Bensheim. Im ausverkauften PiPaPo-Theater gastierte am Samstagabend die Band Jazz;it. Das Bensheimer Quintett spielte Standards und Eigenkompositionen. Das Spektrum reichte von Cannonball Adderley über Nils Landgren bis Thelonious Monk und Herbie Hancock. Die Einnahmen gehen an den Verein Frauenhaus Bergstraße, der zum zweiten Mal ein solches Benefizkonzert organisiert hatte. Das Geld wird in den laufenden Betrieb der Einrichtung fließen, die nach wie vor in einer großen Sanierungsphase steckt. Der Trägerverein ist für die gesamte Geschäftsführung zuständig.
Beim Jazzkonzert war das Team nicht nur Gastgeber, sondern auch für den Service verantwortlich. Die im Oktober wiedergewählte Vorsitzende Martina Evertz dankte allen Helfern und Gästen für die gelungene Veranstaltung, die sich – wie im letzten Jahr – positiv auf die Vereinskasse auswirken wird. Denn neben öffentlichen Mitteln durch Zuwendungen von Land und Kreis (sogenannte kommunale Landesmittel) ist der 1986 gegründete Verein weiterhin auf Spenden angewiesen, so Evertz. Allein rund 40 000 Euro sind jedes Jahr für Betriebs- und Personalkosten fällig.
Vertrauliches Angebot
Die Kosten für die angedockte Beratungs- und Interventionsstelle „Gewalt gegen Frauen“ sind hier nicht eingerechnet. Dieses kostenfreie und vertrauliche Angebot wird ausschließlich über Landesgelder finanziert. Daneben leistet der Verein einen großen Beitrag durch Eigenmittel. Durch Mehreinnahmen über zugeordnete Bußgelder hatte sich die Kassenlage zuletzt spürbar verbessert, auch das Schlager-Benefizkonzert im vergangenen Jahr hatte sich als erfolgreiches Kulturprojekt erwiesen.
Grund genug, mit einem weiteren musikalischen Event Einnahmen zu generieren und gleichzeitig die Bekanntheit von Haus und Verein in der öffentlichen Wahrnehmung zu stärken – und damit die Gesellschaft für ein wichtiges Thema zu sensibilisieren.
Seit der Pandemie haben sich die Meldungen bezüglich häuslicher Gewalt bei der Interventionsstelle in etwa verdoppelt, teilte Martina Evertz in der Konzertpause mit. Corona und die damit verbundenen Lockdowns mit wachsenden sozialen Distanzen und häuslicher Isolation hatten das Problem noch verschärft. Seit Mitte 2020 haben die Anfragen an das Frauenhaus und die Beratungs- und Interventionsstelle erkennbar zugenommen. 2022 wurden 114 Frauen und vier Männer in Problemsituationen individuell beraten.
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„Nur jede zehnte Frau ist einverstanden, dass die Polizei ihren Fall überhaupt an uns weiterleitet“, so die Vorsitzende. Entsprechend hoch ist die Dunkelziffer. Das Frauenhaus selbst ist ein Zufluchtsort für Betroffene mit ihren Kindern. Hier finden sie Sicherheit und Unterstützung. Aufgrund der Sanierung, die bis Ende des Jahres abgeschlossen sein soll, können seit einiger Zeit nur acht der elf Zimmer genutzt werden. Das Jazzkonzert bot einen lockeren Rahmen für ein ernstes Thema. Die Musiker haben es verstanden, Klassiker und weniger bekannte Songs gefühlvoll und leidenschaftlich zu interpretieren und dabei einen kurzen Draht zum Publikum zu pflegen, das im PiPaPo-Keller von Beginn an – nicht nur zwangsläufig aus räumlicher Perspektive – nah am Bühnengeschehen war.
Stücke wie „Blue Bossa“ von Kenny Dorham oder Herbie Hancocks „Watermelon Man“ von dessen 1962er Debutalbum „Takin’ Off“ offenbarten einen warmen Sound und groovende Statur, die von Robert Schells E-Bass und der geschmeidigen Gitarre von Raimund Griegoßies getragen wurden. Neben dem minimalistisch agierenden Drummer Thomas Roh und dem solistisch überzeugenden Albert Birnstengel an Tenor- und Altsaxophon wird die Band von Mastermind Frank Hanser (Trompete und Flügelhorn) angeführt. Er hat den Abend auch moderiert und einige Informationen zu den Titeln vermittelt.
So auch zu einem Musiker, der auf deutschen Bühnen nicht allzu häufig vorkommt: Der US-amerikanische Jazzgitarrist Kenneth Earl „Kenny“ Burrell hat mit Größen wie John Coltrane, Benny Goodman, Bill Evans und Stan Getz gespielt und war später überwiegend als Studiomusiker unterwegs. Raimund Griegoßies hat Burrell für seine Band entdeckt: In Bensheim genoss das Publikum den Song „Chitlins con Carne“, der mit fleischigen Bossa-Rhythmen und gefühlvoll inszenierten Blue-Note-Düften daherkam. Aber auch ewige Klassiker wie „Blue Monk“ und das eingängige „Doxy“ von Sax-Gott Sonny Rollins mit seinem markanten Rhythmus-Schema bewältigte die Band mit viel Spielfreude und technischem Verständnis für die oftmals komplexen Texturen der Originale.
Mit „Cantaloupe Island“, „Straight, No Chaser“ und „Autumn Leaves“ blieb die Formation im PiPaPo dem Jazz der 50er und 60er Jahre treu. Noch weiter zurück, nämlich in die 30er, reicht der Song „Happy Feet“ aus dem Film „King Of Jazz“, den die Musiker trotz einer eher modernen Instrumentierung live sehr authentisch und sensibel intoniert haben. Der „Work Song“ ist der wohl bekannteste Song von Trompeter Nat Adderley, den Cannonballs Bruder mit Bezug auf eine Gruppe von Häftlingen vor dem Haus seiner Familie komponierte, die er als Kind beobachtet hatte.
Auch hier pendelte sich Jazz;it flott auf das nötige funkige Blues-Feeling ein, das diesen Standard auszeichnet. „Midnight Blue“ von 1963 gilt als eine der aufregendsten Aufnahmen von Kenny Burrell, die mit viel Soul und softer lateinamerikanischer Färbung betört. Unterm Strich ein kurzweiliges Konzert mit süffigen Sounds und unprätentiösen Musikern vor einem geneigten bis – in Einzelfällen – auch leicht berauschten Publikum. Guter Zweck, solide Mittel.
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