Theaterstück – auf die Bühne brachte, ist auch im 21. Jahrhundert kein soziales Museumsstück. Normen, Klassengrenzen und Standesregeln geben noch immer den gesellschaftlichen Takt vor.

Eine junge Gräfin und ihr Diener kommen einander in einer schwedischen Mittsommernacht näher. Sie flirten hemmungslos, schlafen miteinander, entzweien und beschimpfen sich. Trotz aller erotischer Anziehung können sie die traditionellen sozialen Schranken und Konventionen nicht abstreifen. Nach dieser Schande bleibt der höheren Tochter bei Strindberg nichts übrig, als sich umzubringen.

Das 1888 von der Zensur in Schweden verhinderte und erst ein Jahr später in Dänemark uraufgeführte Theaterstück war jetzt in Bensheim zu sehen. Mit rund 50 Gästen war das Gastspiel des Renaissancetheaters Berlin am Freitagabend trotz der zu erwartenden Corona-bedingten Zurückhaltung überaus schwach besucht.

Wie sprungbereite Raubtiere

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Dabei war die Koproduktion mit dem Euro-Studio Landgraf durchaus sehenswert. Denn mit Judith Rosmair und Dominique Horwitz haben zwei starke Künstler auf der Bühne mit Gefühlen gezündelt und virtuos mit dem gesellschaftlichen Feuer gespielt. Die Schauspieler bringen die Vielschichtigkeit und Zerrissenheit der Figuren auf den Punkt, umkreisen sich wie sprungbereite Raubtiere, wenngleich sie wissen, dass der Angriff im eigenen Untergang enden kann.

Regisseur Torsten Fischer, der auch die Textfassung für die Bühnenbearbeitung geschrieben hat, lenkt den Pas de deux seiner Hauptdarsteller in die richtige Richtung. Die Figuren folgen einer unwiderstehlichen Anziehungskraft und stoßen sich dabei, wie die gleichen Pole von Magneten, konsequent und unüberwindbar ab. Die emanzipierte Freidenkerin Julie, die aufgrund ihrer zerrütteten Biografie – vom Vater unterdrückt – im Leben nichts mehr zu verlieren hat, wird von Rosmair mit erotischer Eleganz, provokativer Lust und femininem Stolz ausgestattet, was sich aber im Duell mit dem Diener bald als schützende Fassade herausstellt.

Die vermeintliche Draufgängerin verkörpert die kollabierende Feudalordnung, und im Diener offenbart sich schon die Mentalität der aufsteigenden Arbeiterklasse. Jean ist klug und berechnend, aber aus Versehen mit der frommen Küchenhilfe Kristin verlobt, die ihn erotisch wenig aus der Ecke lockt. Das Werben der glücklosen Julie reizt ihn bis aufs Blut. Er tauge nicht als Spielzeug, warnt er die schöne Dame, der er aber bald die Füße leckt.

Aus dem Flirt wird ein Zweikampf. Die Machtverhältnisse verschieben sich. Die adlige Julie, die am Anfang noch mit der Reitpeitsche Macht und Überlegenheit demonstriert, verführt den zunächst zurückhaltenden, aber dann durch ihre sexuellen Avancen immer mutiger werdenden Domestiken ihres mächtigen Vaters. Der absehbare Liebesakt bringt ihr aber ebenso wenig Befriedigung wie ihm. Sie hat alles aufs Spiel gesetzt und verloren – er sieht in der enttäuschenden Paarung zumindest eine Chance für den Aufstieg.

Beziehungshölle statt Tod

Die literarische Pistole bleibt allerdings stumm. Torsten Fischer hält den in der männlich dominierten Theaterliteratur weit verbreiteten tragischen Tod der weiblichen Heldin nicht mehr für zeitgemäß. Er lässt seine Figuren lieber in der Beziehungshölle weiter schmoren und ohne Aussicht auf Entspannung umeinander schmerzvoll kreisen.

Die Schauspieler sind ständig in Bewegung, auch physisch. Vor dem kühlen Bühnenraum spielt sich das spannungsgeladene Drama ab. Die Ausstatter Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos haben zwei gewaltige Wände mit cremefarbenem Schleiflackanstrich und Zierleisten über einer spiegelnden Edelstahlverkleidung entworfen. Hinter einer Tür wird die Küche der Hilfskraft Kristin angedeutet, die Rolle wird bei Fischer nur indirekt besetzt, zu sehen ist die Figur nicht.

Atmosphärisch aufgeladen wird die noble Kulisse von einer präzisen Lichtgestaltung (Gerhard Littau) mit eindrucksvoll tanzenden Doppelprojektionen an der Hinterbühne. Im weiten Bühnenraum, wo die räumliche Distanz der verzweifelt Liebenden die Schluchten der Zweiklassengesellschaft repräsentiert, können nur die Schatten miteinander tanzen und sich berühren.

Orientierungslose Femme fatale

Dominique Horwitz’ differenzierte Körpersprache offenbart seine Überwältigung von Julies sinnlicher Ausstrahlung, die er aber in ihrer Komplexität und Offensivität überhaupt nicht einschätzen kann. Judith Rosmair changiert zwischen einer verwöhnten und aufreizenden, aber orientierungslosen Femme Fatale und dem verletzlichen, nach Liebe gierenden Mädchen, dass die eigene Machtposition als perspektivischen Notausgang aus einer beengten Biografie nutzen will.

Torsten Fischer hat Strindbergs menschliche Prototypen in ihrer Komplexität und Tiefe gezeigt und so ein existenzielles Kammerspiel aus Ängsten, Träumen und erotischen Fantasien geschaffen, das in einer guten Stunde (ohne Pause) zu Ende erzählt ist.

Durch die ständige Bewegung auf den verschiedenen Bühnenebenen erforderte dieser flirrend aufgeladene Zweipersonendialog aber auch eine hohe Konzentration von Seiten des Zuschauers, was ohne das fast durchgängige Gegeige aus dem Off aber weitaus müheloser zu bewältigen gewesen wäre. Die gedimmten elegischen Klänge sollten wahrscheinlich atmosphärisch dienlich sein, waren in ihrer unnachgiebigen Penetranz aber so ärgerlich, dass man am liebsten den Stecker gezogen hätte.

Gewonnen hat die Inszenierung durch eine feinfühlige Figurenzeichnung, das aufgeladene Spiel der beiden Künstler und eine wache Dialogregie mit feinem Gespür für Zwischentöne und dramaturgische Steigerungen. Torsten Fischer hat Strindbergs Vorlage nicht nur ernst genommen, sondern auch in ihrer Essenz konzentriert.

Freier Autor

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