Bensheim. Mit der Ausstellung „Im Werden“ der Frankfurter Künstlerin Almut Martiny hatte die Stadtkultur Bensheim im Oktober 2020 das Herbstprogramm nach einer längeren Corona-Pause eröffnet. Die Vernissage im Gertrud-Eysoldt-Foyer fand vor reduziertem Publikum statt. Doch das Kulturleben wurde wenig später durch einen neuen Teil-Lockdown erneut massiv ausgebremst. Die Neuinfektionen stiegen rasant an, das Parktheater blieb leer.
Nun zeigt die Malerin erneut eine repräsentative Auswahl ihrer Arbeiten, gleichsam als zeitlich distanzierte Fortsetzung von damals. Bis zum 23. Juli sind über 50 Einzelarbeiten zu sehen: Öllasur-Malereien, Fotografien und Triptychen als Hommage an die kreative Schöpferkraft der Natur, die permanent gestaltet, formt und koloriert. Während in den Fotografien die Motive erst durch ihre verfremdende Spiegelung eine rätselhafte Morphologie und organisch-lebendige Mikrokosmen erahnen lassen, sind in der Öllasurmalerei die Fotografien ein auslösendes Moment der Bildgestaltung, aber als solche kaum noch wahrnehmbar.
Es entstehen fließende Übergänge von Fotografie und Malerei, durch die integrative Symbiose beider Medien verschwimmen Realität und erdachte Wirklichkeit zu einer neuen Form. Es ist, als ob man der Schöpfung bei der Arbeit zuschauen würde.
Die Natur als Vorbild
Prozess und Wandel, Sterben und Gebären, vorübergehende Auflösung und permanenter Neubeginn: Im Gertrud-Eysoldt-Foyer erlebt der Betrachter Arbeiten aus drei Schaffensperioden der Künstlerin, die eine neue Welt inszeniert und dabei stets das Abstrakte im Gegenständlichen betont. Die Kompositionen bewegen sich in einem Kosmos aus Kreation und Sterblichkeit, ohne sich in melancholischer Endzeitstimmung zu suhlen.
Abstraktion sei letztlich nur ein Wechsel von Perspektive und Distanz, so die Künstlerin bei der Ausstellungseröffnung am Sonntag – und nichts sei abstrakter als die Detailansicht der Natur. Spontan wie ihr Vorbild, die Natur, hat Almut Martiny ihr drittes Bensheimer Gastspiel nach 2009 und 2020 mit „second life“ kommentiert, was sowohl einen Bezug zur pandemischen Unterbrechung wie auch zu den faszinierenden Metamorphosen in der Tier- und Pflanzenwelt herstellt.
Seit gut 20 Jahren liegt Almut Martiny häufig im Unterholz, wie sie im Parktheater erzählt. Ganz nah dran an den kleinen, zwischen Laub und Erde verborgenen Welt, die sie durch ihre fokussierte Makro-Aufnahmen wahrnehmbar macht. Nicht bewegen, nicht atmen! Nur konzentriert auf die exzessive Formen- und Farbenvielfalt und allgegenwärtige Dynamik allen Seins.
„Mich faszinieren die Gestaltungsprozesse der Naturgewalten“, betont die 1964 in Siegen geborene Künstlerin, die in einer künstlerisch geprägten Umgebung in Paris aufgewachsen ist und sich früh mit Kunst und Kunstgeschichte auseinandergesetzt hat. Sie studiert Kunstgeschichte, Pädagogik und Französisch in München und Frankfurt.
Ab 1983 arbeitet sie als Buchillustratorin, vier Jahre später lässt sie sich in Frankfurt nieder. Sie ist Mitglied der Künstlervereinigung Pupille in Hanau und im Berufsverband Bildender Künstler (BBK) in Frankfurt. Seit 1993 hat sie ihr Werk in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen präsentiert.
Es ist die evolutionäre und vitale Qualität der Motive, die energetisch und ästhetisch reizvoll in den Vordergrund drängt und fantasievolle Begegnungen ermöglicht. Wenn Kunst ein Dialog mit dem Betrachter ist, dann sind Almut Martinys Motive eine offene Herausforderung zur assoziativen Auseinandersetzung und Interpretation. Als Ausgangsmaterial dienen ihr fragmentarische Fotografien, die natürliche Dinge und leblose Materie in ihrem temporären Wandlungsprozess zeigen: Pflanzen, Steine und Metalle, die als Inspiration für die Sichtbarmachung neuer visueller Weiten dienen.
Auf diese Weise entsteht eine markante Bildsprache zwischen Konkretisierung und Abstraktion, die sie – wie gesagt – als perspektivisch beeinflusste Definition von Gegenständlichkeit relativiert. Ihre Bilder sind niemals abstrakter als die Natur in einer mikroskopischen Vergrößerung, wenn das Vertraute zum Rätselhaften, das Familiäre zum Fremdling und die Kreatur zum Alien wird.
Aufblühen und Vergehen
Durch Schichten von Ölfarbe flackern geheimnisvoll surreale Farblandschaften und Lichtspiele, die unzählige Assoziationen und Reflexionen zulassen. Auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen hat Almut Martiny eine besondere Form der fotografischen Präsentation gefunden: Fotomotive in vertikaler Anordnung auf einem Banner.
Auch in diesen Detail-Fotografien und Triptychon-Inszenierungen geht es ums Aufblühen und Vergehen, um das Entdecken des Neuen im Vertrauten. Dabei bilden die drei Teile des Banners ein korrespondierendes Ganzes, das bisweilen eine animalische Physiognomie oder pflanzliche Formen zu zeigen scheint. Auch hier wähnt man sich stets in der letzten Millisekunde vor der Entstehung von etwas Neuem. „Die Natur ist immer in Bewegung“, so die Künstlerin bei der Vernissage, die von Stadtrat Oliver Roeder eröffnet wurde.
„Im Werden“ ist noch bis zum 23. Juli im Gertrud-Eysoldt-Foyer des Parktheaters zu sehen. Die Künstlerin wird am 11. Juni und am 2. Juli jeweils von 14 bis 17 Uhr persönlich anwesend sein.
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