Europawahl

Europäische Ideen auf dem Bensheimer Marktplatz

Die SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley war erstmals in Bensheim zu Besuch. Dabei war nicht nur der „Schorschblick“ ein Thema.

Von 
Thomas Tritsch
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Die Spitzenkandidatin der SPD zur Europawahl Katarina Barley (2. von rechts) war am Samstag zu Gast in Bensheim. Bei ihrem Rundgang durch die Innenstadt wurde sie vom neuen Hessischen Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori und der SPD-Generalsekretärin Josefine Koebe (rechts) begleitet. Auch der Unterbezirksvorsitzende Marius Schmidt und weitere Kommunalpolitiker nahmen an dem Spaziergang im Kontext des Europawahlkampfs teil. © Thomas Neu

Bensheim. Schon zur vergangenen Europawahl war sie angetreten. Jetzt zieht Katarina Barley erneut als Spitzenkandidatin der SPD in den Wahlkampf. Vor ihrer Arbeit im EU-Parlament war sie unter anderem Justizministerin in Berlin. Als Vizepräsidentin des EU-Parlaments ist sie automatisch Mitglied des Präsidiums, das über finanzielle, organisatorische und administrative Fragen entscheidet.

Politisch hatte sich Barley in den letzten Jahren wiederholt für ein entschlosseneres Vorgehen gegen Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union eingesetzt. Immer wieder hat sie einen harten Kurs gegen den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban eingefordert, der mit einer rechtsnationalen Regierung gegen die rechtsstaatlichen Fundamente und die Grundwerte der EU agiere.

Persönlich getroffen habe sie ihn noch immer nicht, sagte die ehemalige Familienministerin und frühere SPD-Generalsekretärin bei ihrem ersten Besuch in Bensheim. Bislang habe man ausschließlich über Kommentare, Reden und Medien kommuniziert. Das dürfte sich bald ändern: von Juli bis Dezember 2024 soll Ungarn die Ratspräsidentschaft übernehmen. Der Vorsitz wechselt alle sechs Monate. Keiner der 27 Mitgliedsstaaten soll übergangen werden. Katarina Barley geht davon aus, dass sie während dieser Zeit mit Orban zusammentreffen wird. Vorfreude sieht anders aus.

Kaweh Mansoori und Josefine Koebe begleiten durch Bensheim

Entspannt und bürgernah gab sich die 55-Jährige am Samstag auf dem belebten Marktplatz. Die Stadt war die erste Etappe auf einer längeren Tagestour, die unter anderen auch nach Hanau führte und in Darmstadt endete. Bei ihrem Rundgang durch die Innenstadt wurde sie vom neuen Hessischen Wirtschaftsminister Kaweh Mansoori und der SPD-Generalsekretärin Josefine Koebe aus Bensheim begleitet.

Auch der Unterbezirksvorsitzende Marius Schmidt und weitere Kommunalpolitiker nahmen an dem kurzen Spaziergang im Kontext des Europawahlkampfs teil. Auf der Delegiertenkonferenz der SPD Ende Januar in Berlin wurde Barley mit 98,66 Prozent der Stimmen zur Spitzenkandidatin gewählt. Die Tochter eines britischen Vaters und einer deutschen Mutter sieht sich als Europäerin für Europa.

Dass sie sich auch für regionale Themen interessiert, offenbarte sich an einem Verkaufsstand für heimische Kulinarik. Die Frau mit Wahlkreis und Wohnsitz in Trier kennt nicht nur die Arbeit der (Mosel)Winzer, sondern nahm auch ein Päckchen mit Odenwälder Kochkäse und Handkäse mit. „Der hält sich“, so der Verkäufer über die feste Variante der hiesigen Spezialität. Auch ihr Ehemann, der niederländische Basketballtrainer Marco van den Berg, genoss das Bensheimer Marktfrühstück auf dem Wochenmarkt. Die europäische Idee lebt auch im Privaten.

Tourismus, Stadtentwicklung und Handel

Vor der Kulisse der Stadtkirche ließ sich die Politikerin von SPD-Magistratsmitglied Ralph Stühling die Debatte um den „Schorschblick“ erklären. Die Themen: Tourismus, Stadtentwicklung und Handel, aber auch soziale Aspekte wie bezahlbare Wohnungen und faire Bezahlung. Zwar sei das Thema Wohnen keine originäre EU-Baustelle, doch angesichts des zunehmenden Wohnraummangels plädierte Barley in Bensheim für ein härteres Vorgehen bei Verstößen auf Portalen wie Airbnb. Hier geht es um das sogenannte Zweckentfremdungsverbot in Bezug auf die gewerbliche Vermietung von Ferienwohnungen. Die Nutzung von Mietwohnungen als Ferienunterkünfte ist europaweit ein Problem.

Den Mindestlohn dagegen bewertet sie als sozialdemokratischen Erfolg, am Ende müsse jeder Bürger eines EU-Mitgliedsstaats von einem Vollzeitjob leben können. Die Arbeits- und Lebensbedingungen aller Arbeitnehmer in der EU sollen laut Barley verbessert werden und erkennbare Fortschritte in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht bewirken.

Laut einer EU-Mindestlohnrichtlinie aus dem Jahr 2022 sollen Staaten sicherstellen, dass für mehr als 80 Prozent der Beschäftigten Tarifverträge gelten. In Deutschland sind es gerade mal gut 50 Prozent. „Das muss besser werden“, so die Kandidatin. Es sei nun wichtig, das Einkommensgefälle zwischen den EU-Ländern durch angemessene Mindestlöhne zu verringern und gute Standards festzuschreiben.

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Dennoch sei Europa weitaus mehr als eine Wirtschaftsunion. Die Souveränität des einzelnen Staats müsse zu Gunsten der Gemeinschaft zurückgestellt sein, dies sei ein elementares Prinzip der Union. Die Wahl am 9. Juni sei auch in dieser Hinsicht eine Richtungsentscheidung. Ein Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union sei Wahnsinn, findet Barley, und meint damit die Forderungen der AfD. Sie selbst stehe für ein progressives, erneuertes Europa auf der Grundlage eines demokratischen Konsenses. Im Europaparlament würden dafür die zentralen Weichen gestellt – als Gegengewicht zu den nationalen und rechtsgerichteten Staaten. Dazu gehöre auch die Einigung auf ein neues europaisches Asylsystem.

Mitten in der Menschenmenge stellte sich auch in Bensheim die Frage nach der Sicherheit der Politiker. Erst vor wenigen Tagen wurde auch ein SPD-Wahlplakat mit dem Bild von Olaf Scholz und Katarina Barley für die Europawahl in Berlin Tempelhof mit „AfD“ überschmiert. Nach der Attacke auf den sächsischen Europapolitiker Matthias Ecke hat eine Diskussion über Aggressivität im Wahlkampf begonnen.

Die Europapolitikerin stellt eine zunehmende Enthemmung fest, allerdings habe es immer schon Übergriffe auf Politiker gegeben. Beispielhaft nennt sie Oskar Lafontaine und Wolfgang Schäuble. Auf der Straße sei die Stimmung – im Gegensatz zum Netz – aber überwiegend friedlich und wertschätzend. „Eine hundertprozentige Sicherheit kann es niemals geben“, betont sie. Ihr Verhalten habe sie nicht verändert. Der Dialog mit dem Bürger vor Ort sei weiterhin richtig und wichtig. Die Polizei sei bei öffentlichen Veranstaltungen aber spürbar aufmerksamer geworden.

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