Geschichtswerkstatt Jakob Kindinger

Konzert mit Widerstandsliedern in Auerbach

Mucksmäuschenstill war es im Raum, als die beiden Künstler zumeist Lieder aus dem europäischen, antifaschistischen Widerstand während des Zweiten Weltkriegs eindringlich spielten und sangen.

Von 
Gerlinde Scharf
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Bernd Köhler (rechts) und Joachim Romeis spielten am Freitag auf Einladung der Geschichtswerkstatt Jakob Kindinger in der ehemaligen Auerbacher Synagoge alte und neuere Widerstandslieder. © Thomas Neu

Auerbach. „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten“, lautet ein Zitat von Helmut Kohl, das heute aktueller ist denn je und uns ermahnen soll, aus der Vergangenheit Lehren zu ziehen. Eine Herausforderung, die – wie sich gerade in jüngster Zeit angesichts russischer Bomben auf die Ukraine und des immer stärker umgreifenden Rassismus, Antisemitismus und neuen Rechtsextremismus zeigt – Wunschdenken bleibt.

Erschossen am 24. März 1945

Umso wichtiger ist es gerade in schwierigen Zeiten, diejenigen nicht zu vergessen, die während der NS-Zeit Verbrechen zum Opfer fielen. Die Geschichtswerkstatt Jakob Kindinger gedenkt deshalb jährlich mit einer kulturellen Veranstaltung der 14 Gefangenen, die am 24. März 1945 von einem Sonderkommando der Gestapo mit Maschinengewehren zum Kirchberg gehetzt wurden. Zwölf Menschen wurden dort erschossen, Johann Goral und Alex Romanow gelang die Flucht.

In diesem Jahr veranstaltete die Geschichtswerkstatt in der ehemaligen Synagoge in Auerbach ein außergewöhnliches Konzert mit den charismatischen Musikern Joachim Romeis (Geige) und Bernd Köhler (Gitarre und Gesang) sowie Textvertonungen, Gedichten und Widerstandsliedern von Bertolt Brecht bis Konstantin Wecker („Sag nein“).

Den Titelsong des außergewöhnlichen Konzerts, „S’ brennt“, haben Romeis und Köhler 2015, als Flüchtlingsheime in Deutschland brannten, wiederentdeckt und in ihr Programm aufgenommen. Das Lied, das während der NS-Zeit zur inoffiziellen Hymne jüdischer Widerstandskämpfer wurde, schrieb der 1942 im Krakauer Ghetto ermordete jiddische Dichter Mordechai Gebirtig, der zahlreiche weitere sozialkritische Texte verfasste, die er den kleinen Leuten widmete.

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„Es war Mord – es gab kein Gerichtsverfahren, keine Urteilsverkündung. Untere Beamte verübten Selbstjustiz“, so Peter E. Kalb, der zu Beginn der musikalischen Erinnerung die Namen der Ermordeten vom Kirchberg vortrug. Es sind Rosa Bertram, Lina Bechstein, Erich Salomon, Jakob Gramlich, Gretel Maraldo, Walter Hangen, Frederik Roolker, Eugene Dumas und Lothaire Delaunay. Drei weitere Opfer konnten nicht identifiziert werden.

Mucksmäuschenstill war es im Raum, als die beiden Künstler zumeist Lieder aus dem europäischen, antifaschistischen Widerstand während des Zweiten Weltkriegs und einige eigene Kompositionen derart eindringlich spielten und sangen, dass den Zuhörern der Atem stockte.

Darunter war auch „Das Lied von der Moldau“ nach einem Gedicht von Brecht, das er 1943 im Exil als Ermutigung des baldigen Endes der nationalsozialistischen Besatzung an ein geschundenes Land geschrieben und das Hanns Eisler später vertont hat. „Sie gaben mir einen Revolver. Sie sagten. Schieß auf unsern Feind! Und als ich auf ihren Feind schoß, da war mein Bruder gemeint“, heißt es in einem anderen Brechtschen Lied „Vom SA-Mann“, das – so Bernd Köhler – heute noch genauso aktuell ist wie Ende der 1930er Jahre.

Heinz Drach, der nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten in die Sowjetunion emigrierte, hat den Text zu dem Arbeiterlied „Mein Vater wird gesucht“ geschrieben, in dem ein Kind in einfachen Worten berichtet, wie der Vater durch die SA verfolgt und schließlich erschossen wird.

Die Beklemmung der Besucher war deutlich zu spüren, wenn Joachim Romeis seiner Geige schrille, kratzende Töne entlockte und Bernd Köhler mit kraftvoller Stimme das schier unmögliche Leid der KZ-Häftlinge, der Verfolgten und später Ermordeten, aber auch den festen Willen unerschrockener Widerstandskämpfer in Wort und Ton lebendig werden ließ.

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Beim Lied der „Moorsoldaten“, das zwei Häftlinge 1933 in einem KZ geschrieben haben und das mittlerweile weltweit in viele Sprachen übersetzt wurde, aber auch bei einem der bekanntesten Volkslieder, „Die Gedanken sind frei“, das der Sehnsucht nach Freiheit und Unabhängigkeit Ausdruck verleiht und das aktuell schon von Rechtsextremen bei deren Treffen missbraucht wurde, sangen die Zuhörer leise mit.

Ebenso bei „Donna Donna“, einem 1940 geschriebenen jiddischen Lied über den Holocaust, das möglicherweise der in Auschwitz ermordete Schriftsteller Jizchak Katzenelson verfasst hat.

Mit dem Friedenslied von Karat, „Der blaue Planet“, mit mehreren Zugaben, heftigem Applaus und den berührenden Abschiedsworten von Peter E. Kalb, „trotz alledem gehe ich heute erfrischt und gestärkt nach Hause“, verabschiedeten sich die Musiker am Freitagabend von ihrem Bensheimer Publikum in der alten Synagoge.

Freie Autorin Seit vielen Jahren "im Geschäft", zunächst als Redakteurin beim "Darmstädter Echo", dann als freie Mitarbeiterin beim Bergsträßer Anzeiger und Südhessen Morgen. Spezialgebiet: Gerichtsreportagen; ansonsten alles was in einer Lokalredaktion anfällt: Vereine, kulturelle Veranstaltungen, Porträts. Mich interessieren Menschen und wie sie "ticken", woher sie kommen, was sie erreiche haben - oder auch nicht-, wohin sie wollen, ihre Vorlieben, Erfolge, Misserfolge, Wünschte etc.

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