Bensheim. Der seit 2010 in Bensheim lebende Organist Wolfgang Portugall gehört schon lange zu den präsentesten und anregendsten künstlerischen Protagonisten in der Michaelskirche. Im Vorjahr etwa hatte er in mehreren musikalischen Vespern an das sonst kaum gewürdigte Orgelschaffen des damaligen Jubilars Camille Saint-Saens erinnert.
Beim vierten Konzert der Bensheimer Orgelwochen konnte der unter anderem an der Mainzer Musikhochschule lehrende Rheinländer jetzt endlich sein überfälliges Debüt in dieser Konzertreihe feiern. Von Frühbarock bis Spätromantik erstreckte sich sein farbiges Programm, das die rund 50 Besucher auch mit allerlei unkonventionellem Repertoire überraschte.
Portugalls besondere Vorliebe für die sogenannte „Alte Musik“ konnte man dabei einmal mehr exemplarisch bestätigt finden. Dietrich Buxtehudes großer Einfluss namentlich auf Johann Sebastian Bach zeigte sich markant in den vier geradezu klassisch ausgearbeiteten und wunderbar differenziert gespielten Fassungen des Chorals „Nun lob mein Seel den Herren“ BuxWV 212 bis 215.
Die sechste Toccata aus Georg Muffats ebenfalls wegweisender Sammlung „Apparatus musico-organisticus“ von 1690 erschien dank erfrischend vitalem Zugriff als herausragend klangprächtiges Gattungsjuwel. Bachs leuchtkräftiger Es-Dur-Satz „Schmücke dich, o liebe Seele“ BWV 654 aus den späten Leipziger Chorälen rief die berühmten Schumann-Worte an Mendelssohn ins Gedächtnis: „Um den cantus firmus hingen vergoldete Blättergewinde, und eine Seligkeit war dareingegossen, dass Du mir selbst gestandest, wenn das Leben Dir Hoffnung und Glaube genommen, so würde Dir dieser einzige Choral alles von neuem bringen.“
Treffsicheres Gespür verrät Portugall auch immer wieder bei der Auswahl von für den Orgelvortrag geeigneten Klavierwerken. In Sachen Beethoven mag diese Repertoire-Erweiterung natürlich erst recht willkommen sein, da der Meister selbst überhaupt keine originale Orgelmusik hinterlassen hat. Wenn dann noch ein Satz wie das vom Organisten dargebotene „Largo appassionato“ D-Dur aus der 1795 entstandenen A-Dur-Sonate opus 2/2 eine passend choralnahe Atmosphäre verströmt, so ist die Überraschung perfekt. Beethoven auf der Orgel: ein reizvoll exotisches Terrain mit spannenden Perspektiven.
Deutlich orgelgeneigter war dagegen der durch mehrere brillante Kompositionen für die „Königin der Instrumente“ ausgewiesene Tastenromantiker Franz Liszt. Portugalls farbsensible Version des vierten „Consolation“-Klavierstücks Des-Dur (1849) klang jedenfalls so stimmig, dass man sie durchaus für ein echtes Orgelwerk hätte halten können.
César Francks fast halbstündige „Grande piece symphonique“ von 1862 unterstrich zum Abschluss nicht nur die souveräne spieltechnische Virtuosität des Organisten, sondern bestätigte auch die exzellente Eignung der Ott-Orgel für derart üppig angelegtes Romantikrepertoire.
Portugalls klare Artikulation und plastische Linienführung machten dieses auf größeren Orgeln bisweilen dem bloßen Klangrausch geopferte Pionierwerk der französischen Orgelsinfonik so durchhörbar wie selten zuvor.
Das zarte kleine Des-Dur-Andante aus Francks später Miniaturenkollektion „L’Organiste“ folgte nach langem Beifall als fein abrundende Zugabe.
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