Haushalt

Kommen auf die Bensheimer Steuererhöhungen zu?

Die Fraktionen geben eine Stellungnahme zur vom Magistrat der Stadt verhängten Haushaltssperre.

Von 
Anna Meister
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Der Marktplatz in Bensheim. © Thomas Neu

Bensheim. Ein erheblicher und in diesem Ausmaß nicht vorhersehbarer Rückgang bei den geplanten Gewerbesteuereinnahmen hat zu einer drastischen Maßnahme geführt: der Magistrat der Stadt Bensheim hat vergangene Woche mit sofortiger Wirkung eine Haushaltssperre erlassen. Ursprünglich lag der prognostizierte Fehlbedarf bei 12,5 Millionen Euro. Nun müssen von voraussichtlich 42,7 Millionen Euro ausgegangen werden (wir haben berichtet).

Auf Anfrage der BA-Redaktion geben die Fraktionen der Bensheimer Stadtverordnetenversammlung eine erste Stellungnahme darüber, wie sich die Haushaltssperre auf geplante Projekte – etwa die Marktplatzgestaltung – auswirkt und wie es in der kommenden Monaten weitergehen könnte.

Koalition: Schmerzhafte Einschnitte nicht ausgeschlossen

Der angekündigte Einbruch bei den Einnahmen aus der Gewerbesteuer ist dramatisch. Das Ausmaß überrascht, das Geld wird in der Stadtkasse für geplante Ausgaben fehlen und stellt die Stadt deshalb vor große Herausforderungen, erklärt Tobias Heinz (CDU) stellvertretend für die Koalition. Bereits den Fehlbetrag in Höhe von 12,5 Millionen Euro, der im Etat für das laufende Jahr ausgewiesen war, haben die Fraktionen von CDU, SPD und FDP für zu hoch gehalten. Deshalb forderten sie Heinz zufolge eine Überprüfung bestehender Strukturen und wirksame Sparmaßnahmen, um die Ausgaben mit den Einnahmen decken zu können.

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„Die nun zusätzlich fehlenden Einnahmen aus der Gewebesteuer in zweistelliger Millionenhöhe müssen nach Meinung der Koalitionsfraktionen jedem zeigen, dass Maßnahmen unvermeidbar sind.“ CDU, SPD und FDP erwarten jetzt von Bürgermeisterin Christine Klein, die auch Finanzdezernentin ist, gemeinsam mit dem Magistrat einen Weg zur Lösung dieser Situation aufzuzeigen. Neben dem erforderlichen Nachtrag zum aktuellen Haushaltsplan wird es auch auf die Inhalte eines sogenannten Haushaltssicherungskonzeptes ankommen. Hierbei dürfe eine Erhöhung der Grundsteuer nicht die erste Maßnahme sein, sondern müssten zunächst andere Schritte vorgeschlagen und umgesetzt werden.

Ihre Mitarbeit bieten die Koalitionsfraktionen hierbei ausdrücklich an, heißt es weiter in der Stellungnahme. Gleichzeitig warnen sie vor etwaigen Schnellschüssen und voreiligen Kurzschlußhandlungen. Da erst wenig bekannt sei, müssten weitere Informationen abgewartet und über die Situation in den städtischen Gremien gemeinsam beraten werden. Für Aussagen zu konkreten Folgen sei es zu früh.

Klar sei, dass bei Vorhaben das Wort „wünschenswert“ durch „finanzierbar“ abgelöst werde. Grundsätzlich stehe alles auf dem Prüfstand – und ehrlicherweise könnten schmerzhafte Einschnitte nicht ausgeschlossen werden. Genauere Angaben, um was es sich dabei handeln könnte, macht die Koalition bisher nicht.

Grüne: Neue Einnahmequellen müssen generiert werden

„Es besteht ein erheblicher Klärungsbedarf“, erklärt der stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Jochen Kredel. Am 27. Juni seien die Stadtverordneten per Mail erstmals von der Stadt über die massiven Steuerausfälle informiert worden, die Fraktionsvorsitzenden vorab mündlich zwei Tage zuvor. „Die genauen Ursachen unterliegen dem Steuergeheimnis und bleiben uns daher verborgen, insbesondere auch, ob dies ein einmaliges Ereignis ist oder Wiederkehr droht.“

Vorab sei laut Kredel sicher, dass absolut kein Geld für nicht unbedingt notwendige Ausgaben vorhanden ist. „Das Marktplatzprojekt sollte so lange auf Eis liegen, bis die Finanzen eine dann zu bestimmende Realisierung möglich erscheinen lässt. Natürlich muss an neue Einnahmequellen gedacht werden, die Gemeinde Heidenrod beispielsweise hat ihren höchstdefizitären Haushalt mit Windkraft saniert“, wirft er als Idee in den Raum.

VuA: Summe sprengt Vorstellungskraft auf Ausgleich

„Wir warnten bei bisherigen Haushaltsberatungen vergeblich, die Stadt Bensheim lebe mit ihrer Ausgabenpolitik auf zu großem Fuß. Trotz schwindelerregender Verschuldung von rund 54 Millionen Euro gab und gibt Bensheim mehr aus, als es einnimmt“, beklagt Rolf Kahnt, Fraktionsvorsitzender von VuA (Vernunft und Augenmaß).

Konnten in der Vergangenheit regelmäßige Fehlbedarfe zwar noch durch Rücklagen ausgeglichen werden, so sprengen 42,7 Millionen Euro Fehlbedarf im Ergebnishaushalt jegliche Vorstellungskraft auf finanziellen Ausgleich. Mit verfügter Haushaltssperre läute der Magistrat nun die Alarmglocken, so Kahnt. „In Konsequenz heißt das: jetzt kommt es für Bensheims Steuerzahler knüppeldick.“

Die Mindereinnahmen mögen einer schwierigen Wirtschaftslage geschuldet sein. „Geklärt werden muss, ob sich der Magistrat nicht früher mit Gewerbesteuerzahlenden hätte verständigen müssen, damit dramatische Steuerausfälle als nicht vom Himmel gefallen interpretiert werden“, fordert Kahnt.

Er kritisiert in diesem Zuge die überzogene Anspruchshaltung des Bensheimer Haushaltes geknüpft an parteipolitische Präferenzen, bauliche Vorhaben mit inflationären Kostensteigerungen, Stellenneubesetzungen oder freiwillige Leistungen. Finanziell zu erfüllende Verpflichtungen und die verfügte Unterbringung von Flüchtlingen durch Land und Bund verschärften Bensheims katastrophale Haushaltssituation.

„Erhöhung der Grundsteuer B muss verhindert werden“

Bürgermeisterin Christine Klein habe die Dramatik erkannt und rufe zu geschlossenem Handeln aller Fraktionen auf. Aus Sicht der Fraktion VuA heißt das, dass unter anderem auf Großvorhaben verzichtet werden muss. Dazu zählen der Realisierungswettbewerb für den Marktplatz wie auch dessen Neugestaltung. Wolle die Stadt eine vernünftige Haushaltskonsolidierung betreiben, wird sie sparen und verzichten müssen, so Kahnt. Um die Stadtkasse zu füllen, könnte er sich den Verkauf städtischer Gebäude und Grundstücke, wie das seit Jahrzehnten brachliegende Hoffartgelände, vorstellen.

Abschließend fordert er: „Beim Nachtragshaushalt ist aus unserer Sicht dringend eine weitere Erhöhung der Grundsteuer B zu verhindern. Die von Bürgermeisterin Klein nun geforderte Geschlossenheit bei der Haushaltskonsolidierung wird nur dann erfolgreich sein, wenn parteipolitische Präferenzen aufgegeben werden.“

BfB: Magistrat hat richtig gehandelt

„Nach diesem noch nie dagewesen großen Einbruch bei den Einnahmen aus der Gewerbesteuer einschließlich Rückzahlung von Gewerbesteuern hat der Magistrat mit dem Erlaß einer Haushaltssperre richtig reagiert. Als BfB fordern wir einen Nachtragshaushalt für 2024, um möglichst viele Ausgaben zu überprüfen, zu streichen, zu reduzieren oder zu verschieben. Als nächstes ist die Vorlage eines Haushaltskonsolidierungskonzeptes über mehrere Jahre erforderlich, dass diesen Namen verdient“, äußert sich Fraktionsvorsitzender Franz Apfel.

Auch die BfB lehnt die Erhöhung der Grundsteuer B ab und signalisiert Willen zur Zusammenarbeit. „Die BfB hatte zahlreiche Anträge zur Haushaltskonsolidierung vorgelegt, die damals von der Kolalition weitestgehend abgelehnt wurden. Wir sind bereit, diese und weitere Anträge erneut mit allen Fraktionen ernsthaft zu diskutieren“, so Apfel. Als erste Maßnahme fordert er die Koalition auf, von ihrer „politischen Entscheidung“ hinsichtlich der neuen Fehlheimer Kita – dem Anschluss an das Wärmenetz – abzuweichen (wir haben berichtet) und so mittelfristig sechsstellige Summen einsparen zu können.

Außerdem fordert die Fraktion den Kreis Bergstraße zum Sparen auf, damit es die kommenden Jahre nicht zu einer Erhöhung der Kreis- und Schulumlage kommt.

Für solche Fälle braucht es ein „Frühwarnsystem“

Apfel schlägt die Vertagung des Realisierungswettbewerbs für den Marktplatz der Zukunft vor. „Der Realisierungswettbewerb würde eine gut sechsstellige Summe kosten und das Ergebnis wäre dann aus Kostengründen mit Gebäuden gar nicht umsetzbar. Wir hoffen, dass es mit der Stadtbibliothek weitergehen kann. Dazu bedarf es einer umfassenden Betrachtungsweise im Nachtragshaushalt.“

Weiter spricht er für die BfB: „Wir erwarten, dass in Zukunft das Team Steuerungsunterstützung die Mitteilungen der wenigen großen Firmen in Bensheim, die am Aktienmarkt gelistet sind, verfolgt, damit Gewerbesteuerausfälle in dieser Größenordnung nicht aus heiterem Himmel kommen. Hier muß ein Frühwarnsystem aufgebaut werden. Das gleiche gilt für den direkten Kontakt der Stadtverwaltung mit den größeren Gewerbesteuerzahlern.“

Für ein Haushalskonsolidierungskonzept hat die Fraktion viele Vorschläge: Sie reichen vom Verkauf einzelner Gebäude (Stichwort Hoffahrtgelände) über mehr interkommunale Zusammenarbeit, einer Ausschüttung der Sparkasse an ihre Trägerkommunen, einer maßvollen Erhöhung der Parkgebühren bis zu Stellenbesetzungssperren. Politisches Ziel der BfB sei trotz des Haushaltsdefizits eine Anhebung der Grundsteuer B zu vermeiden.

FWG: Bensheim lebt über seine Verhältnisse

„Generell ist festzustellen, dass Bensheim schon viel zu lange über seine Verhältnisse lebt, was an dem seit Jahren steigenden Schuldenstand der Stadt ablesbar ist“, erklärt FWG-Vorsitzender Rolf Tiemann. Zunächst sei es erforderlich, dass alle geplanten und noch anstehenden Ausgaben kritisch daraufhin überprüft werden, ob sie unbedingt notwendig und derzeit unverzichtbar sind. „Nur solche Ausgaben dürfen getätigt werden. An Hand dieser Analyse sind die Prioritäten in einem Maßnahmenplan festzulegen.“

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Nach dieser Analyse werde klar sein, welche Auswirkungen dies auf die geplanten Projekte hat. Dabei wird abzuwägen sein, was langfristig die bessere Lösung ist, ein Projekt einzustellen oder es fortzusetzen. Weitere Geldquellen über Steuererhöhungen zu erschließen kann nur das absolut letzte Mittel sein. „Dabei muss sowohl bei der Gewerbesteuer als auch der Grundsteuer sehr sensibel vorgegangen werden, um zu verhindern, dass dies langfristig – etwa durch Wegzug von Betrieben – zu geringeren Einnahmen führt“, so Tiemann abschließend.

Erste Ideen, das Defizit zu schmälern, sind da, welche Maßnahmen am Ende den Erfolg bringen könnten, muss erst noch beraten werden. Soviel ist bei einem Minus von 42,7 Millionen Euro allerdings sicher: Posten wie der abgeschaffte Windelcontainer oder die Hundekotbeutel werden nicht die Stellschrauben sein, mit deren Hilfe sich das riesige Haushaltsloch wieder auffüllen lässt.

Redaktion

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